Die Altersarmut ist in Luxemburg noch immer niedrig, doch sie nimmt zu, sogar schnell

Mit nur wenig Rente

d'Lëtzebuerger Land du 30.08.2024

Als im Juli OGBL, LCGB und CGFP im Renten-Gutachten des Wirtschafts- und Sozialrats jede Verschlechterung des Pensionssystems ablehnten, begründeten sie das unter anderem mit der Zunahme der Altersarmut: Seien im Jahr 2010 noch 3,9 Prozent der Pensionierten von Armut bedroht gewesen, habe der Anteil sich bis 2022 auf 10,4 Prozent erhöht, also um das Zweieinhalbfache. Zwar lag für die Gesamtbevölkerung das Armutsrisiko 2022 mit 17,3 Prozent noch höher. Doch von 14,5 Prozent im Jahr 2010 aus war der Zuwachs kleiner.

Die Armutsgrenze ist ein statistisches Konstrukt. Die EU-Norm zu ihrer Berechnung drückt das Wortungetüm „60 Prozent des nationalen Medianeinkommens in Erwachsenen-Äquivalenten nach Sozialtransfers“ aus. So berechnet, war hierzulande im Jahr 2021 arm, wer von monatlich 2 124 Euro oder weniger leben musste. Das ist die aktuellste Zahl. Das Statec veröffentlichte sie im Oktober 2023 in seinem Bericht Travail et cohésion sociale.

Liest man den Pension Adequacy Report, den die EU-Kommission im Juni über die „Adäquatheit“ der Renten in den 27 EU-Staaten und Norwegen herausgegeben hat, sieht die Lage bei den Älteren in Luxemburg noch ein Stück unerfreulicher aus, als die Gewerkschaften sie beschreiben: Sie sprechen vom Armutsrisiko der Pensionierten. Das schließt auch unter 65-Jährige ein. Dagegen betrachtet der EU-Bericht die ab 65-Jährigen. Und gibt für diese Altersgruppe in Luxemburg die Einkommensarmutsrate 2022 mit elf Prozent an: neun Prozent bei den Männern, 13,6 Prozent bei den Frauen.

Dass Frauen stärker von Armut bedroht sind als Männer, hat mit den Unterschieden in den Rentenbezügen zu tun: Laut Generalinspektion der Sozialversicherung (IGSS) lag 2022 im Regime des Privatsektors die monatliche Durchschnittsrente der Frauen bei 2 464 Euro, die der Männer bei 4 063 Euro. Ein gender pension gap, wie die EU-Kommission ihn nennt, klafft in allen EU-Staaten (und in Norwegen). In Luxemburg ist er mit 38,3 Prozent der drittgrößte nach Malta (45%) und den Niederlanden (40%).

Der Eindruck, dass Altersarmut vor allem Rentnerinnenarmut bedeutet, verstärkt sich beim Blick in eine IGSS-Statistik, die Renten von Männern und Frauen in Hundert-Euro-Tranchen aufschlüsselt und die Häufigkeit der Renten pro Tranche angibt. Unter den ansässigen Pensionierten, um die es gehen muss, wenn von Altersarmut in Luxemburg die Rede ist, bekommen im Regime des Privé 53 Prozent der Frauen lediglich die Mindestrente oder noch weniger. Dagegen sind nur 14 Prozent der Männer so schlecht dran. Anspruch auf Mindestrente besteht nach 40 Beitragsjahren (oder Ersatzzeiten, wie etwa „Babyjahren“). Für jedes fehlende Jahr wird die Rente um ein Vierzigstel gekürzt. So kommt es, dass die IGSS-Statistik bei den Frauen bis zur Tranche 500 bis 599 Euro Prozent-Anteile an Rentnerinnen ausweist, die so kleine Beträge beziehen. Männliche Rentner hingegen werden schon ab der Tranche 1 600 bis 1 699 Euro so selten, dass ihre Häufigkeit kleiner als ein Prozent ist.

Der geringe Rentenbezug der Frauen ist die Folge kurzer oder unterbrochener Berufslaufbahnen, schlimmstenfalls gar keiner Laufbahn, sowie von Teilzeitarbeit. Was auch auf Männer zutreffen kann, aber offensichtlich viel seltener ist. Gehen Einwanderer/innen in Rente, haben sie oft nur eine teilweise Luxemburger Beitragskarriere, was die Rente senkt.

Details über diese Zusammenhänge sind unbekannt. Einen Hinweis lieferte während den Debatten zur Rentenreform von 2012 die Pensionskasse CNAP: Unter den Männern, die in den Jahren 2000 bis 2005 frisch pensioniert worden waren, fehlte denen, die eine vorgezogene Rente mit 60 antraten, nicht in einem einzigen Fall auch nur ein Jahr zu den 40 Beitragsjahren, nach denen Anspruch auf eine volle Rente besteht. Den neu pensionierten Frauen im gleichen Alter fehlten durchschnittlich sechs. Und hatten Männer, die erst mit 65 in Pension gingen, dies offenbar nicht selten auch getan, um ihre Beitragslaufbahn aufzubessern, weil sie sogar im legalen Renteneintrittsalter im Schnitt noch vier Jahre für den Vollrentenbezug hätten vorweisen müssen, fehlten den 65-jährigen Neu-Rentnerinnen 13 Jahre (d’Land, 13.4.2012).

Dass Altersarmut strukturell vor allem Frauenarmut bedeutet, rührt auch aus der beträchtlichen Zahl derer her, die keinerlei Altersrente beziehen. Die genaue Zahl ist unbekannt, aber schon die der Empfängerinnen einer Mammerent von 86,54 Euro aus dem na-
tionalen Solidaritätsfonds pro Kind und Monat ist mit 7 322 groß. Zwar ist sie rückläufig, war 2006 fast doppelt so groß (14 572). Sie fällt aber ins Gewicht, gemessen an den 33 437 ansässigen Altersrenten-Empfängerinnen im Regime des Privé, wenn man bedenkt, dass 53 Prozent dieser Pensionierten höchstens die Mindestrente beziehen.

Dagegen können solche strukturellen Zusammenhänge nicht erklären, weshalb die Armutsrate bei den Pensionierten, beziehungsweise den ab 65-Jährigen in den Jahren zwischen 2010 und 2022 stärker zugenommen hat als in der Gesamtbevölkerung.- Womöglich müsste das Gegenteil der Fall sein, weil die Frauenerwerbstätigkeit steigt, was zu mehr Rentenrechten führt. 2019 war Luxemburg mit einem gender pension gap von 46 Prozent noch Spitzenreiter im europäischen Ländervergleich. Ein Echo aus der Zeit, als hierzulande die Hausfrauenehe mit wirtschaftlicher Abhängigkeit vom Gatten bis zum Tode als erstrebenswert galt.

Dennoch nahm die Armutsrate der ab 65-Jährigen, wie die EU-Kommission sie angibt, zwischen 2019 und 2022 von 9,3 Prozent auf elf Prozent zu, bei den Männern wie den Frauen um 1,8 Prozentpunkte.

Dass sich dabei die Pensionsreform von 2012 auswirkt, könnte sein, denn sie sorgte für eine über 40 Jahre gestreckte strukturelle Kürzung auch der kleinen Renten; aus Beiträgen auf den einfachen Mindestlohn etwa. Dagegen wurde die Mindestrente durch die Reform leicht aufgebessert.

Vielleicht ist der wichtigste Grund für das Wachstum der Altersarmutsrate der, dass die Mindestrente einfach zu niedrig ist. Dass sie, anders als ihr Name es suggerieren mag, nicht vor Armut schützt, ergibt sich sogar aus den offiziellen Zahlen: 2021, dem Jahr, für welches das Statec vor zehn Monaten die Armutsgrenze mit 2 124 Euro angegeben hatte, lag die Mindestrente mit 1 908 Euro deutlich unter dieser Schwelle. Noch deutlicher darunter lagen die durchschnittlich 1 810 Euro, zu denen die Mindestrente netto wurde.

Dass das keine adäquate Leistung sein kann, wird auch im Vergleich mit dem vom Stacec im Juni 2023 präsentierten „Budget minimum des seniors“ deutlich: Um eine „vie décente“ führen zu können, hätte eine alleinlebende Person im Rentenalter zu Preisen vom November 2022 mindestens 2 551 Euro im Monat benötigt, ein Paar 3 471 Euro. Mit der Randbemerkung, dass diese Beträge für Haushalte berechnet wurden, die zur Miete wohnen. Am Ende schlägt sich im steigenden Armutsrisiko der über 65-Jährigen auch der stetige Zuwachs der Wohnkosten nieder. Der Bericht der EU-Kommission hält fest, dass 6,1 Prozent der Luxemburger/innen in dieser Altersgruppe unter einem „Housing cost overburden“ leiden, weil sie mehr als 40 Prozent ihres verfügbaren Einkommens für Wohnzwecke ausgeben müssen. Zwar lag der EU-Durchschnitt 2022 mit 9,7 Prozent noch um einiges höher, aber immerhin.

Peter Feist
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