Carbon banking bei Fortis

Kohlendioxid, eine Zukunftsinvestition

d'Lëtzebuerger Land vom 24.04.2008

Private, retail, commercial, alles Begriffe, die normalerweise in Zusammenhang mit Banking auftauchen und feste Bestandteile des internationalen Finanzkauderwelschs sind. Die Fortis-Gruppe hat eine neue Bezeichnung hinzugefügt, mit der sie  ein neues Geschäftsfeldbeschreibt: carbon banking. Kohlenstoffbankier, ein neuer Finanz­beruf? Laut Fortis ja. Mit carbon banking beschreibt sie die Aktivitäten, die sich aus den Treib­hausgasauflagen für die Industrie in den Kiotoländern, speziell der EU, ergeben.

Die in den Niederlanden beheimatete Fortis-Bank habe viele Kunden aus dem Energiebereich, erklärt Robert Scharfe, Vorstandsmitglied von Fortis Banque Luxembourg. Deshalb habe die Bank schon vor Jahren angefangen, sich mit der Problematik der Kohlenstoffauflagen für die europäische Industrie auseinanderzusetzen. Denn – zu der Überzeugung sei man während der ersten Phase des Europäischen Emissionshandelssystems (EHS) gelangt – dies werde für die Kunden zum erheblichen Un­kostenfaktor. Nun behauptet die Bank von sich selbst, sich zum Marktführer in Sachen Kohlenstoff entwickelt zu haben.

Der Emissionshandel, ein noch junger, unausgereifter Markt, wie Schar­fe betont, entwickelt sich demnach langsa,m aber sich zum Millionengeschäft, an dem sich auch jene Akteu­re, die keine Zertifikate brauchen, beteiligen wollen: Kohlendioxid – eine Zukunftsinvestition. Sich an diesem Markt zu beteiligen, ist aber aus vielerlei Gründen nicht so einfach. Die Kohlenstoffbankiers bieten Hilfeleistungen für Unternehmen, die zur Emissionsreduzierung verpflichtet sind. Wie soll man sich das konkret vorstellen? Ei­nem EU-Unternehmen werden auf der Basis der nationalen Vergabeplänen von der jeweiligen Regierung eine bestimmte Zahl an EUA-Zertifikaten1 zugeteilt. Entweder rei­chen die Verschmutzungsrechte aus, um die Produktion der Firma abzudecken, eventuell gibt es sogar einen Überschuss an Zertifikaten. Oder sie reichen nicht. Ein carbon banker hilft beim verwalten der Zertifikate und übernimmt, falls gewünscht, auch den Verkauf beziehungsweise Ankauf von Zertifikaten darauf bedacht, den jeweils günstigsten Preis zu erzielen. Was gute Kenntnisse über die Wertenwicklung der Kohlenstoffzertifikate voraussetzt, die noch als ziemlich un­berechenbar gilt. Dienstleistungen und Fachwissen, das sich die Banker entsprechend entlohnen lassen.

EUA-Zertifikate für die aktuelle Phase von 2008 bis 2012 werden derzeit mit rund 25 Euro pro Tonne Kohlenstoff gehandelt. Auch in der ersten Handelsphase hatten die Rechte ähnliche Preise erzielt, bis sich 2006 herausstellte, dass viel mehr Rechte vergeben wurden, als von der Industrie gebraucht. Der Preis brach völlig ein. Da die Zertifikate nur bis Ende 2007 gültig waren und die Strafzahlungen im Falle einer Überschreitung der erlaubten Emissionen auf 40 Euro die Tonne festgesetzt waren, erholte sich der Preis nicht mehr. Die EU zog daraus bekanntlich ihre Lehren und reduzierte die Zuteilungen für die aktuelle Handelsphase erheblich. Ein Kohlenstoffknöllchen kostet nun 100 Euro die Tonne. Theoretisch kann also der Handelspreis für ein Zertifikat auf 100 Euro ansteigen, bevor eine Firma sich entscheidet, lieber Strafen zu zahlen, als Rechte zu kaufen. Die Fortis geht von einem Defizit von 250 bis 300 Millionen Tonnen jährlich in der europäischen In­dustrie aus; viel, sehr viel Geld steht auf dem Spiel.

Allerdings wird der Handel derzeit noch von ganz konkreten technischen Problemen gehemmt. Die nationalen Kohlenstoffregister der EU-Staaten sollen informatisch an das Register der UN angeschlossen werden, das die Einhaltung der Versprechen der Kiotostaaten überprüft. Doch das ist bisher nicht passiert. Deshalb haben die Mitgliedstaaten, obwohl die Unternehmen bereits Zertifikats-Zusagen erhielten, die Rechte für das laufende Jahr noch nicht auf die Kohlenstoffkonten der betroffenen Firmen weiter gebucht. Als Erklärung heißt es es dazu beim Umweltministerium, dass, würde man die Transaktionen jetzt buchen, bevor man ans UN-Register angeschlossen ist, man sie nachher wieder rückgängig machen und neu buchen müsste, damit sie bei der UN berücksichtigt werden. Weil die meisten Staaten mit ihren Kiotozielen kämpfen, möchten auch andere EU-Länder nicht das Risiko eingehen, dass erzielte Reduzierungen nicht erfasst werden.

Dieser Umstand erschwert den Handel, sagt Carlo Goeres von Fortis, da es sich nicht um regulierte und flüssige Papiere wie Aktien handele. Das sieht man im Umweltministerium ein wenig anders, denn die Unternehmen könnten trotzdem bereits in den Terminhandel einsteigen. Dass sie das tun und bereits in der Vergangenheit taten, belegen auch die Daten, mit denen Fortis aufwartet. Um den aktuellen Bedarf der europäischen Industrie zu decken, müssten rund 800 000 Zertifikate täglich den Besitzer wechseln. Tatsächlich aber werde die zehnfache Menge gekauft und verkauft. „Das heißt, dort sind Akteure tätig, die mit Blick auf die Zukunft handeln.“ 

Ein weiterer Hinweis dafür, dass die Industrie mit Emissionsdefiziten rechnet, ist die jüngste Wertentwicklung der Zertifikate. Wie das geht, wenn die Scheine doch 2006 völlig wertlos wurden? Bereits ab 2005 wurden Verträge über Verschmutzungsrechte der aktuellen Phase abgeschlossen. Während der Wert der Zertifikate der ersten Phase ab April 2006 die Talfahrt gen Null begann, blieben die Preise für Phase-II-Zertifikate stabil; sie stiegen ab April gar weiter an. Die Unternehmen versuchten damals schon Zertifikate für die kommenden Jahre zu sichern. 

Das wird auch Luxemburger Unternehmen betreffen und zwar nicht nur ArcelorMittal. Die spricht verständlicherweise nicht gerne öffentlich über ihren Bedarf an Verschmutzungsrechten. Am härtesten getroffen hat es den Angaben des Umweltministeriums zufolge den Strom­hersteller Twinerg. Zwischen 2005 und 2007 stieß die Anlage 967 000 Tonnen Kohlendioxid aus. Ihr stehen ab 2008 jährlich nur noch 858 000 Zertifikate zur Verfügung. Also muss hinzugekauft werden. 

„Bisher haben die Zertifikate noch keine richtige Heimat“, sagt Robert Scharfe, und meint damit, das bisher keine der Börsen, an denen Zertifikate gehandelt werden, sich als Referenz hervortun konnte. Deswegen ist es Fortis wichtig zu betonen, dass man bereits einen Kundenstamm von über 250 Firmen hat, was die Chancen, einen geeigneten Vertragspartner für den außerbörslichen Handel zu finden, erhöhen soll. Scharfe sieht hier  aber auch noch Möglichkeiten für Luxemburg als Finanzplatz. Weil sich bisher keine Börse durchzusetzen vermochte, könnten durchaus noch völlig neue Akteure ins Rennen einsteigen. Warum nicht in Luxemburg eine solche Börse aufbauen, die durch ihre Neutralität, Glaubwürdigkeit und ihren Einsatz das Interesse der Beteiligten wecken könnte? Dies sei, meint Scharfe, durchaus eine Überlegung wert. Immerhin sieht er die Möglichkeit, sich in einer Domäne hervorzutun, ohne dass der Erfolg auf Steuervorteilen oder der schnellen Umsetzung von Direktiven beruhen würde. 

Vor allem aber würde eine starke Börse den Handel sehr viel einfacher gestalten. Alle Beteiligten wüssten, wo sie sich hinwenden müssten. Eventuelle Spekulanten, die den Kohlenstoff als Rohstoff wie jeden anderem betrachten würden und den Preis künstlich antreiben könnten, aber auch. Scharfe sieht das weniger kritisch. Solche Akteure könnten den Markt beleben, meint er.

Um die Nachfrage der Industrie künf­tig bedienen zu können, bietet die Bank nicht nur die reine Abwicklung von Emissionsgeschäften an, sie ist auch dabei, selbst Zerti­fikate zu erwerben. Sie mischt bei der Finanzierung von so genannten Clean-Development-Mechanism- oder Joint-Im­plentation-Anlagen in Entwicklungsländern mit. Das Ziel: die dabei entstehenden Zertifikate einstreichen, zwecks späteren Weiter­verkaufs an die Industrie.

Das klingt einfach, ist es aber nicht. Denn solche Projekte sind ziemlich langwierig, finden meist in Ländern statt, die nicht den stabilsten juristischen Rahmen bieten. Hinzu kommt, dass anfangs nicht immer klar ist, wie viele Zertifikate ein Projekt tatsächlich generieren wird und ob sie von der UN anerkannt werden. Daher wird viel verschiedenes Fachwissen gebraucht, zur Überprüfung der technischen Daten der Anlagen, über die Kreditvergabe, der Registrierung als geeigneter Anlage, bis hin zur Abwicklung der Zertifikateübergabe. Letzteres wird von den Fortis-Leuten in Luxemburg übernommen, die sich des juristischen und buchhalterischen Teils der Projekte annehmen. Eigener Aussage zufolge bietet die Bank den komplettesten Kohlenstoff-Service überhaupt. Um diese Behauptung zu stützen, führt Scharfe folgende Beispiele in Feld: Im Rahmen der Milleniums-Entwicklungsziele finanziert die Bank im Auftrag des Programms für Entwicklung der Vereinten Nationen Projekte in Ländern, in denen es sonst keine „Kohlenstoffaktivitäten“ geben würde. Außerdem mischt man bei einem CO2-Einsparungsprojekt von Petrochina mit, einem der weltweit größten Konzernen. Eine Milliarde Dollar ist der Deal wert, bei dem die Bank als Aufseher und Treuhänder fungiert, Aufgaben, die Fortis Intertrust in Luxemburg übernimmt. 

Demnach alles im grünen Bereich? Nicht ganz. Denn sammelt die Bank auch fleißig Verschmutzungsrechte, die sie an die Kunden weiterverkaufen möchte – ob Privatunternehmen oder Länder, die Probleme haben, ihre Kioto-Versprechen einzuhalten –; sie geht damit ein nicht unerhebliches Risiko ein. Zertifikat ist noch lange nicht Zertifikat. Drei verschiedene Arten an Zertifikaten gibt es zwischen UN und EU, die nur begrenzt miteinander austauschbar und einsetzbar sind, die zudem mit unterschiedlichen Preisen gehandelt werden. Ob die verschiedenen Systeme einmal voll integriert werden, ist noch nicht gesagt. Europäische Unternehmen können aktuell nur einen geringen Teil ihres Bedarfs an EUA mit so genannten certified emmission reductions (CER) aus den flexiblen Mechanismen des UN-System decken. So könnte es geschehen, dass es eine große Nachfrage gibt, man den Kunden aber nicht unbedingt das richtige Produkt bieten kann.

Außerdem haben auch die aktuellen Zertifikate ein Verfallsdatum: Ende 2012. Die Bank setzt darauf, dass Phase-II-Rechte auch noch nach 2012 verwendbar bleiben sollen. Bisher gehen die Vorschläge der EU-Kommission allerdings nicht in diese Richtung. So lange, wie es keine internationale Abkommen gibt, welche die bislang unwilligen Staaten mit in den Klimaschutz einbindet, will sie eben solchen Ländern noch keinen Zugriff auf emissionsverringernde Projekte gewähren. Und auch den Druck auf die EU-Mitgliedstaaten aufrechterhalten, die Emissionen weiter zu reduzieren. So soll nach 2012 nur der Restanteil an Zertifikaten aus flexiblen Mechanismen benutzt werden dürfen, die man nicht vor 2012 in Anspruch genommen hat. Auch das könnte sich negativ auf den Wert der Emissionsrechte auswirken. Hinzu kommt: Wür­de das Reduktionspotenzial von China voll ausgeschöpft, würde der Markt quasi mit Zertifikaten überschwemmt. Und 2006, als die Preise einbrachen, das gibt Robert Scharfe von Fortis zu, hätte so manch einer viel Geld verloren.

1 EU allowance

Michèle Sinner
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