Drogenparadies Luxemburg

Schlechte Nachricht

d'Lëtzebuerger Land du 11.11.2010

Heute loben wir das Drogenparadies Luxemburg. Wir nennen schon viele negative Weltmeistertitel unser eigen, jetzt könnte ein neuer hinzukommen. Forscher des britischen Zentrums für Kriminalitäts- und Justizstudien (CCJS) haben soeben im Fachmagazin Lancet eine bahnbrechende, wissenschaftlich gestützte Erkenntnis veröffentlicht. Ihr Fazit lautet: Alkohol ist verheerender als Heroin. Wenn man die Wirkungen von Alkohol für Körper und Gesellschaft analysiert, zudem Kriminalität, Missbrauch, Kosten für die Wirtschaft sowie mentale und psychische Schäden in Rechnung stellt, ist Alkohol bei weitem die gefährlichste Droge überhaupt. „Deutlich weniger zerstörerisch“ sind Tabak, Kokain, Marihuana, Ecstasy und LSD.

Unser Gesundheitsminister, der sich freiwillig das Rauchen abgewöhnt hat und seine Entzugserscheinungen mit dem ständigen Lesen wissenschaftlicher Traktate kompensiert, hat womöglich auf die falschen Anti-Drogen-Kampagnen gesetzt. Nein, nein, wir möchten hier unserer Regierung auf keinen Fall einen legendären Drogenkonsum namens Alkohol unterstellen. Jeder weiß, dass die Minister der CSV-LSAP-Koalition nur Buttermilch trinken, wie ihr blühender Teint verrät. Manche glänzen sogar durch einen regelrechten Buttermilchexzess. Sie geben derart klare Gedanken von sich, dass man nur auf die inhärenten Wohltaten ihres Lieblingsgetränks schließen kann.

Doch das biedere Fußvolk, also unsereins, sitzt jetzt ganz schön in der Drogenfalle. Alkohol ist unser Alpha und Omega. Wir saufen uns alle tapfer durch die triste Existenz. Von der Wiege bis zur Bahre schwören wir auf unsere nationale Droge. Ständig im alkoholistischen Schwebezustand, surfen wir halb betäubt um die Klippen und Schluchten des undankbaren Lebens. Ohne Alkohol wären wir nicht nur ganz persönlich verloren. Unsere gesamte Kultur würde zusammenbrechen. All die Operetten, die op 20 Kilometer géint de Wand nach offenen Wein- und Bierfässern duften, all das patriotische Liedgut, aus dessen Zeilen der Weingeist tropft, all die wunderschönen Kulturveranstaltungen, die sich wie Luxusdampfer durch alkoholische Ozeane pflügen, müssten wir kurzerhand verschrotten.

Diese britische Studie ist ein nationales Drama, ein Debakel. Nicht nur die Kultur, auch der Sport ist künftig nicht mehr zu retten. Eben erst haben wir uns an das rührende Bild der Schleck-Fans gewöhnt, die Jahr um Jahr ganze Brauereiabteilungen nach Frankreich schleppen, um den Mondorfer Gebrüdern einen Teppich aus Hopfen und Malz unter die Radreifen zu schieben. Sie werden künftig wohl ihre Anfeuerungstaktik ändern müssen. An den Steilhängen des Tourmalet stehen demnächst die vereinigten Roude Léiw-Kiffer. Und die nationalen Kettenradhelden, die auch exklusiv Buttermilch konsumieren und nie auf Dopingmittel zurückgreifen, müssen sich damit abfinden, mitten durch eine endlos lange, süßliche Rauchwolke dem Gipfel entgegen zu tänzeln und scharwenzeln.

Wie wir unseren Gesundheitsminister kennen, wird er jetzt Sofortmaßnahmen ergreifen gegen die Überalkoholisierung der Nation. Uns droht nämlich ein wenig schmeichelhafter Titel: Drogenparadies par excellence, europäischer Vorreiter der verheerendsten Be­täubungsmittelverbreitung. Luxem­burg als zentraler Umschlagplatz der allergefährlichsten Droge? Unvorstellbar! Wir haben schließlich einen Ruf als katholisches Musterland zu verlieren. Beschränken wir uns also auf die minimalistischen Messwein-Rationen und fordern wir ansonsten: Schluss mit der Kriminalisierung der harmlosen Hanfpflänzchen! Wie können gestandene Alkoholapostel derart schamlos über ein Schmerzlinderungsmittel namens Cannabis herziehen? Und womöglich noch ihre Schmähreden mit einer meterlangen Fahne unterstreichen? Drogendealer gegen Me­dikamentenanhänger: unheilvoller könnte die Konstellation nicht sein.

Bei der Firma Paul Wurth, der wackeren Kämpferin gegen Fixerstuben, wird der Gesundheitsminister eine heftige Standpauke vom Stapel lassen. Die Herrschaften aus diesem Verein für Gutgläubigkeit und soziale Vernebelung werden sich wohl oder übel eine andere Zielscheibe aussuchen müssen. Dann kommen die goldenen Zeiten der Drogenbekämpfung. Paul Wurth fordert den Abriss aller Alkoholhöhlen in der unmittelbaren Umgebung der Firma. Da müssen wahre Titanen an die Front. Hollerich explodiert förmlich vor lauter Drogenlokalen. Und Paul Wurth sitzt mitten im alkoholistischen Kessel. Ein paar Bulldozer reichen nicht aus. Es muss zum exemplarischen Kahlschlag kommen. 50 weggeräumte Bistros und Schanklokale auf einmal. Das wäre ein spektakulärer Schlag gegen die Drogenringe.

Und an der Mosel geht ein alter Traum in Erfüllung: die Wangerten werden integral abrasiert und durch Hanfplantagen ersetzt. Auf der Marie-Astrid verkehren dann eben keine Weinsüffler mehr, sondern friedliche und freundliche Cannabisraucher. Und der Herr Pfarrer von Greivelschengenmacher wird gewiß auch nichts gegen einen Joint während der Messfeier einzuwenden haben.

Guy Rewenig
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