LONDONER BÜRGERMEISTERWAHL

Khan will nochmal!

d'Lëtzebuerger Land vom 30.04.2021

Seit dem 12. April darf Sahin Kumrak wieder Kundschaft empfangen. Auf den zahlreichen Sesseln sitzt zur Mittagszeit aber gerade mal ein Kunde, obwohl das Geschäft, in dem er arbeitet, gleich neben 22 Bishopgate, Londons größter neuen 278 Meter hoher Bürokomplex im Finanzviertel Londons steht, mit Platz für 12 000 Angestellte auf 120 000 Quadratmetern Bürofläche, steht. Während Kumrak auf Kund/innen wartet, wartet das Gebäude auf Mieter/innen und ist größtenteils leer, genau wie der Rest des Bezirks.

Vielleicht kann der/die zukünftige Londoner Bürgermeister/in helfen? Auf Podiumsdiskus-sionen via Zoom zur Bürgermeisterwahl, die am 6. Mai, ein Jahr verspätet, abgehalten wird, ist die Zukunft des Finanzviertels eins von vielen Themen. Das Bürgermeisteramt soll mit jährlich umgerechnet 22 Milliarden Euro Londons öffentliche Verkehrsmittel (TFL) und die Hauptverkehrsadern regeln. Mit weiteren Budgets regelt es Wohnpolitik, Polizei, Rettungsdienste und die generelle Führung der Amtsgeschäfte der Stadt. Die meisten anderen Entscheidungen sind Aufgaben der 32 unabhängigen Londoner Stadtbehörden. Sadiq Khan, 50, der derzeitige Londoner Labour-Bürgermeister, stellt sich nach fünf Jahren im Amt seiner Wiederwahl.

Als Khan sich, Sohn eines Busfahrers und aus Pakistan eingewanderter Eltern, 2016 der Londoner Bürgermeisterwahl stellte, waren Stadt und Land noch anders als heute, nicht nur wegen der jetzt alles verändernden Pandemie. Khan symbolisierte einen Monat vor dem Brexit-Referendum die Pro-EU-Stimme der Londoner Mehrheit. Innerhalb Labour galt er gegenüber Corbyn als moderat und Stimme gegen den Antisemitismus in der Partei. Danach ist Khan einige Male international aufgefallen, nicht nur weil er von Trump geschmäht wurde, sondern auch als einer der ersten Bürgermeister der Welt, der 2018 den Klima-Notstand ausrief. 2020 folgte eine Untersuchung zu Londons Statuen und Denkmälern, nach dem Fall der Statue des Sklavenhändlers Colston in Bristol. Dass das Bürgermeisteramt einen hohen Stellenwert in der britischen Politik hat, beweist allein schon die spätere die Karriere Khans Vorgängers Boris Johnsons.

Um Beschäftigte und Tourismus wieder ins Finanzviertel zu locken, aber auch in andere Teile der Stadt, hat Khan eine sechs Millionen-Pfund-Kampagne gestartet. Sollte sie scheitern, droht bis 2031 nach eigenen Angaben das Einschrumpfen der Londoner Wirtschaft um umgerechnet 41,5 Milliarden Euro. 300 000 Arbeitsplätze sind im letzten Jahr in London verschwunden. 700 000 im Ausland geborene Ex-Londoner haben seit 2019 wegen Brexit oder der Pandemie das Land verlassen. Ob sie bei einer Besserung der Lage zurückkommen, weiß niemand. Im West End, wo sich Londons berühmten Einkaufsstraßen befinden, sind trotz zurückgekehrter Shoppende seit neuesten leerstehenden Einheiten zwischen den Läden unübersehbar.

Stanimira Milcheva, Immobilienexpertin am University College glaubt, dass London vor allen neue Wohneinheiten und langfristige Veränderungen im Mieterschutz braucht, denn die Neun-Millionen-Stadt hat ein Defizit von 300 000 Wohnungen. „Die Wohnungen sind privat kaum erschwinglich, weder zum Kaufen, noch zum Mieten“, erklärt Milcheva. Nur die Pandemie hätte dem eine kleine Atempause bereitet. Khan hat nicht mal die Hälfte seiner 2016 versprochenen 80 000 Wohneinheiten pro Jahr geliefert. Milcheva denkt, dass die Lösung für Wohnungen jenseits der Politik Londons steht. Die Westminster Regierung sollte ihrer Meinung endlich an staatlich und großzügig subventionierte Wohnungen denken. Das Arbeiten aus dem Homeoffice sei übrigens nur eine Sache jener, die am Bürotisch arbeiten. Viele andere müssten weiterhin täglich zum Arbeitsplatz reisen.

Streit gibt es in London um die Erweiterung von Khans eingeführter Ultraniedrigabgaszone (Ulez). Sie hat die schädlichen Abgase innerhalb der Zone um 40 Prozent gesenkt. Während Khan sie im Oktober bis zum Außenring und die Grünen bis an die Grenzen der Stadt erweitern wollen, will der konservative Shaun Bailey sie abschaffen. In der Debatte um saubere Luft ist darüber hinaus einer der wunden Punkte für Khan der unter der Themse geplanter vierspurige Silvertown-Tunnel geworden. Er soll den teils viktorianischen Blackwall Tunnel – hier kommt es oft zu massiven Staus – entlasten. Experten meinen, dass der Tunnel den Autoverkehr langfristig nur anziehen und vermehren kann zum Schaden der Gesundheit ärmerer Londoner und ethnischer Minderheiten in der Umgebung. Khan glaubt, die Mautgebühren und die erweiterte Uelz reichten aus, um das zu vermeiden, grüne und Liberaldemokratenwollen den Bau stoppen.

Obendrauf steckt Khan in Sachen TFL auf Glatteis. Da die Kosten TFLs zu 75 Prozent von den Fahrgebühren abhängig waren, ist das System jetzt durch die Pandemie hochverschuldet. Bereits zweimal musste die Regierung mit Finanzspritzen eingreifen, und nutzt es schamlos aus, um Khan unter Druck zu setzen. Von allen in London gemachten Einnahmen gehen nur sieben Prozent an die Hauptstadt zurück. Als Lösung sieht Khan neue Forderungen an die Regierung, während die Grünen und Liberaldemokrat/innen durch Pro-Kilometer Versteuerungen Londons Autofahrer/innen zum notwendigen Kleingeld kommen wollen. Bailey will zum gleichen Zweck eine Londoner Infrastrukturbank gründen.

Gibt es auch Positives zu berichten? Ja! Einer der Erfolge in Fragen des Verkehrs sind auf alle Fälle Londons neue Fahrradwege. 260 Kilometer davon sind unter Khan entstanden. Im Südwesten der Stadt, in Clapham Common denken drei Müttern beim Spaziergang im Park mit ihrer Stimme auch an die Entführung und Ermordung der 33-jährigen Sarah Everards im März „Bis auf etwa zwei Dutzend solarbetriebene mobile Straßenlichter im Park, die seit dem Vorfall aufgestellt wurden, hat sich nicht viel getan“, findet Anna, 32. Insgesamt sei die Kriminalität in London unter Khan leicht gestiegen behauptet Bailey. Die Versprechen des Torys 8000 neue Polizeiposten in den Dienst zu stellen, versteht Khan als Heuchelei. Er verweist nicht zu Unrecht, auf die konservativen Austeritätskürzungen über elf Jahre. Bei so viel politischem Twist ist es wenigstens erfreulich, dass sich alle Kandidat/innen beim Thema Frauenfeindlichkeit nach dem Everardsmord über die Rolle der präventiven Erziehung einig sind.

Laut Umfragen wird sich Khan mühelos gegen Shaun Bailey durchsetzen können. Er kann mit etwa 40 Prozent der Stimmen rechnen, wobei es bei den Grünen und Liberaldemokraten im Stadtrat zum Wachstum kommen mag. Unter den anderen 16 Kandidat/innen, sie haben wenig Chancen, befindet sich auch Valerie Brown (Burning Pink Party), ein Mitglied der Extinction Rebellion. Sie wurde bei einer Aktion gegen HSBC am Wochenende polizeilich festgenommen. Auch Corona-Leugner haben sich als Kandidat/innen aufstellen lassen, darunter Piers Corbyn, Bruder des ehemaligen Labour-Parteiführers.

Daniel Zylbersztajn-Lewandowski
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