Die 500-Euro-Scheine könnten demnächst abgeschafft werden und immer öfter wird mit Karte gezahlt. Verschwinden Scheine und Münzen?

Bargeld lacht

d'Lëtzebuerger Land du 18.03.2016

Dass die Straßen in Luxemburg mit Gold, beziehungsweise mit 500-Euro-Scheinen gepflastert sind, ist eine Ansicht, die sich im Ausland hartnäckig hält. Vielleicht nicht ganz zu Unrecht, wie die Statistiken über die Emission von Geldscheinen in der Eurozone zeigen. Dass die Luxemburger Zentralbank so viele Scheine ausgibt und davon auffallend viele in der größten Stückelung, veranlasste kürzlich Igor Angelini, den Chef des Finanzinformationsdienstes von Europol, zur Kritik. „Was überraschend ist, ist dass Luxemburg Netto-Produzent von Banknoten ist, wir aber dann die Spur des Geldflusses verlieren“, sagte er im Februar dem Nachrichtenportal Euractiv.

Laut ihrem Jahresbericht gab die Luxemburger Zentralbank (BCL) 2014 Geldscheine im Wert von 93,5 Milliarden Euro aus, was zweimal dem Bruttoinlandsprodukt entspricht und einer Steigerung von 6,8 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Dabei war das Emissionsvolumen bereits 2013 um 14,6 Prozent angestiegen. 2013 war die Nachfrage nach großen Scheinen, 100-, 200-, und 500-Euro-Scheinen besonders groß gewesen. Europol-Direktor Angelini wies gegenüber Euractiv auf die Verbindungen zwischen organisierter Kriminalität und dem Gebrauch von Bargeld hin. Eine Diskussion über die Finanzierung von Terrorismus und Geldwäsche brach los.

Wieso das kleine Luxemburg hinter Deutschland, Italien und Frankreich viertgrößter Emittent von Banknoten in der Eurozone ist, dazu äußert sich die Zentralbank in ihrem Jahresbericht nicht. Aber wirklich überraschen tut die steigende Nachfrage nach großen Scheinen in den Jahren 2013 und 2014 bei der ABBL, dem Verband der Banken, die die Scheine bei der Zentralbank bestellen, nicht. „Ich denke schon“, antwortet Direktionsmitglied Catherine Bourin trocken auf die Frage, ob es einen Zusammenhang mit der Abschaffung des Bankgeheimnisses gibt. In diesen Jahren, erklärt sie, gab es besonders viele Ankündigungen darüber, dass das Bankgeheimnis aufgelöst werde. Viele der Kunden vom Typ „belgischer Zahnarzt“ hätten deshalb ihre Konten aufgelöst, und wie sie sagt, von Steueramnestien profitiert, um sich beim Fiskus in ihren Heimatländern zu melden. Doch anstatt das Geld einfach auf ein Konto bei ihrer Hausbank zu überweisen, hätten viele dieser Kunden es bevorzugt, sich ihre Guthaben in Bar auszahlen zu lassen. So viele waren es, dass die ABBL ein Rundschreiben an die Mitglieder verfasste. Die Banken sollten den Kunden in Erinnerung rufen, dass erstens beim „Export“ von Summen über 10 000 Euro eine Erklärung fällig werde und sie auf die Gefahr von Überfällen auf dem Nachhauseweg hinweisen.

Nachdem der Vorsitzende der Europäischen Zentralbank Mario Draghi im Februar dem Europaparlament sagte, die EZB denke darüber nach, die 500-Euro-Scheine aus dem Verkehr zu nehmen, um Kriminellen das Leben schwerer zu machen, wurde in Deutschland über die Einführung einer Obergrenze für Bargeldzahlungen diskutiert. In Luxemburg fragten die CSV-Abgeordneten Laurent Mosar und Serge Wilmes und der LSAP-Abgeordnete Franz Fayot Finanzminister Pierre Gramegna (DP), ob auch Luxemburg gedenke, eine solche Obergrenze einzuführen, was der Minister verneint. Die DP-Abgeordneten Max Hahn und Joëlle Elvinger wollten ihrerseits von Pierre Gramegna wissen, ob Luxemburg, ähnlich wie Irland, die Ein- und Zwei-Cent-Münzen aufgeben wolle, weil die Produk­tionskosten höher als der Nennwert der Münzen seien, und sie im Portemonnaie mehr stören als nützlich sind. Auch das sei nicht Absicht der Regierung, ließ das Finanzministerium wissen.

Doch da sich der Finanzplatz bemüht, im internationalen Wettbewerb um die innovativsten Finanztechnologie-Unternehmen die Nase vorn zu haben, die mit virtuellen Währungen handeln und neue, elektronische Zahlungsmethoden erfinden, stellt sich die Frage, ob das Bargeld nicht bald völlig verschwindet. In Dänemark hatte die Regierung vergangenen Sommer vorgeschlagen, Ladenbesitzer könnten die Bargeldkassen abschaffen. Nur Poststellen, Krankenhäuser und Apotheken sollten auch in Zukunft noch Bargeld annehmen müssen. Schweden schickt sich an, fast bargeldlos zu werden. Aktiv dagegen einschreiten tut die Regierung offenbar nicht.

Die ABBL-Direktorin Catherine Bourin hat weder ein Problem mit der Abschaffung der 500-Euro-Scheine – „das würde Geldwäschern eine zusätzliche Hürde in den Weg stellen“ –, noch stört sie der Gedanke, dass Bargeld völlig abgeschafft werden könnte. „Das würde ein wenig dauern“, sagt sie, weil vor allem ältere Generationen einen anderen Bezug zu Bargeld hätten als jüngere Leute, die mehr Vertrauen in die Banken hätten. „Das ist vor allem eine kulturelle Frage“, sagt sie, gewiss dass es andere Möglichkeiten gibt, Geld zirkulieren zu lassen.

Trotz der großen Bargeldmengen, die von der BCL in Umlauf gebracht werden: Auch in Luxemburg ist der Wandel hin zur bargeldlosen Gesellschaft schon relativ weit fortgeschritten. „Der Anteil an Zahlungen, die mit Karte getätigt werden, beträgt 60 Prozent und ist sehr viel höher als in Deutschland“, sagt Julian Chan von Six Group, der Schweizer Firma, die den Bank- und Kreditkartenabwickler Cetrel übernommen hat, anhand der firmeneigenen Daten. In den großen Einkaufszentren, sagt Thierry Nothum von der Handelskonfederation CLC, seien es gar 70 Prozent. „Das Gesamtvolumen der Transaktionen ist seit 2000 stetig gestiegen“, fügt Chan hinzu. Gab es vor wenigen Jahren in vielen Geschäften noch Hinweise auf Mindestbeträge bei Kartenzahlungen, akzeptieren heute viele Ladenbesitzer, dass auch kleine Beträge von um die fünf Euro mit Karte bezahlt werden. Dass immer kleinere Beträge ebenfalls mit Karte bezahlt werden, kann Chan nicht direkt aus seinen Daten herauslesen. Doch die Gebühren für die Kartenlesegeräte seien seit 2000 um über 25 Prozent gesunken, was wohl dazu beitragen dürfte, dass Geschäftsleute auch bei kleinen Einkäufen die Karte annehmen.

Seit der Markteinführung vor drei Jahren haben 90 000 Luxemburger Bankkunden die Smartphone-App Digicash heruntergelanden, die das Telefon mit dem Bankkonto verbindet, sagt Firmengründer und CEO Raoul Mulheims. 35 000 davon haben die App auch aktiviert. Fast alle Strom- und Gasanbieter, sowie die Versicherungsgesellschaften drucken mittlerweile auf ihren Rechnungen einen der quadratischen QR-Codes ab, die mit dem Smartphone gescannt werden können. Über die Digicash-App wird dann gezahlt, das Ausfüllen von Überweisungsaufträgen fällt aus. Ein weiterer Erfolg: Ein Viertel der Eltern, die ihren Kindern Guthaben auf ihre Restopolis-Pre-Paid-Karten laden, mit sie in der Schulkantine für ihr Mittagessen zahlen, nutzen dafür Digicash, statt mühsam die Kreditkartennummer auf der Restopolis-Webseite einzutippen. Zwar liegt der Marktanteil von Digicash an den in Luxemburg getätigten Zahlungen immer noch unter einem Prozent, sagt Mulheims, aber seit vergangenem September ist das Transaktionsvolumen um 350 Prozent angestiegen.

Schon jetzt kann man in Geschäften neuartige Kartenlesegeräte sehen, die künftig die kontaktlose Zahlung via Karte ermöglichen. Mit den neuen Karten soll das Einstecken der Karte ins Gerät und das Eintippen des Pincodes bei kleinen Beträgen überflüssig werden. Dann, ist sich Julian Chan sicher, wird das Transaktionsvolumen für Kartenzahlungen nochmals „deutlich ansteigen“, und auch die Nutzerakzeptanz, obschon die ohnehin sehr hoch ist. Nie wird Geldausgeben einfacher gewesen sein.

Das ist nicht ganz ungefährlich, wie Verbraucherschützer und Schuldenberater warnen. Wenn es kein Bargeld mehr gebe, fragt Pascal Koehnen von der Verbraucherschutzorganisation ULC, wie soll man Kindern den unterschiedlichen Wert von verschiedenen Dingen erklären, „dass ein blauer Schein mehr wert ist, als ein roter und sie sich dafür mehr kaufen können?“ Dass das Geld lockerer sitzt, wenn mit Karte gezahlt wird statt mit Bargeld, sieht auch Christian Schumacher vom Schuldenberatungsdienst der Ligue Médico-Sociale so, der im Alltag Leute berät, die sich überschuldet haben. „Ob ich 100 oder 1 000 Euro ausgebe – wenn ich mit der Karte zahle, ist die Geste die gleiche. Wenn ich in Bar bezahle und jeden Schein einzeln abzähle, ist das etwas ganz anderes“, sagt er. Denjenigen, die zum Service Surendettement kommen und denen im Monat nur noch ein ganz begrenzter Betrag zum Einkauf von Lebensmitteln bleibt, rät Schumacher sogar, sich den Betrag ganz ins Portemonnaie zu stecken, damit sie immer genau vor Augen haben, wie viel vom Budget noch bis zum Monatsende bleibt.

Immerhin hat, wer sich von Schumacher beraten lässt, ein Bankkonto und ein Einkommen – ansonsten hätten sie nicht zu viele Kredite aufnehmen können. Doch wie würden Obdachlose und andere, die keinen Zugang zum Bankensystem haben, sich ohne Bargeld eine Mahlzeit erbetteln und kaufen können? Zwar eröffnet in Luxemburg die Post jedem, der sich mit gültigem Ausweis am Schalter vorstellt, ein Postchèques-Konto, wie Carmen Engels bestätigt. Doch wenn kein regelmäßiges Auskommen nachgewiesen werden kann, gibt es keine Bankkarten und die Kunden können gar nicht anders, als Bares aufs Konto einzuzahlen und abzuheben. Auch Flüchtlingen ohne richtigen Ausweis öffnet die Post ein Konto, so die Unternehmenssprecherin.

Gesamtwirtschaftlich gesehen mache die Abschaffung des Bargeldes Sinn, sagt Digicash-CEO Raoul Mulheims, weil es einiges an Kosten verursacht. Es muss gedruckt, verteilt, gezählt, gelagert werden. Aber weil auch er einsieht, dass die Situation für Obdachlose schwierig würde und weil er keine Lust hat, beim Trinkgeldgeben die Karte zu zücken, und er außerdem Bedenken in Sachen Privatsphäre hat, sagt auch der Vorzeige-Fintech-Start-Up-Gründer: „Bargeld abschaffen ist kein Selbstzweck. Es gibt verschiedene Sachen, die anonym bleiben sollen, auch wenn sie nicht illegal sind.“

Bedenken wegen des Schutzes der Privatsphäre will Catherine Bourin nicht gelten lassen. Die Banken seien durch Anti-Geldwäsche-Bestimmungen zwar gezwungen, eine Reihe von Informationen über die Geldbewegungen ihrer Kunden zu erheben. „KYC“ heißt das im Jargon – „Know your customer“, aber darüber hinaus würden sich die Kundenberater nicht im Detail für die Kontobewegungen der Kunden interessieren. Doch ganz so groß ist das Vertrauen in die Banken wohl dennoch nicht. „Wenn es nur noch elektronische Zahlungen gibt, ist jede Geste nachvollziehbar, alles ist kontrollierbar. Das grenzt ja an den Polizeistaat“, sagt Pascal Koehnen von der ULC, „da muss man sich fragen: Will man das?“

„Das ist außerdem ein großes Geschäft für die Banken“, warnt er vor den Gebühren, die auf elektronische Transaktionen anfallen. Besserverdiender könnten in dem Fall bevorzugt werden, weil sie auf Bank- und Kontogebühren bessere Bedingungen aushandeln könnten als diejenigen, die ohnehin weniger im Portemonnaie haben. Auch Jean Rodesch, Generalsekretär der Ligue Médico-Sociale, warnt vor einer zunehmenden Privatisierung des Geldes. Wie hoch die Bank- und Kontogebühren sind, die immer öfter in Angebotspaketen verpackt werden, versucht die ULC derzeit mit einer neuen Erhebung festzustellen. Die Ergebnisse dürften alle interessieren, die sich schon jetzt trotz Einbruchsgefahr angesichts der historisch niedrigen Zinsen fragen, ob sie ihr Geld nicht besser in bar zu Hause aufheben sollten. Noch zahlen die heimischen Banken auf Sparguthaben 0,25 Prozent Zinsen. Doch wie lange sie das nach der Senkung des europäischen Leitzinses vergangene Woche auf null Prozent durchhalten können, ist fraglich.

Nicht nur weil die EZB immer größere Schwierigkeiten hat, ihre Preisziel von knapp zwei Prozent Inflation zu erreichen, weil der Zins-Transmis­sionskanal über die Banken nicht mehr zu funktionieren scheint, dürfte mancher Sparer Zweifel daran haben, dass es in der Diskussion um die Abschaffung großer Banknoten oder von Bargeld überhaupt ausschließlich darum geht, Zahlungen und Geldverwahrung sicherer zu machen und Geldwäschern das Handwerk zu legen. Denn nachdem während der Krisen auf Zypern und in Griechenland die Banken geschlossen und Kapitalkontrollen eingeführt wurden, ist seit dem 1. Jan­uar 2016 der europäische Resolutionsmechanismus für zahlungsunfähige Banken aktiv. Damit gelten auch neue Bail-in-Regeln. Zwar müssen demnach im Falle des Falles die Bankkunden, nach Aktionären und Anleihebesitzern, als letzte in die Tasche greifen. Doch wer würde es im Ernstfall nicht mit den Griechen halten und die eigenen Ersparnisse in den Händen halten wollen? Das wäre ohne Bargeld nicht mehr möglich.

Michèle Sinner
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