„D’Erënnerung stécht am Krëppeng“, heißt es bedeutsam in En Haus wéi en Haus, dem Stück von Elise Schmit, das nach einer einmaligen Darbietung letztes Jahr nun fast regulär gespielt wird. Fast regulär, denn das Maskénada-Projekt ist wie üblich standortspezifisch und nutzt den „Krëppeng“ eines verlassenen Haus, um in die Vergangenheit seiner Bewohner einzutauchen. Regisseurin Tammy Reichling schlüpft dafür zugleich in die Rolle einer sich als Maklerin gebarenden Inspizientin, die das Publikum durch den Garten und die Räume eines leicht abgelegenen Anwesens auf Limpertsberg lotst. Während die Zuschauer_innen eine typisch kleinbürgerliche Innenausstattung begutachten können, entspinnt sich ein aus Erinnerungsfetzen und Streitszenen zusammengesetztes Familiendrama.
Nach dem Vater ist auch die Mutter dreier Geschwister gestorben, die sich nun mit dem möglichen Verkauf des elterlichen Hauses auseinandersetzen müssen. Immobiliengeschäfte sind bekanntlich Nationalsport hierzulande, und die question du logement ein sozialpolitisches Dauerthema. En Haus wéi en Haus hält seinen tagesaktuellen Bezug jedoch eher in der Latenz. Vornehmlich geht es um die grundsätzlichere Frage, wie auf so ein Elternhaus zu blicken ist. Soll man es als „en Haus wéi en Haus“ wahrnehmen, ein ganz gewöhnliches Objekt, das auf die für eine Immobilienanzeige notwendigen Angaben reduziert und somit veräußert werden kann? Oder hat es sich mit persönlichen Erfahrungen und Assoziationen so sehr vollgesogen, dass es als „Doheem“ die eigene Identität behaust?
In der knappen Stunde der Aufführung werden die namenlosen, von Annette Schlechter, Clod Thommes und Piera Jovic verkörperten Geschwister von diesen Fragen heimgesucht. (Im Folgenden stehen die Namen der Schauspieler_innen auch für ihre Figuren.) Schlechter vertritt eine pragmatisch-kalkulierende Haltung, während Thommes sich abgebrüht bis desinteressiert gibt. Ihre distanzierte Einstellung erlaubt es den beiden, oft im Tandem gegen die sentimentalere Jovic vorzugehen. Der Altersunterschied zwischen Thommes und Schlechter auf der einen und Jovic auf der anderen Seite erweckt zudem gelegentlich den Anschein einer Vater-Mutter-Kind-Konstellation. Die rebellische Tochter klammert sich an Erinnerungsstücke wie einen Teller oder eine Schale, die die Erwachsenen ohne mit der Wimper zu zucken wegwerfen würden, auch wenn die Familiengeschichte dabei mitentsorgt wird.
In der Hausbegehung überlagern sich nicht nur die Rollen, die die drei Schauspieler_innen übernehmen, sondern auch die Zeiten und Räume. In einer Szene kurz gegen Ende spricht Thommes einen Monolog im Garten – der in diesem Moment auch ein Friedhof sein könnte – und sinniert darüber, ob man Mutter und Vater über- oder nebeneinander begraben soll. In der potenziellen Schichtung der Toten schwingt das archäologische Interesse des Stücks mit. Unter dem festgefahrenen gegenwärtigen Verhältnis der Geschwister werden alte Spannungen und Konflikte freigelegt. Jovic erinnert sich im Esszimmer bei gedecktem Tisch und dampfendem Kartoffeltopf an die frühere Sitzordnung, die für sie nur die Position eines unwissenden Kindes kannte. Schlechter und Thommes stöbern in alten Postkarten und stoßen dabei auf den offenbar nie so recht verarbeiteten Abschied Jovics, den sie im Anschluss mit ihr gemeinsam durchspielen.
In einer Mischung aus Schlaf- und Badezimmer kann das Publikum die Interferenz von Vergangenheit und Gegenwart auf andere Weise erfahren. Ein Monitor zeigt, was sich hier vor kurzem ereignet hat: der Wiedereinzug Jovics in das Elternhaus, aus ihrer Sicht die Wiederaneignung eines Zuhauses, aus der ihrer Geschwistern die Zweckentfremdung einer Immobilie. En Haus wéi en Haus arbeitet öfters mit Video- und Tonaufnahmen, um seinem verwinkelten Schauplatz weitere Dimensionen hinzuzufügen. So wird man an einer Stelle etwa über Lautsprecher mit einer Auflistung von Schimpfwörtern beschallt, an die sich viele wohl nur vage aus der Kindheit erinnern. Auch sprachlich wird an diesem Abend einiges ausgegraben.
Darüber hinaus wird der Familienzwist zu Musik „ausgetanzt“, mit besonderem Einsatz Piera Jovics, die sich auch genauso akrobatisch wie unheimlich um ein Bett zu rollen weiß. Ob sich die Tanzeinlagen stets in die Handlung einbinden lassen oder einen performativen Überschuss der Inszenierung darstellen, bleibt ungewiss. Insgesamt fällt die Orientierung in der Architektur des Stücks nicht immer leicht, bleiben die Figuren trotz aller Plakativität schwer greifbar. So hat man in diesem Haus, in dem sich eine Familie selbst zu Grabe trägt, am Ende vielleicht mehr Geister und schemenhafte Bruchstücke wahrgenommen, als eigentlich nötig wäre. Angst vor einem Besuch in Elise Schmits und Maskénadas Spukhaus muss deshalb aber niemand haben.