Gesundheitsreform

Die großen Fragen

d'Lëtzebuerger Land vom 18.11.2010

Als es vergangene Woche wieder Gespräche zwischen Minister Mars Di Bartolomeo (LSAP) und dem Ärzteverband AMMD gab, sah das aus wie ein Durchbruch. Dass sogar noch ein Treffen für diesen Montag angesetzt wurde, nährte die Hoffnung auf ein baldiges Ende des Service réduit der Mediziner. Stattdessen aber gingen beide Seiten am Montag erneut im Dissens auseinander. Der Bummelstreik geht vorerst weiter, und die AMMD-Spitze gab mit der Erklärung, der Minister und der Krankenhausverband EHL wollten dafür sorgen, dass nicht mehr die besten, sondern nur noch die billigsten Prothesen verschrieben werden, eine neue Schreckensbotschaft an die Patienten aus.

Dahinter steckt, dass der Konflikt nun bei den großen Fragen der Gesundheitsreform angelangt ist – den Fragen um die Zukunft der liberalen Medizin hierzulande. Sie sind von so grundsätzlicher Natur, dass es überrascht hätte, wenn tatsächlich schon am Diens-tag das Ende des Bummelstreiks ausgerufen worden wäre.

Was der Minister will, lässt sich in etwa so zusammenfassen: Damit es im Gesundheitswesen zu stärkeren und einheitlicheren Anstrengungen für Qualität und Kosteneffizienz kommt, sollen die Klinikdirektionen gestärkt werden, denn das Gros der medi-zinischen Aktivität findet in den Spitälern statt. Gestärkt würden die Klinikdirektionen, indem sie künftig weitaus mehr als bisher eine Manager-Rolle zu spielen hätten; verwirklicht werden soll das insbesondere durch eine Unterordnung der Klinikärzte unter das „Unternehmensmodell“ ihres Spitals. Zum einen soll im Kran-kenhausgesetz ein Médecin-coordinateur definiert werden. In allen Kliniken mit mehr als 175 Betten würde pro Station ein solcher Koordinator tätig. Er würde vom Verwaltungsrat der Klinik er-nannt, dem medizinischen Direktor unterstellt, und er hätte gegenüber seinen Kollegen ein gewisses Weisungsrecht, unter anderem zur Durchsetzung der spitalsinternen Politik für Qualität, Effizienz, Risiko-management und Transparenz.

Zum anderen soll ins Spitalgesetz der Médecin-hospitalier Einzug halten. Unter die neue Definition würden nicht nur die freiberuflichen Belegärzte fallen, sondern auch die festangestellten Mediziner. Der Gesetzentwurf sichert den Klinik-ärzten medizinische Unabhängig-keit zu, macht sie in allen anderen Hinsichten des Klinikalltags jedoch zu Unterstellten ihrer Direktionen.

Dass die AMMD gegen diese neuen Spielregeln opponiert, ist nicht unverständlich, denn sie könnten eine ziemlich einzigartige Situation für die Tätigkeit von Freiberuflern schaffen. Daher rühren auch die großen Erwartungen, die der Ärzteverband in das Gut-achten des Staatsrats zum Reformentwurf setzt: dass von dessen Seite juristische Einwände, vielleicht sogar Verfassungsbedenken laut werden, ist nicht auszuschließen.

Die Frage wäre dann jedoch: Wenn es ein politisches Ziel ist, in den Krankenhäusern durch mehr Organisation zu mehr Qualität und Effizienz zu gelangen, das derzeit praktizierte Modell dazu jedoch nicht taugen sollte; wenn andererseits aber die neuen Bestimmungen tatsächlich gegen das Prinzip der freien Berufs-ausübung verstoßen sollten – was wären die Alternativen? Die generelle Festanstellung der Krankenhausärzte vielleicht? Oder ein ganz neues Belegarztmodell, für das auch bisher nirgendwo klar fixierte Begriffe wie Indépendance professionnelle und Liberté thérapeutique geklärt würden? Vor einer solchen Aufgabe, die Luxemburger Klinikmedizin ganz neu zu denken, könnte sich die Politik in Kürze wiederfinden. Mit dem 16. Dezember steht der Termin für die Lesung der Gesundheitsreform im Parlament zwar schon fest. Aber vielleicht bleibt es nicht dabei.

Peter Feist
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