Vorschläge des Economist Club zum Pensionssystem

Mehr Eigenverantwortung

d'Lëtzebuerger Land vom 23.03.2000

Sie tickt wieder. Als drohende „Bevölkerungsexplosion“ schürte sie schon vor über 30 Jahren die Ängste des weißen Mannes. Nun bedroht „die demographische Zeitbombe“, so PricewaterhouseCoopers, die Rentenversicherung und die Staatsfinanzen. Explosiv für die Unternehmensberater ist, dass die Leute später sterben.

Nachdem der Konflikt um die Kürzung der Pensionen im öffentlichen Dienst ein Schattenboxen um aktuarielle Studien war, antwortete Sozialminister Carlo Wagner Anfang dieses Jahrs auf das Ultimatum der Gewerkschaften mit der Ankündigung zweier weiterer Studien. Bis Ende des Jahrs sollen von der Internationalen Arbeitsorganisation in Genf Rentenleistungen, Umlage- und Kapitaldeckungsverfahren, neue Finanzierungsquellen und die Rücklagen studiert werden. Eine zweite Studie soll nach rentableren Anlagemöglichkeiten für die Rücklagen suchen. Bis Ende nächsten Jahrs sollen die Studienergebnisse dann studiert werden.

Doch fast fragt man sich, weshalb die Regierung überhaupt noch Geld für Studien zum Pensionswesen in Auftrag gibt. Denn seit mehreren Jahren werden private Anbieter nicht müde, aus freien Stücken, wenn auch nicht immer ganz uneigennützig, immer neue vorzulegen, und die Schlussfolgerungen ähneln sich so stark, dass auch die Regierungsstudien kaum davon abweichen dürften. In diesem Monat sind es wiederum gleich zwei: The European Pensions and Savings Revolution. Our Vision of the Future von PricewaterhouseCoopers und L’avenir de nos pensions. Une contribution au débat public der modisch in Economist Club Luxembourg umgetauften ehemaligen Adusec.

So scheint es naiv, darauf hinzuweisen, dass der Anstieg der Lebenserwartung kein neues Phänomen ist, sondern nie so groß wie im zurückliegenden Jahrhundert war und in den nächsten 20 Jahren sich vergleichsweise langsam fortsetzen dürfte. Auch sollte man nicht glauben, dass der dadurch zunehmende Rentenbedarf, wie in der Vergangenheit, durch Produktivitätsgewinne gedeckt werden kann, wie sie gerade die New Economy verspricht.

Denn „l’Economist Club Luxembourg est d’avis que la situation déséquilibrée entre le coût effectif du système de pension légal (40 % de la masse salariale cotisable) et les prélèvements effectués (24 %) est une situation malsaine. (…) Le système a su évoluer dans un tel déséquilibre grâce à une croissance étonnante de la population active de plus de 3 % par an sur la période 1985-1998.“ Nichts gewährleiste aber, dass das Bruttoinlandsprodukt und damit die Beschäftigung in den kommenden Jahren ähnlich schnell zunähmen. Wobei die Alterung der Wohnbevölkerung und ein Rückgang der Grenzpendler das Wirtschaftswachstum weiter bremsen und die Rentenversicherung belasten könnten.

Was tun? PricewaterhouseCoopers nennt als mögliche Auswege, die Rentenentwicklung nicht mehr an die Löhne und Gehälter, sondern nur noch an die Inflation zu binden, das Rentenalter zu erhöhen oder zum Kapitaldeckungsverfahren zurückzukehren – nur um sie gleich wieder zu verwerfen, beziehungsweise ein bisschen von allem vorzuschlagen.

Auch der Economist Club Luxembourg schlägt zur Kostensenkung vor, Leuten, die ein Jahr früher oder später als mit dem gesetzlichen Rentenalter in Pension gehen, die Rente um sieben Prozent zu kürzen oder zu erhöhen. Haushalten mit zwei Pensionen sollten nur einmal die Pauschale der majorations forfaitaires erhalten. Die Renten sollten nur noch teilweise an die allgemeine Lohnentwick-lung angepasst werden.

Zur Erhöhung der Einnahmen lehnt der Economist Club Luxembourg Beitragserhöhungen ab, wäre aber mit eine Erhöhung von Mehrwertsteuer, Akzisen oder Allgemeiner Sozialabgabe einverstanden, wenn auch in den Nachbarländern Steuern erhöht würden, eine Wettbewerbsverzerrung also verhindert würde. Vorgeschlagen wird auch ein staatlicher Rentenfonds, ähnlich beispielsweise dem Straßenbaufonds, der durch etwa ein Viertel des Budgetüberschusses gespeist und in Wertpapieren angelegt würde.All dies kann aber nichts daran ändern, dass für den Economist Club Luxembourg die Renten zu hoch sind und deshalb, die Versicherten zu „entmündigen“ drohen. Denn „compte tenu du 1er pilier, il ne reste que peu de place pour le 2e et le 3e pilier.“ Deshalb solle der erste Pfeiler, die gesetzliche Solidargemeinschaft, gestutzt werden.Beispielsweise könnte die beitragspflichtige Decke vom Fünffachen auf das Dreifache des Mindestlohns gesenkt werden. Um einen drastischen Einnahmeausfall zu verhindern, sollte in einem ersten Schritt die beitragspflichtige Decke nicht mehr an den Index und die Mindestlohnentwicklung angepasst werden, so dass eine Ersparnis entstünde. „Cette tranche ’d’épargne’ ne serait plus confiée via un monopole d’État aux caisses de pensions publiques mais serait organisée par des prestataires spécialisés dans l’épargne à très long terme (assurance, banques et fonds de pension).“

Denn Anfang nächsten Monats will PricewaterhouseCoopers zwar den ersten großen Pensionsplan eines multinationalen Unternehmens vorstellen, der nach dem Gesetz vom 8. Juni 1999 in Luxemburg eingerichtet wurde. Doch der zweite Pfeiler, die betrieblichen Zusatzpensionen, scheint ebenso von Sparmaßnahmen bedroht wie der erste: „We have seen that governments across Europe are likely be reining in state pension provision, while employers will be increasingly concerned about controlling the costs and risks associated with occupational schemes.“

Wenn der erste und der zweite Pfeiler der Altersvorsorge einzuknicken drohen, schlägt die Stunde der privaten Zusatzversicherung: „These developments open up great opportunities for banks, insurers, asset managers and other financial service providers.“ Da trifft es sich gut, dass eine „Sparrevolution“ vor der Tür steht. Die Generation der Babyboomer wird nach Schätzungen von PricewaterhouseCoopers bis ins Jahr 2015 jährlich 200 bis 300 Milliarden Euro europaweit sparen und langfristig in ihre Altersvorsorge anlegen.

Was der Economist Club Luxembourg „Eigenverantwortung“ nennt, kann auch Ende der klassischen Umverteilungsfunktion des Sozialstaats genannt werden. Leute mit niedrigen Einkommen bezahlen schon heute niedrige Beiträge und bekommen deshalb niedrige Renten; sie können es sich auch in Zukunft nicht leisten, einen Teil ihres Einkommens in Zusatzpensionen zu investieren.Doch dem Finanzplatz Luxemburg sagt PricewaterhouseCoopers die Aussicht auf ein gewaltiges Geschäft voraus. Auch wenn es keine Garantie gebe, dass er sich, ähnlich wie bei den Investitionsfonds, ein Fünftel dieses Marktes sichern könne. Denn Pensionsfonds unterschieden sich als Produkte deutlich von Investitionsfonds, die Konkurrenz werde unerbittlich sein, und der volle Einfluss des E-Business sei noch nicht abzusehen.

PricewaterhouseCoopers befürchtet zwar, dass die Sparquote nach 2020 wieder abflaut, wenn die Babyboomer in Pension gehen und geburtenschwächere Jahrgänge folgen. Doch der Abbau der öffentlichen Rentenversicherung und wachsende Arbeitsplatzunsicherheit könnten auch die geburtenschwächeren Jahrgänge zwingen, zu sparen wie die Babyboomer.

 

Romain Hilgert
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