Die LSAP hört nicht auf, nach den Pensionen beim Staat zu fragen. Vielleicht bringt sie damit die Rentenreform der CSV zum Stillstand

Ob die CGFP sich in die LSAP verliebt?

Die CGFP-Führung bei der Saalkundgebung der Staatsbeamtengewerkschaft am 29. April im Dommeldinger Parc Hotel
Photo: Sven Becker
d'Lëtzebuerger Land du 21.06.2024

Vielleicht meinte CSV-Premier Luc Frieden es doch nicht so ernst, als er am Ende der Debatte über den état de la nation vorigen Donnerstag im Parlament die Abgeordneten einlud, Fragen an die Regierung in Zukunft spontaner zu stellen: „Tac au tac, wéi am Ausland.“ Denn als Mars Di Bartolomeo (LSAP) das gleich am Premier selber ausprobierte, zog der es vor, nicht zu antworten.

Dabei hätte Luc Frieden die eine Frage, welche gemeinsame Steuerklasse der Regierung mit ihrer Steuerreform vorschwebt – 1, 1a oder 2 –, mit „das ist verfrüht“ beantworten können. Und die zweite, ob eine Rentenreform auch für die Pensionsregimes im öffentlichen Sektor gelten soll, mit „selbstverständlich“. Schließlich unterscheiden sich seit der Reform von 1998 die Regimes im Public von dem im Privé nur noch in einem Punkt.

So einfach aber scheint das nicht zu sein. Als Frieden in seiner Erklärung zur Lage der Nation die Renten erwähnte und ankündigte, „an der Sich no engem breede Konsens wäerte mir och proaktiv d’Gespréich mat där Generatioun sichen, déi am wäitste vun der Pensioun fort ass, mee am längsten mat de Konsequenzen vun eisen Decisioune liewe muss“, schickte die Staatsbeamtengewerkschaft am Tag danach eine „deutliche Warnung“ an die Regierung: Je größer die Diskussionsrunde würde, desto schwerer werde ein „vernünftiger Konsens“ zu haben sein. Oder komme es der Regierung darauf an, „Uneinigkeit herbeizuführen, damit die politischen Entscheidungsträger danach im Alleingang handeln“? Das wäre in den Augen der CGFP „unverantwortlich“. Die geeignete Runde für die Rentendiskussion sei „das bewährte Tripartite-Modell“.

Doch so entschlossen, wie die CGFP mit ihrer „Warnung“ wirkte, möchte sie sich über diese Pressemitteilung hinaus nicht weiter zu den Renten äußern, wenn man sie fragt. Und nicht über das Interview hinaus, das ihr Präsident Romain Wolff am Montag dem Radio 100,7 gab: Es gehe der CGFP nicht darum, die junge Generation von einer Debatte auszuschließen, sondern um die Begrenzung des Teilnehmerkreises. Sozusagen als strategisches Prinzip. Aber damit soll es erst einmal genug sein. Die CGFP hält sich nun ähnlich zurück wie der Premier, der nichts zu den öffentlichen Pensionsregimes sagen wollte. Beide Seiten vermeiden es, die jeweils andere zu reizen. Es sind ja auch bald Sommerferien.

Dass eine erweiterte Rentendebatte politisch unübersichtlich würde, hätte die CGFP vielleicht besonders zu fürchten. Dass dann die Pensioune beim Staat auf den Tisch kommen, ist unausweichlich. Was daraus folgen kann, deutete vor fünf Wochen eine von der Zeitschrift Forum organisierte Diskussion mit Spitzenleuten der Partei-Jugendverbände an: Als sie darauf zu sprechen kam, dass ein Drittel der im öffentlichen Sektor (Staat, Gemeinden und Eisenbahner der CFL) ausgezahlten Renten bei 8 000 Euro und mehr pro Monat liegen, meinte der Vertreter der Jonk Lénk, so hohe Renten müssten „runter“. Der Ko-Präsident der Jungsozialisten fragte sich, „ob der Staat diese hohen Renten weiter unterstützen sollte“ (d’Land, 17.5.2024).

Dabei sind diese hohe Pensionen Echos der Vergangenheit. Für frühere Staatsbeamte fielen, teilt das Ministerium des öffentlichen Dienstes mit, 94 Prozent der zum 1. Januar dieses Jahres ausgezahlten Pensionen ins „Übergangsregime“. Jenes Regime, in dem die Pension auf den letzten Bezügen berechnet wird und brutto bis zu fünf Sechstel davon erreichen kann. Mit dem Schüren von Sozialneid darauf hatte ADR-Vorläufer Aktionskomitee 5/6 bei den Kammerwahlen 1989 auf Anhieb vier Sitze errungen, 1994 das ADR Fraktionsstärke erlangt. Fünf Sechstel gelten seit der Pensionsreform von 1998 im öffentlichen Sektor für alle bis dahin schon Pensionierten weiter. Bis zu fünf Sechstel bei der Pensionierung können es für Aktive sein, die ihren Dienst bei Staat, Gemeinden oder CFL vor dem 1. Januar 1999 antraten. Je später der Dienstantritt erfolgte, desto näher liegt die Pension bei 72 Prozent der letzten Bezüge (fünf Sechstel sind 83,33 Prozent). Das Ministerium des öffentlichen Dienstes geht davon aus, dass im Jahr 2046 die letzten Alterspensionen für Staatsbeamte im Übergangsregime neu zuerkannt werden.

Weil es sich dabei um historische Pensionen handelt, wären sie in einer großen Debatte – der Premier sprach im état de la nation davon, „all Bierger“ zu beteiligen – vermutlich nicht schwer zu begründen. Nicht so leicht zu hantieren wäre mit dem einzigen Unterschied, der seit dem 1. Januar 1999 die öffentlichen Pensionsregimes von Staat, Gemeinden und CFL vom Regime des Privatsektors noch trennt: In Letzterem werden Rentenbeiträge höchstens auf fünf Mal den Mindestlohn erhoben. Wer brutto mehr verdient, führt nicht mehr an die Rentenkasse ab. In den öffentlichen Regimes gibt es so einen Cotisatiounsplaffong nicht.

Renten ohne Limit aber folgen daraus nicht. Die Berechnung der Beamtenpensionen basiert immer auf statutarischen Bezügen. Die sind sehr wohl begrenzt; die höchste Gehaltsstufe S4 beim Staat gilt für den Premierminister. Allerdings herrscht über die Pensionen im öffentlichen Sektor Intransparenz. Publik gemacht wird nur das Nötigste. Und selbst diese wenigen Informationen können in die Irre führen, wenn Fünf-Sechstel-Pensionen mit solchen aus dem neuen, seit 1999 geltenden Regime zusammengeworfen werden. In einer Rentendebatte „mat all Bierger“ könnte sich das rächen. Denn vielleicht kommt der politische Vorschlag auf, auch in den drei Regimes des öffentlichen Sektors ein Beitragslimit einzuführen, und gewinnt im Laufe der Diskussion an Attraktivität.

Gegen so ein Limit hat die CGFP sich immer gewehrt. Zuletzt ihr Präsident am Montag im 100,7: „Das wäre eine Verschlechterung.“ Die wechselnden Regierungen verstanden das. Sonst wäre im höheren Staatsdienst die Forderung nach einem Zusatzrentensystem aufgekommen, ähnlich dem „zweiten Pfeiler“ im Privatsektor, den Betriebs-Zusatzrenten. Weil Zusatzrenten beim Staat kaum etwas anderes sein könnten als ein Extra im schon bestehenden System für besonders viel verdienende Beamte, erschien diese Neuerung politisch viel zu aufwändig. Ausgaben hätten sich dadurch ebenfalls kaum sparen lassen. Der Staat bezahlt ja ohnehin.

Umso verdächtiger muss der CGFP vorkommen, dass die CSV-DP-Regierung in ihren Koalitionsvertrag geschrieben hat, betriebliche und private Zusatzrenten steuerlich stärker zu fördern, werde „analysiert“. Und dass sie das in Verbindung bringt mit der „langfristigen Absicherung“ der Renten. Zwar sind unter den 134 500 privaten Altersvorsorgeverträgen, die Ende 2022 allein bei Versicherungsunternehmen registriert waren, vermutlich nicht wenige von Beamten. Doch wie CSV-Sozialministerin Martine Deprez gegenüber dem Land Anfang des Jahres feststellte, „werden die meisten dieser Verträge zur Optimierung der Steuererklärung abgeschlossen“ und nicht zum Rentensparen (d’Land, 5.1.2024). Soll das eines Tages anders sein – was am Finanzplatz natürlich begrüßt würde – müsste der „dritte Pfeiler“ der Altersvorsorge vielleicht ganz neu entworfen werden. Oder der Anreiz zum Sparen im dritten Pfeiler würde durch Abbau im ersten hergestellt. Zum Beispiel durch die Ausdehnung der Beitragsobergrenze im Privatsektor auf den öffentlichen. Die CGFP müsste das mindestens als Affront auffassen.

Und die Regierung müsste es wollen. Die erste DP-LSAP-Grüne-Regierung dachte darüber nach, weiterzumachen, wo 2012 die damalige CSV-LSAP-Regierung mit der von Luc Frieden und Mars Di Bartolomeo entworfenen Reform aufgehört hatte. Weil sie fand, dass das auch bedeutet hätte, einen Plaffong beim Staat einzuführen, ließ sie die Finger davon.

Noch ist ist nicht klar, was für eine Rentenreform die DP-CSV-Regierung anstrebt. Nach wie vor vermeidet sie es, diesen Begriff zu benutzen. Luc Frieden gebrauchte ihn im état de la nation, um zu relativieren: „Egal ob a wéi eng Reformen aus dem Debat ervirginn...“ Wer „ob“ sagt, kann sich sogar vorstellen, dass nichts passiert.

Ziemlich klar ist, dass die Regierung abwarten will, was für eine Stellungnahme der Wirtschafts- und Sozialrat zu den Renten macht. Noch vor den Sommerferien soll sie vorliegen. Zu vermuten ist, dass die Gewerkschaften und der Unternehmerdachverband UEL sich nicht einig sein werden. Dass Erstere sagen werden, es müssten vor allem neue Einnahmen her, Letztere dagegen, dass höhere Beiträge oder neue Steuern zur Finanzierung eines ohnehin viel zu großzügigen Rentensystems Gift für den Standort seien. 2011 und 2012 waren die Positionen dieselben. Die Rentenreserve für den Privatsektor umfasste damals elf Milliarden Euro. Die CSV-LSAP-Regierung streckte ihre Reform über 40 Jahre. Ende 2022 – der letzte offiziell bekannte Stand – war die Rentenreserve 24 Milliarden schwer. Wer weiß, wie lange die Sozialministerin dabei bleibt, die 2012 beschlossenen 40 Jahre auf 20 Jahre verkürzen zu wollen?

Auch, falls der mit ziemlich vielen Wassern gewaschene Ex-Minister Mars Di Bartolomeo dabei bleibt, nach den „Pensionen beim Staat“ zu fragen. Dass Luxemburg fast ein Einheits-Rentensystem hat, abgesehen vom Übergangsregime mit fünf Sechsteln, ist dabei wahrscheinlich gar nicht der Punkt. Sondern die Unterschiede in der Finanzlage beider Systeme – die groß sind.

Das ergibt sich beim Blick auf den Mehrjahreshaushalt 2023-2027, den CSV-Finanzminister Gilles Roth im März präsentiert hatte: Für den öffentlichen Dienst würden die Pensionsausgaben von 1,2 Milliarden Euro im Jahr 2023 auf 1,5 Milliarden im Jahr 2027 zunehmen. Damit das klappt, muss die Staatskasse dem Fonds de pension, dem staatlichen Spezialfonds, aus dem alle Staats-Pensionen bezahlt werden, dieses Jahr voraussichtlich 904 Millionen zuschießen, 2027 rund 1,1 Milliarden. Denn die Einnahmen schätzt der Mehrjahreshaushalt nur auf 365 Millionen dieses Jahr und auf 382 Millionen im Jahr 2027. Wobei, wie das Ministerium des öffentlichen Dienstes auf Anfrage präzisiert, der Beitrags-Anteil von acht Prozent auf den Bruttobezügen der aktiven Beamten dieses Jahr 265 Millionen ausmachen dürfte. Weitere 100 Millionen sind Transfers aus der Rentenkasse CNAP für Beamte, früher salariés oder Staatsangestellte waren.

Würde man 265 Millionen Euro aus Beiträgen weitere 265 Millionen als part patronale und denselben Betrag als Fiskalanteil hinzurechnen, ergeben sich 795 Millionen. 895 Millionen mit 100 Milionen Euro an Transfers. Jene Summe, mit der man die Einnahmen zur Finanzierung der Renten im öffentlichen Dienst mit den Umlageregeln im Privé vergleichen könnte. Bei Staats-Rentenausgaben von 1,269 Milliarden dieses Jahr wäre der Fonds de pension tief im Defizit – gliche die Staatskasse nicht alles aus. Natürlich sind die Ausgaben nicht zuletzt deshalb so hoch, weil Fünf-Sechstel-Pensionen mitgeschleppt werden. 2023 machten sie fast 97 Prozent der Staats-Pensionsausgsaben aus. Doch liegt das Argument nicht weit, dass nicht die Renten im Privé mit 24 Milliarden Euro Reserve ein Problem haben, sondern die Systeme im Public, die von der Hand im Mund leben. Vielleicht benutzt die LSAP dieses Argument, wenn es konkreter wird um die Renten. Nach der Pensionsreform 1998 wurde sie ein Jahr später aus der Regierung gewählt. Nun könnte sie ihre Chance zur Revanche wittern. Mag ja sein, dass eine große Reform des Systems angezeigt ist und „eng breet Debatt“ auch. Aber wenn die CSV daran krachend scheitert, während die Sozialisten das Herz der CGFP erringen, wäre das ein historischer Erfolg für sie.

Peter Feist
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