Informationssysteme für den öffentlichen Transport

Gewusst wo, gewusst wie

d'Lëtzebuerger Land vom 27.01.2000

Rudi Ruhig ist Stammkunde des öffentlichen Verkehrs. Jeden Tag fährt er mit dem Zug in die Stadt und weiter mit dem Bus zur Arbeit. Unterwegs liest er Zeitung, tratscht mit den Mitreisenden oder denkt dösend über sein Arbeitsprogramm nach. Nur wenn er samstags zum Einkaufen oder ins Kino will, benutzt er lieber das Auto. Wegen der Fahrpläne, die er nicht so genau kennt. Und weil abends irgendwann der letzte Zug weg ist.

Anders seine Freundin Henriette Hektisch: Sie ist leidenschaftliche Autofahrerin. Wenn sie mit ihrem italienischen Sechzehnventiler im Stau steht, träumt sie von der Fernsehwerbung, wo das gleiche schnittige Coupé über einsame sonnige Landstraßen kurvt. Dann dreht sie das Radio lauter, denkt an Urlaub und schleicht weiter den Bremslichtern des Vordermanns hinterher. Zug fahren kommt für sie nicht in Frage. Flexibel will sie sein, ungebunden und überhaupt: bieten denn die öffentlichen Transportmittel eine passende Verbindung für sie?

Genau bei dieser Frage könnte die von der Regierung geplante Mobilitätszentrale ansetzen. Heutzutage werden die Menschen mit Informationen überschüttet. Gewinner ist, wer weiß, wo diese Informationen zu finden sind und sie versteht. Umgekehrt gilt dies auch für die Wirtschaft. Nicht die Firma, die die besten Produkte anbietet, wird notgedrungen Marktführer. Auf die Verkaufsstrategie kommt es an, auf Werbung, Design und Produktinformation.

Busse und Züge für Insider

Auf dem Mobilitätsmarkt ist das nicht anders. Eine exzellente Busverbindung von der niemand weiß, nützt keinem. Günstige Tarifangebote, die nur Insider kennen, werden nicht gekauft und verfehlen ihr Ziel.

Zurück zu Henriette Hektisch und Rudi Ruhig. Nehmen wir an, sie stehen beide plötzlich vor einer ungewohnten Situation: Henriettes Sportwagen wird bei einem Auffahrunfall in die Zange genommen. Sie bleibt unverletzt, muss jedoch für ein paar Tage auf den öffentlichen Verkehr umsteigen. Rudi Ruhig wird seinerseits für eine Woche im Außendienst eingesetzt. Sein Chef bittet ihn, mit dem Auto zur Arbeit zu kommen.

Beide haben damit ein Problem: sie müssen sich informieren. Rudi Ruhig hat es dabei vergleichsweise einfach. Die Strecke zum Arbeitsplatz kennt er von gelegentlichen Fahrten am Samstag. Hunderte von Schildern und Wegweisern helfen ihm unterwegs, sich zurechtzufinden. Zur Not kann er einen Blick in den Stadtplan werfen. Zwar kann eine unverhoffte Baustelle den Verkehr zum Erliegen bringen, und auch die Parkplatzsuche kann nervenaufreibend sein. Doch auch dann fühlt er sich in seinem Wagen gut aufgehoben.

Ungeübte Fahrgäste möchten ver-wöhnt sein

Die arme Henriette Hektisch trifft es da schon schwerer. Sie muss erst einmal wissen, wo die nächste Haltestelle bei ihrer Wohnung ist. Wann fährt dort der Bus ab? Wo muss sie umsteigen? In welche Linie? Klappt der Anschluss? Und wenn die Zeit zum Umsteigen nicht reicht, wie kommt sie dann ins Büro? Wo gibt es den nächsten Taxistand? Eine Mobilitätszentrale könnte ihr kompetent weiter helfen.

Öffentlicher Verkehr funktioniert anders als Individualverkehr. Der Kunde von Bus und Zug muss Abfahrts- und Ankunftshaltestelle aussuchen, Linienführungen und Fahrpläne berücksichtigen. Für den Autofahrer liegen die "Haltestellen" meistens unmittelbar vor der Haustür, die Abfahrtszeit bestimmt er selber, die Fahrtroute kann er unterwegs jederzeit ändern.

Das Informationsbedürfnis ist demnach im öffentlichen Verkehr viel ausgeprägter. Häufig sind  Sätze zu hören wie: "Die Leute, die mit dem Bus fahren, wissen wo er abfährt." oder: "Wir haben gezielt die Fahrgäste informiert, die von der Umleitung der Linie betroffen sind." In anderen Worten: Die Bürger, die wie Henriette Hektisch den öffentlichen Transport einmal probieren (müssen), müssen sehen, wie sie klar kommen. Damit gehen sie als zukünftige Kunden verloren. Besser wäre es, sie zu überzeugen und zu binden, sie bei der Hand zu nehmen, zu umsorgen, ja geradezu zu verwöhnen. Wie es  jede Privatfirma tut, die Käufer an Land ziehen will.

Wollen wir also ein spürbares Umsteigen vom individuellen Straßenverkehr auf Busse und Bahnen, müssen wir das Informationsbedürfnis der Menschen befriedigen. Das Verkaufen schwer verständlicher Fahrplanbücher reicht nicht aus. Kein Bürger will -zig so genannte Sonderzeichen in den Fahrplantabellen auseinander halten können. Verstehen Sie auf Anhieb, was "fährt von Montag bis Freitag außer Montag, Mittwoch und Freitag an Schultagen" bedeutet, oder: "fährt von Montag bis Samstag in den Schulferien und samstags an Schultagen?" Überhaupt, wissen Sie eigentlich, wann Schulferien sind? Ach, so ein Pech, sie haben keine schulpflichtigen Kinder!

Eine Mobilitätszentrale könnte den Bürgern diesen Ärger ersparen. Im Prinzip existieren auch heute Telefondienste, die Informationen anbieten. Allerdings vier Stück, für jedes Teilnetz im öffentlichen Verkehr ein eigener, für CFL, AVL, RGTR und TICE. Wohl dem, der weiß, was diese Abkürzungen heißen. Wohl dem, der weiß, dass der Bus eines Privatunternehmens, der mit der Liniennummer 8 versehen am Centre Hamilius steht, im Auftrag der Stadt Luxemburg unterwegs ist, deren Busdienst das Kürzel AVL trägt. Und dass der Bus der Linie 9 daneben, auf dem gut lesbar "Ville de Luxembourg" steht, eigentlich für das Transportministerium fährt, dessen Netz RGTR heißt.

Henriette Hektisch, und nicht nur ihr, sind solche Unterscheidungen salopp gesagt wurscht, genauso wie Farbe und Eigentümer des Busses oder der Name der zuständigen Verwaltung. Darum muss eine Mobilitätszentrale eine übergreifende Kontaktstelle für den gesamten öffentlichen Verkehr darstellen.

Die Grundidee der Mobilitätszentrale ist die gleiche wie beim Telematikeinsatz im Straßenverkehr: Neue Infrastrukturen sind teuer, ihr Bau wird immer schwieriger durchzusetzen. Kann die vorhandene Infrastruktur dank Informationstechnologie besser genutzt werden, so spart dies Kosten und bringt neue Einnahmen.

Dieser Ansatz ist im Bus- und Zugverkehr besonders interessant. Denn noch viel mehr als auf der Straße konzentriert sich dort die Nachfrage auf wenige Spitzenstunden. Sind Schüler und Berufstätige unterwegs, sind die Fahrzeuge voll, tagsüber kaum. Warum? Weil in den Stoßzeiten Stammkunden fahren, Menschen, die jeden Tag zur gleichen Zeit die gleichen Wege zurück-legen und wenig Informationen benötigen. Die Gelegenheitskunden, die mal eben so zum Einkaufen, zum Arzt oder sonst privat unterwegs sind, finden sich in der wenig kundenfreundlichen Umgebung des hiesigen öffentlichen Verkehrs kaum zurecht. Gerade sie würden aber zusätzliche Einnahmen bringen ohne spürbare Kosten zu verursachen.

Lieber nach Heselwangen als nach Diekirch

Information ist das A und O eines qualitativ hochwertigen öffentlichen Verkehrs, denn Menschen, die auf den öffentlichen Verkehr angewiesen sind, werden immer seltener. Starres, täglich gleich bleibendes Verhalten ebenfalls. Der Bürger wird flexibler, will heute früher, morgen später fahren, will kurzfristig vom Bus aufs Auto umsteigen können oder umgekehrt.

Eine Moblitätszentrale ist aber nur so nützlich wie die Qualität der Hilfsmittel, über die sie verfügt. Eine kleine Hausaufgabe für den Leser: Suchen Sie doch mal die Verbindungen von Ettelbrück nach Diekirch heraus. 20 Buslinien bedienen beide Orte. 20 Fahrplantabellen mit mehreren Dutzend Seiten stehen also für Ihre Suche zur Verfügung. Hinzu kommen fast 50 Züge, die beide Nordgemeinden miteinander verbinden. Na, haben Sie die Liste zusammengestellt? Der Angestellte der Mobilitätszentrale, der im Stande ist, einer gestressten Henriette Hektisch unter diesen Umständen in Sekundenschnelle die nächste Fahrtmöglichkeit anzugeben, hat sich ein Diplom verdient.

Was die Zentrale also braucht, ist moderne Informationstechnologie. Henriette Hektisch kann es sich einfacher machen und statt von Ettel-brück nach Diekirch besser nach Heselwangen auf der Schwäbischen Alb fahren. Diese Verbindung ist bequem per Internet zu finden. Über die Homepage der CFL www.cfl.lu erreicht man das ausgefeilte Auskunftssystem der Deutschen Bahn AG, das zahllose Eisenbahnverbindungen innerhalb Europas und in vielen städtischen und regionalen Netze enthält. Kein Problem also, die Fahrzeiten selbst zur abgelegensten Bushaltestelle in der württembergischen Provinz zu erfahren.

Auch der Emilie-Kempin-Spyri-Weg Nr. 3 in Zürich ist im Web blitzschnell zu finden. Die Adresse www.vbz.ch verrät den Namen der nächstgelegenen Haltestelle und deren Fahrpläne. Ein Mausklick reicht, um einen Auszug aus dem Stadtplan auf den Bildschirm zu laden oder um  nachzusehen, welche Car-Sharing-Autos auf dem nächstgelegenen Stellplatz auf Kunden warten.

Eine Mobilitätszentrale mit Internet-Anschluss kann auch Auskunft über einen Bahnhof der dänischen Staatsbahn geben. Mit etwas Fantasie oder Dänischkenntnissen lässt sich unter www.dsb.dk herausfinden, dass in Charlottenlund 46 P+R-Stellplätze zur Verfügung stehen, ferner ein bis 20 Uhr geöffneter Kiosk, ein Passfotoautomat und vieles mehr.

Moderne Informationstechnologie ist also eine Voraussetzung für eine funktionierende Dienstleistung der Mobilitätszentrale. Doch neben der Information der Bürger kann die Zentrale weitere Aufgaben wahrnehmen: Sie kann Fahrpläne und Tickets verkaufen, Spaziergänger mit Stadtplänen und Wandervorschlägen versorgen, sie kann sogar Fahrräder vermieten oder ein Taxi vermitteln. Das Aufgabenspektrum ist groß. Die Zentrale kann klein anfangen und dann etappenweise ausgebaut werden.

Längerfristig kann die Mobilitätszentrale auch eine aktive Rolle übernehmen. Wer täglich im Kontakt mit den Mobilitätsbedürfnissen der Bürger steht, kann auch Vorschläge und Empfehlungen unterbreiten. Es kann sich dabei um den öffentlichen Verkehr selber handeln, also um angepasste Fahrplanzeiten, bessere Anschlüsse oder neue Direktverbindungen. Zunehmend wird aber auch die Kombination von Verkehrsmitteln eine Rolle spielen. Etwa das Vermieten von Fahrrädern oder Autos (zum Beispiel im Rahmen von Car-Sharing-Organisationen), oder das Organisieren von Anschlussverbindungen per Taxi oder Rufbus, der nur bei Bedarf verkehrt.

Empfehlen, vermitteln, organisieren

Car Sharing etwa, das gemeinsame Benutzen eines Pools von Autos, erlebt in vielen deutschen Städten, vor allem aber in der Schweiz, einen Höhenflug. Immer mehr Singles, Familien oder Unternehmen verzichten auf ein eigenes Fahrzeug, legen die meisten Wege per Bus und Zug zurück und mieten bei Bedarf für ein paar Stunden ein Auto. Das Angebot der inzwischen professionnel organisierten Car-Sharing-Unternehmen ist vielfältig. Vom smart für die Fahrt zum Großstadtkunden über den Kombi für den Möbelkauf oder das Cabrio für die Spritztour zum See bieten sie dem Kunden mehr Auswahl, als er sich als Eigentümer leisten könnte. Attraktive Kombinationstarife mit dem öffentlichen Verkehr bringen den Bussen und Bahnen neue Fahrgäste. 

Car Sharing schließt eine große Lücke im Mobilitätsangebot für diejenigen Menschen, die nicht ständig über ein eigenes Fahrzeug verfügen (wollen).Der öffentliche Verkehr Luxemburgs ist quantitativ bestens ausgebaut. Netzdichte und Fahrplantakt lassen kaum Wünsche offen. Eine wichtige Herausforderung besteht einerseits in der Koordination und Verknüpfung der Netze, andererseits in der Qualität der Dienstleistung, der Information der Kunden, dem Serviceangebot um das eigentliche Fahren herum und im Anbieten von Leistungen, die über den klassischen Linienverkehr hinaus gehen. Eine Mobilitätszentrale könnte hier wichtige Impulse geben und den Informationsdurst der Bürger stillen helfen.

 

Alain Groff ist Generalkoordinator des BTB-Projekts im Transportministerium

 

Alain Groff
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