Die kleine Zeitzeugin

Der Segen auf Facebook

d'Lëtzebuerger Land du 04.01.2019

Es ist hart, es ist kalt, und manch eine fühlt sich gar alt. Angesichts eines unverschämt neuen Jahres, schon wieder eins, Profi gähnt, weist sich aber gleich zurecht: Sei froh, dass du eins kriegst, besser als keins! Es ist halt Routine, knurrt sie in ihren Bart, die Glückssternchen, die am Himmel verglühen, schönschön, während sie einfach nur der Waschmaschine zuschauen will, wie sie ihre friedlichen Runden dreht. Muss ich heute Party machen? Neinnein, selbstverständlich nicht, niemand muss die Pappnase in den Crémant tunken. Niemand muss aus dem Reihenhäuschen sein, nur weil es zwölf schlägt.

Nur kein Stress, nur kein Glücksstress, warnen die Expert_innen, nur was einem guttut, das ist das Allerwichtigste. Gut tut? Glücksverweigererin haut sich vor die Glotze und sieht Menschen, die aufgekratzt auf einen Zeiger starren, bis alles explodiert. Sie fallen einander um die Hälse und in die Dekolletees, now or never, grapschgrunz, sind die Schweinchenmasken noch in? Dann sieht sie Glückssterne in den Augen, die kollektive Freude hat ja auch was Positives, wieviel positive Energie wird da freigesetzt, es muss nicht immer Weltkrieg sein, grübelt sie. Und wie die Sektflöten musizieren, in Brudersphären Wettgesang!

Warum ist sie aber auch so ein Feiertroll, Spielverderberin hieß das früher? Nicht mal ihre Bude hat sie ausgeräuchert, die ganzen negativen Energien ballen sich in den Zimmerecken, während sie Houellebecq liest, beinahe fertig, drei Jahre hat sie gebraucht, und jetzt kommt schon der neue, ein noch deprimierenderer. Und Lars von Trier ist auch nicht gerade erbaulich.

Vielleicht doch auf Gesichtsverlierbuch schauen, obwohl, was kann dabei herauskommen? Was schon, sie hat es geahnt. Die Freund_innen, die sie größtenteils nicht kennt, setzen den Hunden Hüte auf, extra coole, sie winken aus Südafrika, sie machen Faxen in Australien oder auf Eilanden, nicht ohne zu bemerken, dass sie schon waren, schon hatten. Silvester.

Sie zeigen Videos vom schönen Arsch der Welt. Die unter Glücksbeschuss tanzenden Menschen sehen allerdings auch nicht viel anders aus als hier, es ist überall hier. Viele Gesichtsverlierbuchfreund_innen zeigen sich aber auch von der besinnlichen Seite, sie sind philosophisch, großzügig, menschenfreundlich. Human. Wohl gesonnen. Sie wünschen allen alles Gute. Beinahe wie Jesus. Oder mindestens wie der Dalai Lama. So gütig, so binsenweise. Sie drohen nicht mal, jemand rauszuschmeißen, weil er oder sie ein Nazi ist. Alle sind inkludiert.

Es ist schön auf Gesichtsverlierbuch in dieser Nacht. Sogar der eine oder die andere, die ihre Glückwunschblockade geoutet hatten, reihen sich jetzt friedlich freudig ein. Sollten doch all die Feiermuffel mal rein schauen, aber die Fundis, die sich was auf ihr Feiermuffeltum einbilden, sind natürlich auch Gesichtsverlierbuch-Feiermuffel. Und dann die, die mit all dem nichts anfangen können, weil sie fertig sind, mit sich, mit der Welt, sie haben weder Geld noch Welt, vom Verschwörungstheoretisieren sind sie erschöpft, jetzt muss endlich Praxis her. Die schauen vermutlich auch nicht rein, bevor sie sich aufhängen oder ihr Auto in eine Menschenmenge mit den Falschen lenken. Oder vielleicht hat ihre Peer Group nicht so viele Herzen auf Lager und nicht so poetische Durchhalteparolen?

Die, die so verwöhnt sind, von weichgespülten Wellness-Sprüchen umschmeichelt, sollten es zu schätzen wissen. Draußen droht der Haartmount. Wenn Freund_innen, die man größtenteils nicht kennt, einen von Yachten anlächeln und nur das Beste wünschen, während man selber im Schneeregen an einer Bushaltestelle steht, ist natürlich eine gewisse übermenschliche Größe erforderlich. Aber dennoch, Friede, Freude, Gesundheit, für die Familie ebenfalls, alles Gute auch Hund, Katz, dem Erdball, allem, was da fleucht und kreucht, euch allen, das kann doch nicht schaden.

Danke. Dir auch. Dir auch. Gleichfalls. Ebenfalls.

Ein bisschen mühsam, okay. Nachtschicht droht.

Vielleicht besser gleich selber so was schicken, Liebe, Frieden. Einen Segen spenden.

Fühlt sich echt gut an.

Michèle Thoma
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