Der Escher Gemeinderat und frühere Handballer Sacha Pulli stieg im Juli zum Generalsekretär der LSAP auf. Ein Porträt

Vom „Handballgott“ zum „Pullitiker“

Sacha Pulli am 14. Juli beim LSAP-Kongress in Roodt-Syr
Photo: olivier Halmes
d'Lëtzebuerger Land du 23.08.2024

Bodenständig, bescheiden, diszipliniert, gefasst, zurückhaltend, ein Teamplayer: So beschreiben ihn sowohl Parteifreund/innen als auch politische Gegner/innen. Sacha Pulli (33) kann aber auch anders. Wie beim außerordentlichen LSAP-Parteikongress Mitte Juli in Roodt-Syr, als er sich für den Posten des Generalsekretärs bewarb: Entschlossen, kämpferisch, im Stil eines Gewerkschaftsfunktionärs energisch ins Mikrofon schreiend, verteidigte er vor den Delegierten in 180 Sekunden sein „Zehn-Punkte-Programm“, in dem er eine bessere Vernetzung zwischen Parteileitung, Bezirks- und Lokalsektionen versprach. Am Ende konnte er sich mit 57,5 Prozent der Stimmen knapp gegen seinen sechs Jahre jüngeren Kontrahenten, den LSAP-Fraktionsmitarbeiter Amir Vesali aus Wiltz, durchsetzen. Es war die erste Kampfabstimmung auf einem LSAP-Kongress seit 24 Jahren (d’Land, 19.07.2024).

Sacha Pullis Aufstieg in den Inner Circle der LSAP begann schon im Juli 2023, als er auf dem Kongress in Leudelingen die zur DP übergelaufene Monnericher Gemeinderätin Christine Schweich als Kassenwart ablöste. Einen Monat zuvor war er als Vierter auf der LSAP-Liste in den Escher Gemeinderat gewählt worden. Bei den Kammerwahlen im Oktober schaffte er es trotzdem nicht auf die LSAP-Südliste, weil die Escher Sektion mit Taina Bofferding, Liz Braz, Enesa Agovic und Lydia Mutsch schon vier Kandidatinnen stellte. 2018, bei seiner ersten Kandidatur zu den Kammerwahlen, war Sacha Pulli auf der LSAP-Südliste nur Achtzehnter (von 23) geworden.

2017 hatte der damalige Innenminister Dan Kersch ihn für die LSAP rekrutiert. In Handballerkreisen handelte er sich daraufhin den Spitznamen „Pullitiker“ ein. Kersch ist ein langjähriger Freund der Familie, er spielte gemeinsam mit Sachas Vater André Pulli Handball bei der Fraternelle, die 2001 mit der Fola zum HB Esch fusionierte. Sacha Pulli begann im Alter von vier Jahren mit dem Handball, der fortan sein Leben bestimmte. Mit 16 schaffte er den Sprung in die erste Mannschaft, trainierte mehrmals die Woche, in der Sommerpause war er mit der Nationalmannschaft unterwegs, Zeit für Urlaub blieb kaum. Mit Spielern wie Martin Muller und Christian Bock bildete er die goldene Generation des HB Esch, mit dem er sieben Mal die nationale Meisterschaft und sechs Mal die Coupe de Luxembourg gewann. 2013 erreichten sie das Finale des EHF Challenge Cup, das der HB Esch zwar gegen SKA Minsk verlor. Trotzdem bleibt es der bislang größte internationale Erfolg einer Luxemburger Handballmannschaft. Fortan galt Sacha Pulli in Esch als „Handballgott“, wie seine Parteifreundin Liz Braz erzählt. Vergangenes Jahr beendete er seine Sportlerkarriere.

Aufgewachsen ist Sasha Pulli in dem kleinbürgerlichen Escher Viertel Lallingen, sein Vater war Gemeindebeamter im Service écologique der Stadt Esch, seine Mutter Bankkauffrau bei der BGL. Nach seinem Abitur im LGE entschied er sich gegen eine Grundschullehrerausbildung und für ein Geschichtsstudium. Um weiter am Handballtraining teilnehmen zu können, ging er nicht nach Berlin, Paris oder Brüssel, sondern schrieb sich in Belval ein, sein obligatorisches Auslandssemester absolvierte er im 100 Kilometer entfernten Saarbrücken. An der Uni Luxemburg wurde der Historiker Denis Scuto zu seinem Mentor, dessen Forschungsarbeiten über die Luxemburger Arbeiterbewegung und Migrationsgeschichte ihn geprägt hätten, erzählt Sacha Pulli im Gespräch mit dem Land. Wie Scuto stammt er aus einer italienischen Einwandererfamilie (Sacha Pullis Großvater wurde schon in Luxemburg geboren), Scuto war ebenfalls noch während seiner erfolgreichen Fußballerkarriere bei Jeunesse Esch Geschichtsproff geworden, bevor er eine akademische Laufbahn einschlug. Scuto ist auch Mitglied der LSAP und im Vorstand der sozialistischen Fondation Robert Krieps, bei Wahlen kandidierte er jedoch nie. Er setzte Sacha Pulli in Verbindung mit dem Physiker, LSAP-Mitglied und früheren Aktivisten Claude Wehenkel, der ihm sein Privatarchiv öffnete, auf dessen Grundlage Sacha Pulli seine später von der sozialistischen Fondation Lydie Schmit als Buch herausgegebene Masterarbeit über die Geschichte der Atomzentrale in Remerschen verfasste. Die erfolgreiche Verhinderung des Atomkraftwerks gilt als eine der Sternstunden der LSAP in der Nachkriegszeit, auf dem sogenannten „Atomkongress“ von 1977 hatte die Parteibasis trotz Regierungsbeteiligung mit knapper Mehrheit eine Resolution für ein mehrjähriges Moratorium zum Bau einer Atomzentrale angenommen und maßgeblich mit dazu beigetragen, dass die Pläne schließlich verworfen wurden.

Neben seiner Bodenständigkeit und Bescheidenheit gilt Sacha Pulli als fleißig und ehrgeizig. Beim HB Esch spielte er auf der Position des Center Back, eine Art Spielmacher, der die anderen Spieler in Szene setzt. Sacha Pulli schoss aber auch selbst Tore. Als Generalsekretär der LSAP übernimmt er nun eine ähnliche Rolle. Er koordiniert die Arbeit der zum größten Teil aus jungen Leuten zusammengesetzten Parteizentrale, in der Parteileitung hält er den Kontakt zu den Bezirkskomitees und den 48 Lokalsektionen. Sein Amt als Präsident des Conseil supérieur des sports, in das der vorige LSAP-Sportminister Georges Engel ihn 2022 berufen hatte, will er bald aufgeben.
Politisch wird Pulli mit den anderen Mitgliedern der LSAP-Exekutive die Reform der Statuten und des Grundsatzprogramms umsetzen sowie das Wahlprogramm für 2028 erstellen, das die LSAP zusammen mit „Experten“ in Arbeitsgruppen entwickeln will. Sacha Pulli pflegt ein eher „linkes“ Profil, im Gespräch mit dem Land verteidigt er die von Dan Kersch vor zwei Jahren im Parlament vorgetragenen Forderungen nach einer sozial gerechteren Steuerreform; verlangt, dass die CSV-DP-Regierung stärker gegen Armut und soziale Ungleichheiten vorgeht. Dass die Ungleichheiten und die Zahl der Working Poor in den letzten Jahren trotz Regierungsbeteiligung der LSAP zugenommen haben, steht laut Pulli nicht im Widerspruch zu den Werten seiner Partei: Ohne LSAP als „sozialem Motor“ der Dreierkoalition wäre es noch schlimmer gekommen, sagt er. Die offizielle Parteikommunikation hat er inzwischen verinnerlicht.

2018, während der Koalitionsverhandlungen zur zweiten Auflage der DP-LSAP-Grüne Regierung, hatte Sacha Pulli einen offenen Brief der linkssozialistischen Gewerkschafter Nando Pasqualoni und Nico Wennmacher mit unterzeichnet. Darin stellten sie fest, vor der Abstimmung über die Regierungserklärung stünden die Mitglieder der LSAP an einem Scheideweg: „Bleibt die LSAP mittelfristig eine Programmpartei mit eigenen politischen Werten oder degeneriert sie zu einem Wahlverein, der von Wahl zu Wahl dem jeweiligen Zeitgeist hinterherhuscht, um eine(n) lokale(n) oder nationale(n) profilarme(n), aber gut geföhnte(n) Kandidaten/Kandidatin in ein politisches Mandat zu hieven?“ Politik zu machen, bedeute eben, Kompromisse einzugehen, sagt Sacha Pulli, die LSAP müsse eine Programmpartei bleiben.

Seinen ersten großen Auftritt im Escher Gemeinderat hatte er am 17. Mai im Rahmen der Abstimmung über die Konvention mit der Fresch asbl. In seiner Ansprache kritisierte er die „Pim-Knaffisierung“ der Escher Kulturpolitik, die Eintrittspreise für die Francofolies seien zu hoch und verstießen gegen das im Kulturentwicklungsplan festgeschriebene Prinzip, Kultur müsse allen Einwohner/innen zugänglich sein. DP-Kulturschöffe Pim Knaff hatte daraufhin geantwortet, der Eintritt koste kaum mehr als zwei Gin Tonic, was ihm den Spitznamen „Pim Tonic“ einbrachte.

Regelmäßig schreibt Sacha Pulli Forum-Beiträge im Tageblatt, in denen er aktuelle politische Themen kommentiert – manchmal alleine, manchmal mit Kolleg/innen von der Escher Sektion oder seinem Parteifreund und Generalsekretär der Fondation Robert Krieps. Max Leners, der seine Wahl zum LSAP-Generalsekretär aktiv unterstützte. Das neue Amt wird Pullis Transformation vom Spitzensportler zum Spitzenpolitiker beschleunigen, es wird ihm mehr Sichtbarkeit auf nationaler Ebene verleihen, auch wenn der Generalsekretär, seit der Einführung der paritätischen Doppelspitze in der Parteileitung, in der öffentlichen Wahrnehmung etwas an Bedeutung eingebüßt hat. Sollte Sacha Pulli 2026 als Generalsekretär wiedergewählt werden, wird er als Kandidat zu den Kammerwahlen 2028 für die LSAP unumgänglich sein.

Noch wichtiger als für den LSAP-Südbezirk oder die Parteileitung dürfte aber – wegen seiner lokalen Verankerung – seine Bedeutung für die Escher Sektion sein, die 2029 unbedingt wieder den Bürgermeister oder die Bürgermeisterin stellen möchte. Im Gemeinderat ist Sacha Pulli – neben Steve Faltz, Liz Braz und Enesa Agovic – Sinnbild für die Erneuerung der Fraktion, die nach internen Intrigen und Auseinandersetzungen – wie der zwischen Dan Codello und Taina Bofferding um ein Schöffenmandat – 2017 von den Wähler/innen abgestraft worden war. Die Oppositionsstrategie der „neuen“ LSAP (und der Linken) scheint bislang aufzugehen: Die Hinweise darauf, dass der wegen schwerer Steuerhinterziehung verurteilte Pim Knaff bald zurücktreten könnte, verdichten sich; die Sportarena und das nationale Sportmuseum, mit denen der vorige CSV-Bürgermeister Georges Mischo jahrelang Wahlkampf machte, drohen nun am zu nah an der Autobahn gelegenen Standort zu scheitern, was Mischo als Sportminister nicht verhindern kann; erst vor zwei Wochen hat das Verwaltungsgericht das Verbot des schwarz-blau-grünen Schöffenrats zur Einrichtung von Einliegerwohnungen in Einfamilienhäusern gekippt; und damit die Verschuldung der Gemeinde dieses Jahr nicht auf fast 190 Millionen Euro anwächst, musste der neue CSV-Bürgermeister Christian Weis die Handbremse bei der Umsetzung von Prestigeprojekten ziehen.

Luc Laboulle
© 2024 d’Lëtzebuerger Land