Vor fünf Wochen begannen offiziell die Gespräche in der Multipartite für Klima- und Umweltschutz. Aber noch wird darum gerungen, wie weit die Debatte überhaupt reichen soll

In die schöne neue Zeit

d'Lëtzebuerger Land vom 18.11.2010

Es hatte sich wie ein Versprechen zu Weihnachten angehört, was Claude Wiseler und Marco Schank, die beiden Nachhaltigkeitsminister von der CSV, am 21. Dezember letzten Jahres verkündeten, kaum dass sie vom Kopenhagener Welt-Klimagipfel zurückgekehrt waren: Im Jahr danach werde ein „Klima- und Nachhaltigkeitspakt für Luxemburg“ abgeschlossen.

Das war nicht nur ein Versprechen auf politische Partizipation, weil in der „Multipartite“, wie die beiden Minister sie nannten, die Regierung mit Patronats- und Gewerkschaftsvertretern, mit den Gemeinden und mit NGOs diskutieren wollte und die Debatte auch „nah beim Bürger“ geführt werden sollte; dort, wo sich vor allem der frühere Umweltaktivist, Bürgermeister und CSV-Generalsekretär Schank gern aufhält.

Es war auch ein Versprechen auf Gespräche mit Substanz: Zur Diskussion werde „alles, was emissionsrelevant ist“, gestellt, kündigte das Minister-Tandem an, und es werde „keine Tabus“ geben. Nicht einmal die even-tuelle Einführung neuer CO2-abhängiger Steuern sei ausgeschlossen. Das klang, als sei die Regierung entschlossen, dem größten CO2-Pro-Kopf-Emittenden und größten Pro-Kopf-Primärenergieverbraucher der EU zu einem Zukunftsentwurf auf Energieeffizienz zu verhelfen.

Eine Woche vor dem 1. Advent 2010 aber ist die Debatte nicht nur noch nicht „nah beim Bürger“ angekommen, wo sie laut Wiselers und Schanks Timing vom letzten Jahr schon seit Wochen sein sollte. Die Gespräche in vier thematischen Arbeitsgrupen haben erst am 11. Oktober begonnen. Vor allem aber könnte kurz vor Weihnachten, ziemlich genau ein Jahr nach den ersten großen Ankündigungen, das „Partenariat pour l’environnement et le climat“ womöglich schon in seine erste große Krise geraten.

Denn dann tritt das Comité de pilotage wieder zusammen, das alle übergreifenden Fragen klärt, und wird entscheiden müssen, worin überhaupt die Mission der Multipartite besteht. Je nachdem wie die Antwort ausfällt, könnten NGOs wie der Mouvement écologique, Greenpeace, die Caritas oder die Action solidarité tiers monde die Partnerschaft schlimmstenfalls sogar verlassen.

Dabei existiert schon seit Mitte September ein Konsenspapier aller Beteiligten als Arbeitsgrundlage für die Multipartite. Das ist nicht wenig, denn darin erklären so unterschiedliche Interessenvertreter wie etwa Greenpeace und die Fedil zum Beispiel, das alles unternommen werden müsse, damit die Erwärmung der Atmosphäre bis zum Jahr 2050 zwei Grad nicht übersteigt. Doch in solchen guten Vorsätzen liegt ein Problem: Sie schreiben sich leicht hin, weil sie im Copenhagen Accord vom letzten großen Klimagipfel ebenso stehen wie in den Publikatio-nen des Wissenschaftler-Panels IPCC, und in den einschlägigen Beschlüssen der EU-Staats- und Regierungschefs genauso wie im Regierungsprogramm von CSV und LSAP. Die Frage ist halt nur, ab wann „alles“ zu unternehmen wäre – dem Vernehmen nach wird sie von den Teilnehmern am Partenariat unterschiedlich beantwortet.

Vonseiten vierer NGOs erschien am 11. Oktober, dem Tag, als Marco Schank in der Abtei Neumünster feierlich die Arbeitsgruppengespräche eröffnete, und einen Tag, bevor Finanzminister Luc Frieden (CSV) im Parlament den Haushaltsentwurf für nächstes Jahr vorstellte, ein empörter Brief: Im Budget pluriannuel sehe die Regierung vor, über den Kioto-Fonds zur Finanzierung von Klimaschutzmaßnahmen bis 2014 in steigendem Umfang Emissionsrechte im Ausland einzukaufen. In der Tat sind nächstes Jahr dafür 70 Millionen Euro veranschlagt, sind es 93 Millionen für 2012, 99 Millionen für 2013 und 97 Millionen Euro für 2014.

Die Empörung der NGOs ist nicht nur als Vorwurf auf weiteren „Freikauf“ und dass die Regierung die Multipartite von vornherein nicht ernst nehme zu verstehen. Die Ausgabenplanung für den Kioto-Fonds, den vor allem ausländische Tankkunden seit 2007 durch einen kleinen Aufschlag auf Benzin- und Dieselakzisen speisen, ist auch fachlich merkwürdig. Seit dem Spätsommer liegen für Luxemburg neue CO2-Daten vor. Die Bilanz ist zwar noch vorläufig, aber nicht mehr so schlecht wie vor der Aufstellung des ersten nationalen Klimaschutz-Aktionsplans unter dem damaligen Umweltminister Lucien Lux (LSAP) vor vier Jahren. Damals sah es so aus, als werde Luxemburg am Ende der „Kioto-Periode“ im Jahr 2012 mehr CO2 ausstoßen als im Referenzjahr 1990, obwohl man sich eigentlich zu einer Emissionssenkung um 28 Prozent verpflichtet hatte. Dagegen könnten, den jüngsten Zahlen nach, die Emissionen Ende 2009 um fast neun Prozent unter denen von 1990 gelegen haben. Mit Blick auf 2020 sind die Aussichten sogar noch besser: Weil für das unilaterale Ziel der EU für die Zeit nach Kioto das Jahr 2005 als Bezugspunkt gilt und Luxemburg damals sehr viel emittiert hat, könnte das Einsparziel für 2020 (minus 20 Prozent) im vergangenen Jahr schon fast zur Hälfte erreicht worden sein.

Natürlich sind die guten Nachrichten aus der nationalen CO2-Bilanz zum Teil krisenbedingt, wenngleich unklar ist, in welchem Maß genau. Aber damit wird das politische Problem in der Klima-Multipartite umso deutlicher: Ihre Geschäftsgrundlage scheint momentan darin zu bestehen, dass gesammelt werden soll, was an Vorschlägen zur Emissionsreduktion aus den thematischen Arbeitsgruppen kommt – aus der Gruppe für Mobilität, der Gruppe für Energie und Ökotechnologien und der Gruppe für Stadtplanung und Wohnungsbau. Die vierte Gruppe soll klären, welche Maßnahmen zur Anpassung an die Folgen des Klimawandels, die sich nicht mehr abwenden lassen, ergriffen werden sollen, und hat nicht viel zu tun mit dem Umbau Luxemburgs hin zu einer zur energieeffizienteren Gesellschaft.

Was geschehen soll, falls die Vorschläge aus den einzelnen Arbeitsgruppen nicht ausreichen, um durch Maßnahmen im Lande selbst genug CO2 einzusparen, wird eines der Themen für die Sitzung des Comité de pilotage kurz vor Weihnachten sein. Es ist eigentlich eine Frage an die Regierung, beziehungsweise an die beiden Nachhaltigkeitsminister: Wollen sie sich zufrieden geben mit dem Konsens, der in der Multipartite erreicht werden kann, oder verfügen Claude Wiseler und Marco Schank über eine politische Agenda, mit der sie ihre Gesprächspartner unter weiteren Verhandlungsdruck setzen könnten?

Was bisher zum Thema verlautete, lässt eher glauben, dass der kleinste gemeinsame Nenner schon hinreichend sein werde: Es gehe einerseits darum, den zweiten nationalen Klimaschutz-Aktionsplan aufzustellen, andererseits den Plan zur Anpassung an den Klimawandel, gab Marco Schank am 11. Oktober als Marschrichtung vor. Das ist bürokratisch genug, dass damit nicht mehr gemeint sein könnte, als die Bringpflicht gegenüber der EU-Kommission zu erfüllen, die von den Mitgliedstaaten die Einsendung der Aktionspläne erwartet. Dazu passt auch, dass Schank am Samstag letzter Woche im Gespräch mit dem Radio 100,7 in dessen Sendung „Riicht eraus“ daran erinnerte, „was für ein Geschrei“ es vor vier Jahren bei der Einführung der CO2-abhängigen KFZ-Steuer gegeben habe, und meinte, so eine Lenkungsmaßnahme bekomme man „nur mit einem breiten Konsens fertig“. Sollen, da die neue Steuer seinerzeit ohne breiten Konsens eingeführt wurde, dem Volke diesmal neue Ungeheurlichkeiten von vornherein nicht zugemutet werden?

Letztlich ist es auch eine Frage an das Selbstverständnis des nach den letzten Wahlen gebildeten „Superministeriums“ für Nachhaltigkeit, ob in der Multipartite tatsächlich nur bottom up verhandelt werden soll. Falls ja, könnte der Zweck der Fusion der Ressorts nicht zuletzt darin bestanden haben, dasjenige für Umwelt zu schwächen.

Peter Feist
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