Auf dem Wiener Christkindlmarkt gibt es neuerdings Bankomaten und Fotoboxen. Die Krippe mit dem trauten, hochheiligen Paar in Überlebensgröße ist diskret entsorgt worden, an ihrer Stelle leuchtet hektisch ein Riesenschmetterling, in der schneidenden Abendkälte stehen junge Leute Schlange, um sich zwischen seinem Silberflügelgeflimmer ablichten zu lassen.
Klar, die Zeiten der peinlichen Weihnachten sind endgültig vorbei. Die Zeiten, da man anrücken musste, wenn man als Entschuldigung nicht zumindest Totsein vorzuweisen hatte. Gestriegelt und gebügelt, mit einem Geschenk, wie unpersönlich auch immer, eine um Perfektion bemühte Kulisse erwartete eine. Bemüht, das trifft den Abend aller Abende am besten. Das Bemühen der Mutter-Dompteuse, die Löwenmeute, die sie und sich untereinander jeden Moment zerfleischen konnte, mit an die Feierlichkeit des Abends angepassten Leckerbissen zu verwöhnen, so dass alle schnurrten nachher. Bemühen aller Beteiligten, Widerstand war sowieso zwecklos.
In Literatur und Film gibt es unzählige Bewältigungsversuche dieser zwangsneurotischen, traumatisierenden Veranstaltung, die längst ihres religiösen Kerns entleert war. Gemeinsam geschmetterte Stille Nacht, zumindest der schief belächelte Versuch, das sich genierende brave Mädchen mit der Flöte des Schreckens, die unter Pseudo-Hochspannung aufgerissenen Pakete mit den obligatorischen euphorisch-überraschten Ausbrüchen. Weihnachtsutopie, das Bemühen: Wir lieben uns alle, wegen Gott heute extra, aber wirklich, kein Pardon. Während er in der Krippe liegt, dann kommt er wieder in den Keller.
Die Schauspieler_innen spulten tapfer das Repertoire ab, das ihnen zunehmend unpassend vorkam, in ihren Rollen wurden sie hölzern wie die Puppen in den Kirchen.
Dieser Spuk ist vorbei, es ist relaxter geworden, die Tyrannei des kleinen Jesus existiert Gott sei Dank nicht mehr. Niemand muss mehr Weihnachten feiern oder sich umbringen, weil er das einsamste Christkind der Welt ist, der einsamste Mensch, ohne das verfluchte Weihnachten wäre er nie auf so einen Gedanken gekommen. Alle sind irgendwo und machen irgendwas, alle sind frei. Sie sind in Südafrika oder in der Disko. Sie hängen mutterseelenallein vor der Glotze, ja na und? In Städten gehen sie durch Viertel, in denen die Menschen dieses Problem gar nicht haben, sie benehmen sich, als sei nichts.
Viele verbringen sogar einen gemütlichen Abend unter Menschen die einander zugetan sind, ohne in Zwangsanzugsjacken zu stecken. Niemand muss vor niemand Rechenschaft ablegen, auch nicht vor Gott. Wenn es ihn gibt, ist er vermutlich cool.
Ein paar Fundi-Christ_innen singen mit erleuchteten Augen und den dünnen Stimmchen der Katholik_innen Lieder, in denen ein holder Knabe mit lockigem Haar vorkommt. Einmal im Jahr sind die Gottes-Museen voll, es wird nicht nur fotografiert oder auf die Protagonist_innen unverständlicher Sadomasorituale gestarrt, satte Menschen stehen da und begehen etwas, ja was? Die meisten wissen das nicht mehr, aber sie tun es freiwillig, keine Großmutter und keine Dorfdiktatur zwingt sie mehr. Irgendetwas treibt sie hin, eine Sehnsucht nach was? Sie ergreift sie nicht oft, manchmal an diesem Tag, in dieser Nacht, und dann ist es vollbracht und es geht wieder. Bis nächstes Jahr. Aber vielleicht sind sie dann auf Kreuzfahrt oder Buddhist_innen oder sie haben einfach zu viel gegessen, dieses Jahr nicht, oder es vergessen.
Sie streifen durch Städte mit Weihnachtsmärkten vor einer Kulisse aus Gold, top im Weihnachtsmarkt-Ranking, mit Buden aus echtem Zeug hergestellt von echten Bienen oder von echten Menschen. Die handgeschnitzten Krippenfiguren sind verschwunden, sie wundern sich darüber, dass sie das Fehlen bemerken. So richtig fehlen sie ihnen nicht, obschon dann vielleicht doch etwas fehlt.
Wahrscheinlich treibt der dritte Kaiser-Friedrich-Punsch sie dazu, ein im harten Wind schaukelndes Mobile, vermutlich aus China, zu erstehen – es macht die Nacht so pink. Vielleicht, Menschenliebe überschwemmt sie, ist das ja ein wunderbares Geschenk.