Mehr Ausgaben beim Personal, weniger Geld für pädagogische Innovation: Wegen der Krise wird auch bei der Bildung gekürzt

Der andere Rotstift

d'Lëtzebuerger Land vom 04.01.2013

Die Wirtschaftskrise war im Anmarsch, doch Mady Delvaux-Stehres war entschlossen: Bei der Bildung wird nicht gespart, hatte die LSAP-Unterrichtsministerin in einem Land-Interview 2010 betont. Damals konnte sie sogar auf eine Budgetsteigerung zeigen, die sich bei näherem Hinsehen freilich als nicht ganz so üppig erwies. Der damalige Anstieg ihres Budgets um rund 100 Millionen Euro erklärt sich vor allem damit, dass mit der Grundschulreform die Personalverwaltung fast komplett auf den Staat übertragen wurde. Tatsächlich wurde schon damals gekürzt,  bei der Leseförderung etwa oder bei internationalen Studien wie die Lesestudie Pirls, an deren dritter Ausgabe sich Luxemburg nicht beteiligte. Weshalb entsprechende Schreckensmeldungen dieses Jahr ausblieben. Aber immerhin: Von einem finanziellen Kahlschlag in der Bildung konnte keine Rede sein.
Auch für das Jahr 2013 wächst der Haushalt des Unterrichtsministeriums weiter, allerdings deutlich abgebremst von rund 1,33 Milliarden im Jahr 2012 auf 1,39 Milliarden Euro in diesem Jahr. Einer Studie aus dem Unterrichtsministerium über die Kosten und Finanzierung des Luxemburger Schulsystem 2010 zufolge investierte der Staat insgesamt rund 1 582 Millionen Euro ins öffentliche Bildungssystem, was rund 3,9 Prozent des Bruttoinlandsprudukts entspricht.
Das – bescheidenere – Plus liegt auch im neuen Jahr vorrangig an gestiegenen Personalkosten. Die Einstellung von Grundschullehrern und Lehrbeauftragten, von Équipes multiprofessionnelles und Erziehern auf Staatskosten schlägt mit mehr als 32 Millionen Euro zusätzlich zu Buche. Im Sekundarschulunterricht fällt der Kostenzuwachs mit mehr als 22 Millionen Euro für das Personal ähnlich hoch aus. Sie kämpfe für mehr Lehrer, hatte Mady Delvaux-Stehres 2010 versprochen.
Den Rotstift hat aber auch die sozialistische Ministerin angesetzt– und zwar unter anderem bei den Betriebskosten der Sekundarschulen. Deren Zuschüsse wurden zum Teil deutlich zurückgefahren. So erhält das Lycée Ermesinde (Ex-Neie Lycée) 2013 rund 100 000 Euro weniger. Auch das Lycee technique pour professions éducatives et sociales bekam seinen Zuschuss um 100 000 Euro gekürzt, was ein substanzielles Minus, nämlich um ein knappes Drittel, bedeutet. Das Lycée Aline Mayrisch in der Hauptstadt muss 2013 mit rund 250 000 Euro weniger auskommen, 2012 steuerte der Staat noch eine knappe Million zu den Betriebskosten bei.
Schon hört man erste Klagen von Lehrern und Sozialarbeiterinnen, die befürchten, die Schüler könnten die Leidtragenden dieser Sparmaßnahmen sein.
Dass nun demnächst massiv die Heizungen heruntergedreht und Schüler in der Kälte bibbern werden, oder Klassenfahrten und Projektwochen ausfallen, oer Schulbibliotheken schließen, muss aber keiner befürchten. Denn das Bild, das sich aus dem Budget 2013 ergibt, ist nicht komplett: Zum einen können sich einige Schulen über mehr Geld in der Kasse freuen, beispielsweise das Lycée technique Mathias Adam in Petingen, deren Betriebskosten 2013 um fast 570 000 Euro höher veranschlagt sind, oder das Lycée technique du centre, das sich bei einem Vorjahresbudget von rund einer Million Euro über ein Plus von noch einmal rund 200 000 Euro freuen darf. Auch können bestimmte Projekte aus anderen Töpfen querfinanziert sein, etwa im Bereich Gesundheit, Sport oder Transport.
Zum anderen treffen die Kürzungen nicht eben arme Schulen: Viele Lyzeen, so teilt das Unterrichtsministerium mit, hätten in der Vergangenheit Reserven angehäuft, einige so viel, dass die Finanzkontrolle diese beanstandet habe. Wie hoch die Reserven im Einzelnen sind, ist unklar, denn die Etats der Schulen sowie Informationen darüber, wie dieses Geld ausgegeben wird, sind nicht öffentlich. Nur die Finanzverwaltung kennt sie – und die Schulen. Es sind die Schulleitungen, die im Rahmen ihrer Finanzautonomie bestimmen, wie sie ihnen zugeteilte Staatsgelder ausgeben. In Zukunft werden einige vielleicht zweimal überlegen, ob sie eine Ausgabe tätigen. Das bedeutet aber nicht, dass nun Schulen drastisch ihre Angebote kürzen müssten, weil das nötige Geld fehlt. Jeannot Medinger etwa, Direktor des Lycée Ermesinde, sagte dem Land gegenüber, er habe nicht mehr Geld angefragt: „Wir haben noch Reserven“. Eben diese Polster sind wohl der Grund, warum größere Proteste seitens der Direktionen bisher ausbleiben.
Und Einsparpotenziale gibt es durchaus: Muss die Informationsbroschüre über das Schulangebot wirklich auf Hochglanzpapier gedruckt werden und Jubiläumsbücher mehrere hundert Seiten dick sein? Das Ministerium hat für sich hier ebenfalls eine Einsparmöglichkeit gesehen: Der Posten für den Druck von Broschüren und Katalogen wurden von 2,9 Millionen Euro für 2012 auf rund 1,8 Millionen Euro gedrückt. So gibt es die Fortbildungsangebote nicht mehr als gebundenen Katalog; interessierte Lehrer sind gebeten, diese auf der Ministeriumsseite herunterzuladen. Hier und da wird deswegen zwar gemault, aber im Zeitalter von Internet ist kaum mehr zu rechtfertigen, warum so viel Papier bedruckt und (kostenlos) verteilt werden muss.
Diskutieren ließe sich außerdem, ob Schulbelegschaften für ihre Journées pédagogiques wirklich in schicke Tagungshotels mit Vollpension ins (nahe) Ausland fahren müssen und die Schule die damit verbundenen Unkosten komplett übernehmen sollte. Luxemburgs Lehrer verdienen im OECD-Ländervergleich mit Abstand am meisten, sie stehen mit rund 73 000 Euro brutto pro Jahr (Grundschule) respektive 78 300 Euro brutto (Sekundarschule) bei 15-jähriger Berufserfahrung abgeschlagen an der Spitze der OECD-Gehältertabelle. Die Gewerkschaften beanstanden zwar jedes Jahr die veröffentlichten Zahlen und klagen, diese würden die jeweiligen Lebenshaltungskosten nicht berücksichtigen und auch nicht, wie viel die Personalkosten vom Gesamt-Bruttoinlandprodukt ausmachen. Aber dass es einem Lehrer mit einem Brutto-Monatsgehalt von zwischen 4 500 oder 7 000 Euro – je nach Berufserfahrung – nicht möglich sein sollte, zu einem Wochenende mit Unterkunft und Vollverpflegung finanziell beizutragen, dürfte anderen Arbeitnehmern, die sich neben der Arbeit auf eigene Kosten fortbilden müssen, nur schwer zu erklären sein.
Fakt ist zudem, dass mit jedem Euro, der für Personal ausgegeben wird, weniger Spielraum für andere Ausgaben, etwa die Schulentwicklung oder die Förderung der Schüler, bleibt. Wobei gut ausgebildete Lehrer der Garant für einen guten Unterricht sind. Aber eben diese Qualität des Schulsystems steht angesichts hoher Sitzenbleiberquoten in Frage. Und zwar nicht erst, seitdem Staatsminister Jean-Claude Juncker im RTL-Neujahrsinterview die Notwendigkeit einer „Schul- und Bildungsreform“ mit dem „enormen soziologischen Wechsel in den letzten 30 Jahren“ begründete und anmahnte, man könne „im Jahr 2017 nicht mehr unterrichten wie man im Jahr 1977 unterrichtet hat“. Das Sitzenbleiben treibt wiederum die Ausgaben für die Schulausbildung in die Höhe und zwar, so hat das Ministerium errechnet, um durchschnittlich 1,3 Prozent im Abschlussjahr des Classique und 6,9 Prozent im Régime technique, was 3 899 beziehungsweise 21 469 Euro entspricht – pro Diplom, wohlgemerkt.
Um die Qualität des Unterrichts zu erhöhen,  investiert das Ministerium verstärkt in die Weiterbildung. Der Etat des Weiterbildungsinstituts wurde von rund einer Million im Jahr 2009 auf inzwischen 1,6 Millionen Euro heraufgesetzt. Die Universität Luxemburg, mit der das Ministerium in Sachen Zwischenbilanz der Grundschulreform zusammenarbeitet, erhält ebenfalls einen höheren Zuschuss  für die Lehrerausbildung. Im Service de coordination de la recherche et de l’innovation pédagogiques et technologiques (Script) ist der Posten Innovation dieses Jahr mit rund 1,2 Millionen dotiert, im Jahr 2011 waren es noch 1,35 Millionen gewesen. Die Ausgaben für die Agence pour le développement de la qualité scolaire werden bei rund 1,07 Millionen gedeckelt, obschon der kürzlich erschienene OECD-Bericht zum Bildungsmonitoring Luxemburg verstärkte Anstrengungen und  Ressourcen in dem Bereich empfiehlt.
Ein Posten, der zentral für Innovation und Schulentwicklung ist, bleibt im Budget allerdings weitgehend unsichtbar: die Décharges. Die Finanzinspektion beobachtet deren Entwicklung mit kritischem Blick. Insbesondere geringe Nachhaltigkeit wurde in der Vergangenheit bemängelt. Seitdem hat das Ministerium die Décharges zurückgefahren – um sie im Rahmen der Berufsbildungsreform und für die Entwicklung nationaler Leistungstests (Épreuves standardisées) wieder auszubauen. Ob sich der Einsatz lohnt, ist diskutierbar: Die Berufsausbildung war – und ist es teils noch immer – das Sorgenkind des Ministeriums: Es waren unzufriedene Berufsschüler, die gegen die Berufsbildungsreform protestiert hatten und damit eine Protestbewegung auslösten, die von den Sekundarschulen unterstützt wird und inzwischen auch vor Grundschulen nicht länger Halt macht. Zumindest finanziell kehrt an dieser Front etwas Ruhe ein: Waren 2011 noch 1,14 Millionen Euro für die Umsetzung der Berufsbildungsreform vorgesehen, schrumpft dieser Posten nun auf 400 000 Euro. Bleiben die Décharges, die die Vertreter der nationalen Lehrerdelegation für ihre Vermittlungsarbeit in puncto Sekundarschulreform bekommen. Ob sich dieser finanzielle Aufwand lohnt, darüber kann sich jeder bald selbst ein Bild machen: spätestens im März, wenn die Lehrer ihre Reformvorschläge vorlegen und die Verhandlungen in die heiße Phase münden werden.

Ines Kurschat
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