Heute loben wir die geregelte Ordnung des Lebens. Man muss sich fragen, was plötzlich in unsere Waldfauna gefahren ist? Binnen zwei Tagen vier Verkehrsunfälle, „bei denen Fahrzeuge mit Wild kollidierten“, wie es im Polizeibericht heißt. Da stimmt doch etwas nicht. Haben wir es mit einer konzertierten Aktion zu tun, einem Komplott? Wieso bleibt das Wild –das seinem Namen offenbar alle Ehre macht- nicht einfach dort, wo es hingehört, nämlich im Gebüsch? Wieso überfallen diese Vierbeiner plötzlich unschuldige Autofahrer? Es ist ja zweifelsfrei so, dass nicht die Verkehrsteilnehmer an diesen Unfällen Schuld tragen, sondern einzig und allein das Wild. Haben wir nicht schon ausreichend Scherereien mit all den arroganten Bäumen, die uns ahnunglosen Führerscheinbesitzern mit destruktiver Energie vor die Karosserie springen?
Machen wir uns nichts vor: die einzige Daseinsberechtigung des Wilds ist, von uns Menschen der Zivilisa-tion zugeführt zu werden, also die Spielregeln des geordneten Lebens zu erlernen. Zu diesen Regeln gehört nun einmal der Respekt vor öffentlichen Straßen. Wenn fast zeitgleich auf der Strecke Waldhof-Gonderingen, der Autobahn A1 zwischen Grevenmacher und Mertert, der Autobahn A7 zwischen Colmar-Berg und Mersch und der Strecke Echternach-Gonderingen teure Autos durch vehementen Kontakt mit Wild beschädigt werden, sind unsere zivilisatorischen Anstrengungen auf einen Schlag zunichte gemacht. Dann wird es Zeit, dem Wild mal wieder die Straßenverkehrsordnung einzubläuen. Oder wenigstens innerhalb unserer Polizei eine Spezialabteilung zu schaffen: Wildabschreckungsbeamte, in kurzen Abständen aufzustellen an jedem Waldsaum.
Am nachhaltigsten arbeiten natürlich Wildabschreckungsbeamte, die nicht nur bewaffnet sind, sondern forsch eindringen ins Wildrevier und sich Jäger nennen. Diese Zivilisa-tionshelfer leisten unschätzbare Dienste beim Sozialisieren des widerspenstigen Wilds. Indem sie das Wild kurzerhand erlegen, erreichen sie zweierlei: 1) die Straßen bleiben wildfrei, es kommt nicht länger zu Verstößen gegen den Code de la route, und 2) wird das Wild solcherart in einen Zustand versetzt, der die letzte Etappe des zivilisatorischen Prozesses ungemein erleichtert. Totes Wild ist nämlich die Basis unserer gutmenschlichen Fresssucht. Die Verarbeitung zu Terrinen, Ragouts, allerlei Schmorpfannen und sonstigen Leckereien ist in der Karriere des Wilds sozusagen der Zivilisationsgipfel. Kein gut genährter Mensch würde bestreiten, dass Wild einzig und allein zum Zweck geschaffen wurde, die Kassen der Feinkostläden zu füllen.
Insofern ist es höchst kontraproduktiv, wenn wild gewordenes Wild ausgerechnet mitten in der Wildsaison die schöne Ordnung unserer Gesellschaft über den Haufen wirft. Wir sprechen hier von den vierbeinigen Selbstmordattentätern, die ohne Rücksicht auf Verluste unsere besten Verkehrswege heimsuchen. Während die Polizei bei Kollision 1 und 2 immerhin noch ein Reh und ein Wildschwein erkannte, vermerkt sie bei Kollision 3 und 4 nur mehr „ein Wild“. Das kann doch nur heißen, dass die beiden letzteren Leichen vollends unkenntlich waren, also keiner präzisen Wildgattung mehr zugeordnet werden konnten. Was soll diese barbarische Fahrlässigkeit des Wilds? Wie soll denn ein kulturell hoch motivierter Koch zu Werk gehen, wenn er sein Kochobjekt nicht einmal mehr identifizieren kann? Was schreibt er denn auf seine Menükarte? Fricassé de la chaussée?
Wenn wir es umgekehrt betrachten, müssen wir feststellen: ein Auto ist keine gute Waffe. Es ist für die fachgerechte Wildhinrichtung kaum zu gebrauchen. Viel zu schwerfällig, viel zu zielungenau. Das machen die Jäger mit ihren eleganten Schießprügeln viel besser. Sie geben nicht auf, bevor sie den finalen Schuß gesetzt haben. Unter Umständen verfolgt ein guter Jäger seinen Hirsch bis hinein in einen Fluss, ja, er schießt sogar mehrmals ins Wasser, um sicher zu sein, dass das gehetzte Tier korrekt verendet. Diese Technik werden auch die Feinkostlädenbesitzer unterschreiben. Denn ein Filet de cerf mouillé entwickelt sich unter Umständen zur kulinarischen Kreation. Wir werden uns vermutlich reißen um diese neue Spezialität. Was bei breiigen Kadavern von der Autobahn nie und nimmer der Fall sein dürfte.
Aus den bedauerlichen Zwischenfällen mit undiszipliniertem Wild können wir folgendes lernen: wir sollten immer und überall der Ästhetik des Tötens den Vorrang geben. Dass Wild von uns liquidiert werden muss, ist nun mal eine Fügung unseres mörderischen Schicksals. Das heißt aber noch lange nicht, dass wir uns wie rüpelhafte Schlächter benehmen dürfen. Wie passt es denn zur aufziehenden Weihnachtszeit, wo sich Wild auf allen Tafeln türmt, wenn wir unsere Gaumenfreuden auf blutige Massaker stützen? Geben wir unseren sauber arbeitenden Jägern also einen Freibrief. Freie Jagd auf allen Verkehrsadern! Sauberer Abschuss, bevor die unsauberen Vehikel heranrasen! Und dann, beim Schmaus, ein herzhaftes Weihnachtsdankgebet.