Straßenbau und Umweltschutz

Der Stau als Lehrmeister

d'Lëtzebuerger Land vom 10.08.2000

d'Lëtzebuerger Land: Herr Goerens, weil Sie als Umweltminister die neuesten Überland-Straßenbauprojekte mittragen, behaupten Déi Gréng, Sie hätten innerlich demissioniert. Stimmt das?

Charles Goerens:Wir leben in einem Land mit außerordentlich starkem Wirtschaftswachstum. Unser Wohlstand zieht immer mehr Leute an, also nehmen auch die Umweltbelastungen zu. Der Verkehr ist zu einem Problem geworden, das Jahr für Jahr größer wird. Das Umweltministerium versucht, sich an Lösungen zu beteiligen, die nachhaltigen Charakter haben, und wir wählen todsicher nicht jedes Mal die Lösung, die dem Weg des geringsten Widerstandes entspricht. Wer das Gegenteil behauptet, ist den Beweis dafür noch immer schuldig.

Die Studie der Straßenbauverwaltung  über die Entwicklung des Verkehrs sagt voraus, dass die Ostvariante der Nordstraße nicht überall dort, wo sie eine Entlastung bringen soll, auch eine Entlastung bringen wird. Auf dem Kirchberg sei mit Staus und wachsendem Verkehr sogar bis in die Wohnviertel zu rechnen. Müsste angesichts dieses Szenarios der Umweltminister nicht noch einmal zum Nachdenken auffordern? Zumal wir wissen, dass die Trasse durch den Gréngewald ökologische Schäden verursachen wird?

Die Diskussion war schon abgeschlossen, ehe die Studie publiziert worden war. Als die Debatte im Parlament vor sechs Wochen noch einmal angekurbelt wurde, hat die Bautenministerin gesagt, an der Ost-Trasse werde nichts geändert, und sämtliche Fraktionen sind bei jenen Positionen geblieben, die sie vor drei Jahren bei der Verabschiedung des Nordstraßengesetzes hatten.

Womöglich hätten sie anders reagiert, wenn die Studie vorgelegen hätte.

Aber was steht denn drin? Die Straßenbauverwaltung kann sich nun den Anschein geben, frei sprechen zu können. Aber um zu wissen, dass auf den Autobahnen von Trier, Ar-lon und Metz der Verkehr zunimmt, brauchen wir diese Studie nicht. Dass wir ein Transitland sind, ist be-kannt. Dass die Autobahnen so angelegt wurden, dass sich die drei Achsen in der Region um die Hauptstadt kreuzen, auch. Dass der Schlauch irgendwann voll sein wür-de, war ebenfalls schon früher abzusehen. Meine Position während der Diskussion der Nordstraße war vor Jahren die, dass wir den Leuten aus dem Norden nicht verbieten kön-nen, ebenso leicht in die Hauptstadt zu gelangen wie die aus Trier, Arlon oder Thionville. Kann sein, ich hätte mit dieser Haltung nie Umweltminister werden dürfen.

Aber was werden die Leute aus dem Norden von der Nordstraße haben, wenn sie vor dem Kirchberg im Stau stecken bleiben?

Die Einsicht, dass es besser ist, öfter auf den öffentlichen Transport umzusteigen. Geschieht das nicht, werden wir sehen, welchen Spielraum wir haben, um auf Alternativlösungen umzusteigen.

Müssen wir für diese pädagogische Maßnahme wirklich 15 Milliarden Franken verbauen und unser größtes zusammenhängendes Waldgebiet zerschneiden?

Das Gesetz ist verabschiedet, und das Parlament will es nicht außer Kraft setzen. Ich muss das zur Kenntnis nehmen. Alex Bodry war als Umweltminister 1992 gegen die Ostvariante, aber er hat sie nicht verhindern können. Wenn man dagegen den Kompromiss sucht, können auch Alternativlösungen zur Sicherung der Mobilität gefunden werden. Dass wir ein integriertes Verkehrskonzept brauchen, dahinter stehe ich. Wir brauchen Auffangparkplätze auf den drei Autobahnen, die in die Hauptstadt führen, und wir brauchen Auffangparkplätze mit viel größerer Kapazität dort, wo schon ein öffentlicher Transport in die Stadt möglich ist. Damit ist aber der Spielraum für Alternativen noch nicht ausgereizt.

Es ist doch aber so: Wir bauen die Ostvariante, wir bauen die Umgehungsstraßen im Westen. Da werden Entscheidungen getroffen, Milliarden Franken ausgegeben, aber im öffentlichen Transport tut sich nichts.

Das stimmt nicht. Es wurden schon eine ganze Reihe neuer Busverbindungen eingerichtet. Das darf man nicht unterschlagen. Es ist auch nicht wahr, dass in punkto BTB nichts gemacht werden könnte. Meine Haltung ist noch immer die: Wenn die Gemeinde Luxemburg keine Tram-Verbindung vom Bahnhof ins Zentrum will, dann soll das, was von BTB realisiert wird, aber so gebaut werden, dass diese Verbindung später hinzu gefügt werden kann.

Unterdessen hält das Bautenministerium den dreispurigen Ausbau der Arloner Autobahn für nötig, und auch über die Schließung des Autobahnrings um die Hauptstadt wird nachgedacht.

Damit könnte ich nur einverstanden sein, wenn vorher alles getan wurde, um die Mobilität ohne diese baulichen Änderungen zu verbessern. Das schließt natürlich eine optimale Ausnutzung des öffentlichen Transports ein, und ein großes Verdienst der Verkehrsstudie ist es, dass sie mit Nachdruck sagt, er müsse einen hervorragenden Platz in der gesamten Verkehrskonzeption erhalten. Es ist aber auch jetzt schon möglich, stärker auf den öffentlichen Transport umzusteigen. Besser, man ändert seine Gewohnheiten nicht erst in dem Moment, wenn gar nichts mehr geht. Die Leute müssen meiner Meinung nach von selber stärker auf den öffentlichen Transport zugehen.

Müsste nicht aber beispielsweise im Alzettetal schnell etwas geschehen, wenn die Nordstraße, wie auch die Bautenministerin die Sache sieht, nun doch keine Entlastung der Nationalstraße 7 bringt?

Dann kommt BTB wieder auf den Tisch. Es hat ja den Vorteil, ein integriertes Konzept zu sein. Ich stelle aber fest, dass es in den nächsten fünf Jahren nicht wird realisiert werden können.

Wieso? Liegen die letzten beiden Studien, die die Koalition noch abwarten wollte, schon vor?

Nein. Aber der Transportminister hat gesagt, dass es aufgrund der Haltung der Gemeinde Luxemburg nicht realisiert werden wird. Gegner  gibt es in allen Parteien, außer bei den Grünen. Dass BTB allein das Problem löst, bezweifle ich allerdings. Um mehr Mobilität zu be-kommen, brauchen wir einen Mix aus verschiedenen Transportmitteln, aber auch die Verantwortung der Benutzer. Doch: Andere Zeiten, andere Einsichten. Vielleicht ist es zu einem späteren Zeitpunkt möglich, innovativere Schritte zu gehen.

Aber in der Zwischenzeit verfehlen wir unsere Klimaschutzziele?

Ich werde nicht müde zu predigen, dass wir im Jahr 2010 die Rechnung präsentiert bekommen werden, wenn wir das CO2-Einsparziel verfehlen. Es ist schon jetzt absehbar, dass es wahrscheinlich durch den Benzintourismus verfehlt wird. In anderer Hinsicht bin ich ziemlich optimistisch: Wir tun viel für die Förderung erneuerbarer Energien, für Stromsparmaßnahmen und für Kraft-Wärme-gekoppelte Anlagen. Ich lasse auch prüfen, wie die Abwärme, die im Escher GUD-Kraftwerk entstehen wird, sinnvoll ausge-nutzt werden kann. Wenn jedoch der Benzintourismus sich weiterentwickelt wie derzeit, ist er das allerdynamischste Element in der Rechnung. Die aber wird immer komplexer. Im Eigenheimbau z.B. können wir mit Energieeinsparungen von 30 Prozent rechnen. Aber das gilt wohlgemerkt bei der bestehenden Häuserzahl. Falls die um 50 Prozent wächst, wären wir dem 650 000-Seelen-Staat nahe. Tritt das ein, wird man das aber nicht der Umweltpolitik oder der Energiepolitik anlasten können. Unser Land entwickelt sich, und es entwickelt sich schnel-ler, als viele es gern hätten.

Es sieht aber so aus, als liefe die Regierung dieser Entwicklung hinterher, anstatt sie zu steuern. Und Straßen werden weiterhin vom Bautenministerium geplant, nicht vom Transportministerium, nicht vom Umweltministerium, und auch die Direktion für Landesplanung im Innenministerium hat nicht unmittelbar damit zu tun. Ist das noch zeitgemäß?

Man kann sich immer fragen, ob unser Vorgehen professionell genug ist und die einzelnen Regierungsbereiche gut genug zusammenwirken. Aber die Projekte werden im Regierungsrat besprochen. Dem gehen gemeinsame Beratungen voraus. Ich habe z.B. Herrn Grethen ge-fragt, warum wir nicht Auffangparkplätze so nahe wie möglich an Arlon bauen und in den Spitzenstunden die Leute mit Bussen im 15-Minuten-Takt in die Stadt bringen kön-nen. Da gibt es aber Gemeinden, die wollen keine Busspur. Das kommt also nicht von heute auf morgen. Es bedeutet aber nicht, dass niemand sich dazu Gedanken macht. Ich spreche mit Frau Hennicot regelmäßig darüber, wie hier im Land in den nächsten zehn Jahren weitsichtig gebaut werden kann. Wir versuchen, eine Lösung zu finden, die alle Akteure einschließt, angefangen bei Ponts et chaussées und Bâtiments publics bis hin zu den Multiplikatoren in diesem Bereich: Architekten, beratende Ingenieure. Dass ich mich nicht in allen Bereichen durchsetzen kann, gebe ich gerne zu. Ich habe keine horizontalen Kompetenzen innerhalb der Regierung, ich kann die horizontale Kooperation über die Ressortgrenzen hinweg suchen. Ich will nicht, dass mein Einfluss überschätzt wird. Ich lehne es aber ab, dass immer nur ein Problem gesehen wird. Es gibt Leute, die sehen nur Straßen. Es gibt andere, die sehen nur die Umwelt. Manche versuchen, ihren Dreck möglichst leicht loszuwerden, andere sehen nur das Geld, das man damit verdienen kann. Ich bin in der Situation, die Synthese all dieser Interessen herstellen zu müssen.

Peter Feist
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