Nur ein Jahr nach ihrem Parteibeitritt hat die LSAP die 26-jährige Danielle Filbig zur Ko-Spitzenkandidatin für die Europawahlen auserkoren. Ihre Chancen, im Juni gewählt zu werden, sind gering. Doch ihr nationaler Bekanntheitsgrad wird steigen

Nordlicht

Danielle Filbig am Montag im Merscher Park
Photo: Sven Becker
d'Lëtzebuerger Land du 19.04.2024

„Eine große Zukunft“, sagt Ko-Parteipräsidentin Francine Closener ihr voraus. „Begeistert“ zeigte sich der frühere Arbeits- und Sozialminister Romain Schneider nach ihrer ersten Begegnung. „E Glécksfall fir d’Rammerecher Sozialisten“, nennt sie ihr „Entdecker“ Marcel Maack. Danielle Filbig, 26 Jahre alt, schwarzer Pulli, schwarze Lederjacke, cremeweiße Caprihose, weiße Turnschuhe, eine Sportuhr am Handgelenk, ist der neue neue Shootingstar der LSAP. Mit Marc Angel führt sie die Liste für die Europawahlen an. Zur LSAP kam sie erst vor einem Jahr. Danach ging alles sehr schnell. Im Juni wurde sie auf Anhieb in den Rambrucher Gemeinderat gewählt – als Erste auf der LSAP-Liste erhielt sie nur sechs Einzelstimmen weniger als der Zweitgewählte der CSV, die mit sechs Sitzen die absolute Mehrheit im Gemeinderat hat. Damit qualifizierte sie sich für eine Kandidatur bei den Kammerwahlen, wo sie am 8. Oktober im Nordbezirk Vierte auf der LSAP-Liste wurde, nur 400 Stimmen hinter der erfahreneren Ko-Spitzenkandidatin Flore Schank.

Im Juni hätten die Wähler/innen sich „frësche Wand“ in Rambruch gewünscht, sagt Danielle Filbig im Gespräch mit dem Land am Montagnachmittag in der Brasserie Beim Méchel in Mersch. Sie hätten viele neue Gesichter gewählt. Hinter ihr und der langjährigen Rätin Myriam Picard schaffte es auch Tom Wanderscheid direkt in den Gemeinderat. Der 30-jährige Fußballer des FC Les Ardoisiers Perl trat ebenfalls zum ersten Mal an und gehörte nicht einmal zu den vier Spitzenkandidat/innen, die die Sozialisten in der flächenmäßig drittgrößten Gemeinde aufgeboten hatten. Die absolute Mehrheit der CSV zu brechen, die ohne den langjährigen Bürgermeister Toni Rodesch antrat, gelang ihnen nicht, doch gegenüber 2017 konnten sie leichte Zugewinne verzeichnen. Unter der neuen CSV-Bürgermeisterin Myriam Binck habe die Stimmung im Gemeinderat sich deutlich verbessert, sagt Danielle Filbig, nach den Sitzungen würden Mehrheit und Opposition auch mal gemeinsam etwas unternehmen, was vorher nicht möglich gewesen sei. Seit 2017 war die Atmosphäre vergiftet, nachdem Rodesch die LSAP-Kandidatin Laurence Depienne von der Liste streichen ließ, mit dem Argument, dass sie nicht in der Gemeinde wohne. Depienne legte daraufhin Einspruch vor dem Verwaltungsgericht ein und bekam recht. Der heute 78-jährige Marcel Maack, der die LSAP-Sektion 2004 aufgebaut hat, bis 2011 Schöffe war und anschließend in der Opposition saß, trat wegen dieser mutmaßlichen „Affäre“ 2017 aus dem Gemeinderat zurück, zog aber weiterhin im Hintergrund die Fäden.

Er war es, der Danielle Filbig Ende 2022 bei einem Fußballspiel der Union Sportive Folscheid ansprach, nachdem sein Parteifreund Erny Decker sie ihm als potenzielle Kandidatin empfohlen hatte. Nach einem „guten Gespräch“ habe er sie gefragt, ob sie zu den Gemeindewahlen kandidieren wolle, erzählt der frühere FNCTTFEL-Gewerkschaftssekretär. Selbstbewusst habe sie ihm geantwortet, für sie käme nur die LSAP in Frage.

Aufgewachsen ist Danielle Filbig in Hostert, ein 400-Einwohner-Dorf in der Gemeinde Rambruch im Kanton Redingen, wo sie heute wieder wohnt. Erst ging sie in die kommunale Zentralschule in Kötscheid, danach in den Réidener Lycée, trat mit den Foulschter Theaterkäpp auf, spielte Basketball beim BBC Rebound Préizerdaul, den ihr Vater mitgründete und trainierte.
Der gelernte Schlosser begann seine berufliche Karriere – wie sein eigener Vater – bei Goodyear in Colmar-Berg, bevor er Berufsfeuerwehrmann in der Stadt Luxemburg wurde. Danielle Filbigs Mutter ist Erzieherin in der Maison Relais in Kehlen. Ihre Großmutter väterlicherseits zog 1954 mit ihren Eltern und neun Geschwistern aus den Niederlanden nach Rachlingen, um einen großen Bauernhof zu übernehmen; die Großmutter ihrer Mutter stammte aus Polen, ihr Großvater mütterlicherseits war ein aus Deutschland eingewanderter Anstreicher, der später bei der Arbed arbeitete.

Danielle Filbig ist stolz auf ihre „proletarische“ und multinationale Herkunft. Parteipolitisch aktiv oder engagiert sei in ihrer Familie keiner gewesen, doch nachdem sie sich am Réidener Lycée in Sozialwissenschaften (Sektion G) spezialisierte, habe sie den Wunsch gehegt, Politik zu studieren, erzählt sie. Anfangs habe sie sich das nicht zugetraut, deshalb begann sie in Freiburg ein Studium der Germanistik und Geschichte. Nach sechs Monaten brach sie ab, kehrte nach Luxemburg zurück und arbeitete als Hilfslehrerin. Für das nächste Semester schrieb sie sich in Politikwissenschaften in Brüssel ein, ihren Master in Relations Internationales schloss sie vergangenes Jahr ab.

„Vill Leit kennen d’Famill“, sagt Danielle Filbig. Sie und ihre Schwester Michelle waren Teil der Mannschaft der Amicale Steinsel, die 2015 die nationale Basketballmeisterschaft gewann. Nach dem Studium wechselte sie zum Black Star Mersch, wo sie zurzeit wegen anderweitiger Verpflichtungen nur in der B-Mannschaft spielt. Daneben ist sie in einem Crossfit-Verein in Arlon aktiv, im Mai läuft sie ihren fünften Halbmarathon, bei schönem Wetter fährt sie gerne Rad. Sie ist Mitglied im Hosterter Jugendclub, auf regionalen Festen und Veranstaltungen ist sie häufiger und gerngesehener Gast. Während ihres Studiums war sie als freie Mitarbeiterin für RTL tätig. Inzwischen unterrichtet sie als chargée d’éducation Wirtschaftswissenschaften an der katholischen Privatschule Sainte Anne in Ettelbrück.

In der LSAP kennen viele sie bislang nur vom Sehen oder vom Hörensagen. Zu den Jungsozialisten JSL kam sie erst nach den Gemeindewahlen – über die Mutterpartei. Seitdem sei sie sehr engagiert, bestätigt JSL-Präsident Max Molitor. In den vergangenen Monaten war sie am Aufbau einer JSL-Sektion im Norden beteiligt, zu deren Vorsitzenden sie sich bei der Gründungsversammlung am 26. April wählen lassen will. Seit März ist sie zudem Präsidentin der LSAP-Sektion Kanton Redingen und Mitglied im Vorstand des LSAP-Nordbezirks. Die Partei setzt große Hoffnungen in Danielle Filbig.

Inhaltlich haben für sie Chancengleichheit sowie Asyl und Migration Priorität: Auf europäischer Ebene bräuchte es in diesem Bereich eine bessere Koordination. Zudem müsse das Erasmus-Programm erweitert werden und für alle offen sein. Auf nationaler Ebene will sie dafür sorgen, dass junge Menschen mit einem Uniabschluss einen besseren Zugang zum Arbeitsmarkt erhalten. Und natürlich will sie die Wohnungskrise bekämpfen.

Dass die LSAP sie als Spitzenkandidatin für die Europawahlen nominierte, hat mehrere Gründe. Neben ihrer Bereitschaft, die sie schon früh bekundete, sind es wohl vor allem ihre positive Ausstrahlung und ihre Offenheit, die den Ausschlag gaben. Es falle ihr leicht, auf Menschen zuzugehen, sie könne gut zuhören und scheue sich nicht davor, Entscheidungen zu treffen, sagt Marcel Maack. Francine Closener und Romain Schneider loben ihre Lernbereitschaft und ihren Scharfsinn. Ihre Master-
arbeit hat sie über die vergleichsweise starke Identifikation der Einwohner/innen der Stadt Luxemburg mit der Europäischen Union geschrieben, die nicht zuletzt den dort implementierten EU-Institutionen zu verdanken sei. Sie hat in Brüssel studiert und für RTL aus der Hauptstadt Europas berichtet. Und sie kommt aus dem Ösling, wo sie ein elektorales Gegengewicht zu den Spitzenkandidaten von DP und CSV bilden kann. Dass Danielle Filbigs Popularität im Kanton Redingen ausreicht, um den erfahrenen Europapolitikern Charles Goerens und Christophe Hansen ernsthaft Konkurrenz zu machen, glaubt zwar keiner in der LSAP, doch ein paar Stimmen könnte sie ihnen im Norden durchaus abtrotzen.

Sie selbst geht davon aus, dass sie trotz Spitzenkandidatinnenbonus am 9. Juni hinter Schwergewichten wie Franz Fayot, Mars Di Bartolomeo und Marc Angel landen wird. Auch die 27-jährige Liz Braz, die zwar ein ähnliches Profil hat wie Danielle Filbig, im Oktober aber im bevölkerungsreichen Südbezirk in die Abgeordnetenkammer gewählt wurde, könnte mehr Stimmen bekommen als sie. Sollte es der LSAP jedoch gelingen, den erhofften zweiten Sitz zu holen (wozu sie ihr Resultat von 2019 fast verdoppeln müsste), könnte Danielle Filbig ins Europaparlament nachrücken. Liz Braz und Mars Di Bartolomeo haben bereits durchblicken lassen, dass sie ihr Mandat wohl nicht annehmen würden; Franz Fayot wirkt zwar entschlossener, ist aber erst vergangenes Jahr Vater geworden – allerdings schon zum vierten Mal.

Für die LSAP ist es zweitrangig, ob Danielle Filbig ins Europaparlament einzieht oder nicht. Ihre Nominierung als Spitzenkandidatin dient vor allem dazu, ihr mehr Sichtbarkeit zu verleihen, sie im Land bekannter zu machen. Sie ist Teil der Erneuerungsstrategie, mit der die Sozialisten ihre Rückkehr in die Regierung planen. Sie wollen Danielle Filbig für die Kammerwahlen 2028 aufbauen – als Spitzenkandidatin im Nordbezirk –, wo sie 1999 ihren zweiten Sitz verloren (den sie 2013 für eine Legislaturperiode zurückerobern konnten). Danielle Filbig ist das nördliche Pendant zu Liz Braz im Süden, Ben Streff im Osten sowie Claire Delcourt und der ebenfalls für die Europawahlen kandidierenden Michaela Morrisova im Zentrum.

Ihr Berufswunsch sei es gewesen, Offizierin bei der Armee oder Diplomatin zu werden, erzählt Danielle Filbig. Inzwischen würde sie aber eine politische Laufbahn einer Karriere im Staatsdienst vorziehen. Ihr Vorbild ist Sanna Marin. Die frühere sozialdemokratische Premierministerin Finnlands sei eine faszinierende Politikerin – authentisch und natürlich, schwärmt Danielle Filbig. Trotz ihres politischen Erfolgs habe sie nicht vergessen, wo sie herkommt und sich von vermeintlichen privaten Party-Skandalen nicht aus der Ruhe bringen lassen.

Würde sie nicht ins EU-Parlament gewählt, säße Danielle Filbig die nächsten Jahre in Rambruch in der Opposition fest. In die Abgeordnetenkammer nachrücken wird sie als Viertgewählte in dieser Legislaturperiode wohl nicht, selbst wenn der bald 62-jährige Claude Haagen sich nach zwei, drei Jahren zurückziehen sollte. Bis zu den nächsten Kammerwahlen sind es noch vier Jahre. Manchmal fällt es Jungpolitiker/innen schwer, dabei zu bleiben, wenn der Erfolg sich nicht gleich einstellt. Wie der früheren JSL-Präsidentin Lisa Kersch, die 2019 bei den Europawahlen als Spitzenkandidatin Drittgewählte wurde und bis Mitte 2022 als Ko-Spitzenkandidatin der Escher LSAP zu den Gemeindewahlen gehandelt wurde. Schließlich verschwand sie von der politischen Bildfläche. In anderen Fällen ist es die Partei, die blockiert: Die früheren JSL-Präsidenten Amir Vesali und Georges Sold wurden beide nicht zu den Kammerwahlen nominiert, weil ihr Resultat bei den Kommunalwahlen nicht den Erwartungen der Wahlkommission entsprach. Alle drei sind noch Mitglied der vor zwei Jahren gewählten Parteileitung, aber, wenn überhaupt, nur im Hintergrund aktiv.

Luc Laboulle
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