Vor bald zwanzig Jahren schuf die Regierung nach französischem Vorbild einen inzwischen auch durch Gesetz geregelten Beratenden Menschenrechtsausschuss, der auf Anfrage der Regierung oder aus eigener Initiative Stellungnahmen zu nationalen Menschenrechtsfragen abgeben kann. Der Ausschuss hatte sich selbst befasst, um in seinem gerade veröffentlichten Gutachten unter dem Titel Entreprises et droits de l’Homme eine besonders heikle Frage zu erörtern. Dem Ausschuss ist sicher eine gewisse Portion Mut nicht abzusprechen, denn die Vertracktheit und Verzwicktheit des Verhältnisses zwischen Unternehmen und Menschenrechten ergibt sich aus gleich zwei Ursachen.
Eine Ursache ist die unsichere Definition von „Menschenrechten“. Sie variiert je nach Epoche und Interessenlage von einer atemberaubend neuen Idee der Französischen Revolution über eine feierliche Absichtserklärung der Vereinten Nationen nach dem deutschen Völkermord an den europäischen Juden bis zu einer ideologischen Keule gegen den Ennemi im Kalten Krieg. Wobei in der nicht nur hierzulande vorherrschenden Auslegung von Menschenrechten ökonomische Rechte in einer Marktwirtschaft als Kategorienfehler angesehen und weitgehend ausgeklammert werden. Sie spielen aber gerade für die Beziehung von Unternehmen und Menschenrechten, jenseits von Arbeitsrecht und Sozialversicherung, eine zentrale Rolle.
Die andere Ursache für die Vertracktheit und Verzwicktheit der Frage ergibt sich daraus, dass Betriebe eine Art exterritoriale Gebiete in der parlamentarischen Demokratie und damit auch ein Ausnahmeregime in punkto Menschenrechten darstellen. Denn das Lohnarbeitsverhältnis, unter dem 94 Prozent aller Beschäftigten hierzulande ihr Brot verdienen, erzwingt ein Unterstellungsverhältnis. Mit seiner Arbeitskraft verkauft der Lohnabhängige auch sein Selbstbestimmungsrecht. Er kann nicht mehr entscheiden, wann er arbeitet, wo er arbeitet und was er arbeitet, sondern muss ausführen, was das Unternehmen oder der Vorgesetzte ihm befiehlt, ist in der Fabrik oder im Büro kein freier Staatsbürger und kein wahlberechtigter Souverän.
Der Vereinbarkeit des Unterstellungsverhältnisses der Lohnarbeit mit den Menschenrechten wurde deshalb zu allen Zeiten und mit ähnlichem Erfolg nachgegangen wie der Frage nach der Quadratur des Kreises. So wie ein Sklavenhalter locat servum, konnte sich das römische Recht die Lohnabhängigkeit eines freien Mannes nur als Variante davon vorstellen: Der Lohnabhängige locat se wenig ehrenvoll als Sklave seiner selbst. Im 19. Jahrhundert tauchte in der entstehenden Arbeiterbewegung das böse Wort von der „Lohnsklaverei“ auf, und das Arbeitsrecht machte aus dem locat servum bis heute den louage de service. Die klassische und neuklassische Wirtschaftstheorie beschäftigte sich gar nicht erst mit dem, was sie für eine Selbstverständlichkeit hielt, und das Luxemburger Arbeitsgesetzbuch erwähnt auf 360 Seiten den „lien de subordination“ nur zweimal beiläufig, ohne ihn zu definieren, weil er naturgegeben scheint.
Auch die Commission consultative des Droits de l’Homme übersieht sicherheitshalber den elephant in the room und beschränkt ihre Untersuchung des Verhältnisses von Unternehmen und Menschenrechten weitgehend auf von den Vereinten Nationen und dem Plan d’action national der Regierung erwogene Menschenrechtsverletzungen beim Export von Waren und Dienstleistungen. Auch wenn sie findet, dass heimische Unternehmen nicht bloß auf freiwilliger Basis davon absehen sollen, dass ihre ausländischen Tochterfirmen und Geschäftspartner Beschäftigte überausbeuten, kleine Landbesitzer enteignen, die Umwelt vergiften oder an Kriegen verdienen.