Um ihre landesplanerischen Ziele umzusetzen, will die Regierung das Verfahren zur Baulandenteignung ergänzen. Im Parlament wird jetzt darüber diskutiert, wie weit man dabei geht

Spekulationsbremse

d'Lëtzebuerger Land vom 18.11.2011

Irgendwo im Héichhaus auf dem Kirchberg, wo jetzt das Nachhaltigkeits- und Infrastrukturministerium seinen Sitz hat, liegen vier Planentwürfe, die Luxemburg in den kommenden 20 Jahren ganz wesentlich gestalten sollen. In ihnen ist verzeichnet, wo schwerpunktmäßig Wohnungen und Gewerbegebiete entstehen sollen – auch auf der grünen Wiese. Sie definieren Korridore für Straßen und Schienenwege und sie legen fest, welche Landschaften derart schützenswert sind, dass dort gar nicht oder nur unter Auflagen gebaut werden darf.

Die Pläne liegen gut verwahrt und sind streng vertraulich. Denn ihr grafischer Teil ist im Maßstab von 1: 50 000 gezeichnet, der Transportwegeplan mitunter noch detaillierter. Aber schon aus einer Auflösung 1:50 000 erkennt ein Grundstücksbesitzer, dass sein Stück Ackerland vielleicht demnächst als Wohngebiet erschlossen werden könnte. Dann könnten die Besitzer auf die Wertsteigerung ihres Terrains schon spekulieren, noch ehe die Pläne publik würden. Beim derzeitigen Stand der Dinge, weiß man im Nachhaltigkeitsministerium, steigt der Wert einer Immobilie durch solche Umwidmungen in der teuersten Lagen des Landes, der Hauptstadtregion, schnell um das Dreißigfache. Oder gar um noch mehr.

Irgendwann aber müssen die Pläne publik werden. Denn es sind so genannte Plans sectoriels der staatlichen Landesplanung. An die müssen die Gemeinden ihre Bebauungspläne anpassen, und dass ein Papier wie das über die Gewerbegebiete nicht schon längst umgesetzt wird, beklagen die Unternehmerverbände genauso, wie Umweltorganisationen entsetzt darüber sind, dass die Regierung immer mal wieder gegen den Landschaftsschutzplan verstößt, weil der halt nur ein Entwurf ist.

Weil die Spekulation zwangsläufig anziehen wird, sobald die vier Planentwürfe öffentlich werden, war schon in der vorigen Legislaturperiode die Rede davon, ins Landesplanungsgesetz eine „Spekulationsbremse“ einzubauen – eine Regelung, durch die der Wert einer Immobilie „festgelegt“ würde. Das war Anfang 2009; so alt sind die Planentwürfe schon. Doch noch vor den Wahlen mit dem neuen Instrument herauszurücken, traute sich die Regierung nicht. Stattdessen gelangte es als neuer Artikel 23 in den Entwurf zur allgemeinen Reform des Landesplanungsgesetzes, dem der Regierungsrat im März letzten Jahres zustimmte. Da steht die Spekulationsbremse nun, und demnächst wird sich der parlamentarische Nachhaltigkeitsauschuss mit diesem Kapitel befassen. Das sei eine „sehr politische Sache“, sagt der  Berichterstatter zum Gesetzentwurf, der Mamer député-maire Gilles Roth (CSV).

Schon wahr – denn in dem kleinen Artikel steht: Soll der Wert einer Immobilie festgestellt werden, dann werden Wertänderungen nicht berücksichtigt, falls sie hervorgerufen würden „par l’annonce de travaux ou opérations dont la déclaration d’utilité publique est demandée“ oder „par la perspective de modifications aux règles d’utilisation des sols“. Und ebenfalls nicht, falls der Wert sich ändert „par la réalisation, dans les trois années précédant la procédure de consultation du plan sectoriel, régional ou d’occupation du sol en question, de travaux publics dans l’enceinte du plan concerné où est situé l’immeuble et qui sont en relation avec le futur plan en cours d’élaboration“. 

Gemeint ist damit, dass der Staat zur Realisierung seiner Pläne die verplanten Terrains erwerben und vielleicht zur Enteignung im öffentlichen Interesse greifen muss. Weil das ein ganz normaler Vorgang ist und ebenso leicht einzusehen ist, dass kein Grundstücksbesitzer sich bereichern sollte, nur weil der Staat einen Plan aufgestellt hat, der vielleicht die Umwidmung eines Stücks Grünland in Bauland vorsieht, gibt es bisher noch keine ablehnende Meinungsäußerung zu der geplanten Spekulationsbremse. 

Aber reichlich vage ist die Bestimmung noch. Der neue Artikel 23 ist zwar eine ziemlich buchstabengetreue Übernahme aus dem französischen Code de l’expropriation pour cause de l’utilité publique. Doch in Frankreich gibt es seit 1996 ein Extra-Gesetz über eine „enquête sur place“, durch die festgestellt wird, wie hoch der Wert einer Immobilie unmittelbar vor der Ankündigung einer Operation im öffentlichen Interesse war, damit die „compensation juste“ für eine Enteignung berechnet werden kann. In Deutschland gibt es seit einem halben Jahrhundert paritätisch besetzte Gutachterausschüsse aus Staats- und Gemeindebeamten einerseits, Vetretern der Immobilienwirtschaft andererseits, die jede Immobilientransaktation erfassen und eine Kaufpreisliste führen, aus der für den Enteignungsfalls der „Verkehrswert“ eines Grundstücks bestimmt wird.

In Luxemburg gibt es ein solches Instrument bisher nicht. Aber Nachhaltigkeits- und Finanzministerium diskutieren derzeit einen Mechanismus, der auf die Daten der Einregistrierungsverwaltung zurückgreifen würde, bei der jede Grundstückstransaktion verzeichnet wird: Zum einen würde vor Ort ermittelt, welchen Wert in unmittelbarer Nachbarschaft zu dem betreffenden Grundstück gelegene Immoblien besaßen. Zum anderen würden für zwei „ähnliche“ Immobilien, die in einigen Kilometern Abstand, vielleicht in Nachbarortschaften, gelegen sind, die Werte ermittelt. Aus diesem Aggregat würde auf den Wert des betreffenden Terrains geschlossen.

Noch ist das Modell nicht ausgereift, und ob es den Test an der Realität besteht, wird sich vielleicht erst zeigen, wenn ein Enteignungsverfahren mit Spekulationsbremse vor Gericht angefochten wird. Aber es ist nicht allein die noch nicht abgeschlossene Suche nach dem passenden Berechnungsmodus, die die Diskussion um den Passus „Spekulationsbremse“ in der Reform des Landesplanungsgesetzes „politisch“ macht.

Denn im Grunde war der kleine Artikel im Reformentwurf ein Testballon für den Staatsrat. Man sei „ganz neugierig“, was der zu diesem „zentralen Punkt“ sagen werde, erklärte Nachhaltigkeitsminister Claude Wiseler (CSV), als er Ende Oktober letzten Jahres den Reformentwurf zum Landesplanungsgesetz im parlamentarischen Nachhaltigkeitsausschuss vorstellte.

Was der Staatsrat knapp ein Jahr später dazu schrieb, bringt Regierung und Parlamentarier in Zugzwang: Die Spekulationsbremsen-Regelung sei im Landesplanungsgesetz fehlplatziert. Denn das Gesetz über Enteignungen im öffentlichen Interesse gibt es auch noch, und wenn so wichtiges ein Instrument wie die Wertfeststellung dort nicht stehe, schaffe das Ungleichhheiten vor dem Gesetz. 

Im Nachhaltigkeitsministerium steht mittlerweile fest, dass die neue Regelung tatsächlich ins Enteignungsgesetz aufgenommen werden soll. Das aber regelt nicht nur Enteignungen, die der Staat im öffentlichen Interesse beantragt, sondern auch die durch Gemeinden, öffentliche Einrichtungen und sogar Privatpersonen beantragten, falls sie öffentliches Interesse geltend machen können. So dass zu entscheiden bleibt, wer das Instrument „Wertfeststellung“ wird benutzen können. „Pragmatisch gesehen, wäre es gut, es auch auf Gemeinden auszudehnen“, meint Gilles Roth, „aber dann fragt sich, ob das nur gelten soll, wenn eine Gemeinde eine staatliche Landesplanung umsetzt, oder etwa auch, falls eine Gemeinde zum Beispiel eine Schule bauen will und dafür Terrains braucht, was nichts mit dem Staat zu tun hätte.“

Zu diesem Punkt, der die députés-maires in der Abgeordnetenkammer in Konflikt zu Immobilienbesitzern brächte, hat noch keine Fraktion sich eine abschließende Meinung gebildet. Zu einer ersten Diskussion dieser Frage im Ausschuss, die am Mittwoch vorgesehen war, blieb am Ende keine Zeit. Das Nachhaltigkeitsministerium äußert sich zu dieser Frage ebenfalls nicht. Prinzipiell aber sei der Wertfestsetzungsmechanismus nicht nur gedacht, um Grünland als Bauland in den Perimeter aufzunehmen, sondern auch für Umwidmungen im Perimeter selbst. Und die Enteignung im öffentlichen Interesse sei ganz klar als „letztes Mittel“ für die Schaffung einer Grundstücksreserve gedacht, die die öffentliche Hand sich geben will, um im größeren Stil Wohn- und Gewerbeansiedlungen ermöglichen zu können – auch auf der grünen Wiese. 

Darüber könnte es noch Kontroversen geben – ähnlich wie zum Pacte logement, der ebenfalls Grundstücksreserven bilden helfen soll. Und wenngleich die staatlichen Plan sectoriels mit Horizont 2030 aufgestellt wurden und die Grundstücksreserve über zwei Jahrzehnte aufgebaut würde, dürfte die These, dass eine ausgeglichene Entwicklung des Landes ohne viel mehr Land in öffentlicher Hand nicht möglich sei, nicht allgemein geteilt werden. Die Handelskammer meinte zur Reform des Landesplanungsgesetzes schon, mit der Wertfeststellung als Spekulationsbremse sei sie einverstanden, aber nicht etwa mit „systematischen Enteignungen“.

Peter Feist
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