Die Ein-Euro-Firma kommt. Sie soll den Unternehmergeist stimulieren. Nicht jeder glaubt, dass das klappen wird

Geisterbeschwörung mit Laptop

d'Lëtzebuerger Land vom 06.02.2015

„Ça y est“, freute sich Carlo Thelen, Direktor der Handelskammer, diese Woche in seinem Blog. Endlich will die Regierung die Ein-Euro-Gesellschaft einführen. Für die Idee, die Gründung von Firmen mit nur einem Euro Kapital zu erlauben, statt mit mindestens 12 500 Euro, hatte die Handelskammer in Luxemburg als erste geworben. „Une société à responsabilité limitée simplifiée pour soutenir la croissance“, hatte sie 2011 in einem Actualité et tendances ein wenig großspurig angekündigt.

Eine Ansage, die sogar Thelen relativiert, nun da es so weit ist: „Das bringt keine Revolu­tion in Sachen Wachstum.“ Dafür sei es aber „e flotte Schrëtt“ und „eng modern Form“ und das „an enger Économie, déi sech ännert“. Die Sàrls helfe, den Unternehmergeist zu fördern und zu dynamisieren, ist der Direktor der Handelskammer überzeugt. Denn „der mit dem Laptop, der gut in Design ist“, der brauche nicht viel Startkapital, beschwört Thelen das Bild des umwelt- und ressourcenbewussten Kreativen, der in einer globalisierten Wirtschaft Kunden rund um den Erdball bedient, während er im Café um die Ecke Fairtrade-Latte mit fettarmer Sojamilch schlürft. Der Laptop gehört zwar ihm. Aber Geld für die Miete eines Büros, sogar im Shared office mit Brainstorming-Couch und Siebdruck-Motivationssprüchen an der Wand, hat er keins.

Für Felix Braz, grüner Justizminister, geht es darum, zu verhindern, dass Existenzgründungen an zu hohen Kapitalanforderungen scheitern. Auch Braz spricht gerne vom „Unternehmer mit dem Laptop“, der nicht viel „Geschier“ braucht, um seine Geschäftaktivität zu entwickeln. Nur beschränkt sich der Gesetzentwurf nicht auf Laptop-Besitzer mit Design-Abschluss. Mit einer Sàrls kann jede Geschäftsaktivität ausgeführt werden, für die laut Gesetz vom 2. September 2011 „réglementant l’accès aux professions d’artisan, de commerçant, d’industriel ainsi qu’à certaines professions libérales“ eine Handelsermächtigung notwendig ist.

Dass dem so ist, geht auf eine bewusste Entscheidung zurück, erklärt der Justizminister. „Das Modell fußt so weit wie möglich auf dem Bestehenden“, so Braz. „Basis ist die klassische Sàrl.“ Anstatt eine völlig neue Gesellschaftsform zu erfinden, ist die Sàrls der Versuch, „das Bestehende mit Ausnahmeregelungen zu flexibilisieren.“ Die Ein-Euro-Gesellschaft ist für ihn nur „ein Ausgangspunkt“, auf dem man sich „nicht verewigen soll“. Deshalb soll der Übergang in eine Standard-Sàrl so einfach wie möglich sein. Durch das neue Gesetz sollen Existenzgründer die Wahl haben, welche Gesellschaftsform sie gründen wollen, so Braz. Wer mehr „Geschier“ brauche, um seine Geschäftsidee zu realisieren, für den sei die Sàrls nur eine Lösung für „eine ganz kurze Zeit“.

Sollte jemand versuchen, mit einer Sàrls eine „große Firma“ aufzubauen, „der komme ganz schnell in der Realität an“, so der Justizminister. Nämlich dann, wenn er Material brauche und Banken und Zulieferer Garantien fordern. Dass der Unternehmergeist spätestens dann ein Dämpfer erhalten könnte, wenn der Unternehmer nach einem Kredit und der Bankier nach Garantien fragt, räumt auch Thelen ein, obwohl er in seinem Blog schreibt, die Sàrls sei „un véhicule sociétaire lequel sépare clairement le patrimoine privé de celui affecté à l’activité professionelle“. Was sollte ein Unternehmer ohne Kapital anderes als seinen Privatbesitz als Garantie verpfänden? Aber Thelen und Braz sind optimistisch – es sei ja nicht so, als ob die Existenzgründer gar nichts hätten.

Tom Wirion, Direktor der Handwerkskammer, ist deshalb skeptisch, was die Zweckmäßigkeit der neuen Gesellschaftsform anbelangt. Wer ohnehin seinen Privatbesitz als Garantie geben müsse, damit die Firma einen Kredit bekomme, um zu investieren, der könne auch eine Firma „en nom personnel“ gründen. Das sei auch jetzt schon möglich. „In unseren Augen ist dieses Instrument nicht ganz sinnvoll und potenziell gefährlich“, sagt Wirion. „Ein Euro Kapital – das ist nicht unbedingt eine positive Botschaft gegenüber Kunden, Zulieferern und Banken. Das ist sicher hemmend in den Beziehungen zu Dritten.“

Wirion dürfte Recht haben – das zeigt das Beispiel der SPRL-Starter, dem bereits 2009 eingeführten Pendant der Sàrls in Belgien. Es wurden kaum SPRL-Starter gegründet. Das Konzept war so ein Flop, dass es bereits 2013 reformiert wurde. So hielt der Jahresbericht 2012 des Service public fédéral Économie, PME, Classes moyennes et Energie fest: „(...) la mention obligatoire ‚Starter’ et le capital minimum de 1 euro symbolique rebutent les financiers (...). Pour obtenir le financement bancaire nécessaire, il faut des garanties complémentaires (caution personelle par exemple) ce qui relativise la limitation de la responsabilité du ‚starter’.“

Wirion stützt sich auf Erfahrungswerte der Beratungsstelle der Handwerkskammer wenn er sagt: „ Die Unterkapitalisierung ist die Hauptursache für Misserfolge in den ersten Jahren einer Firma. Hiermit wird dies stimuliert.“ Bei aller Begeisterung dier er für den Unternehmergeist aufbringt: Er befürchtet, dass die Sàrls bei angehenden Existenzgründern falsche Vorstellungen weckt, in Bezug auf die Risiken, die mit einer Firmengründung verbunden sind. „Een Euro a lass.“ Aber: „Eine Firma gründen, ist kein einfacher Schritt“, sagt Wirion.

„Für sich genommen, ist eine niedrige Kapitalausstattung nicht ganz schön“, sagt Herbert Eberhard, geschäftsführendes Verwaltungsratsmitglied von Creditreform. Creditreform erstellt Statistiken über Firmeninsolvenzen. Vergangenes Jahr stieg der Anteil der „jungen Unternehmen“, also der Firmen, die innerhalb der letzten fünf Jahre gegründet wurden, an den Insolvenzen leicht, stellte Creditreform fest. Von 28 Prozent 2013 auf 41 Prozent 2014. Dass Eberhard dennoch nur von einem „leichten“ Anstieg spricht und daraus keine Tendenz lesen möchte, liegt daran, dass 2014 die Zahl der Insolvenzen, besonders die der älteren Unternehmen, stark zurückging auf insgesamt 845. Trotzdem sagt er: „Die Kapitalausstattung einer Firma ist so wichtig wie beim Baum die Wurzeln.“ Obwohl es verschiedene Wurzelformen gebe, gelte: je tiefer, desto besser. Eine gute Kapitalausstattung schaffe Krisenresistenz. „Sie ist Grundlage für das Vertrauen der Bank, schafft Kredit und Investitionsmöglichkeiten. Sie bietet eine Sicherheitsmarge“, so Eberhard.

Dass die Einführung der Ein-Euro-Gesellschaft zu mehr Insolvenzen führen wird, fürchtet Carlo Thelen indes nicht. Für ihn sind die vielen Insolvenzen, die in den vergangenen Jahren Schlagzeilen gemacht haben, eher auf die schlechte Geschäftsführung denn auf eine Unterkapitalisierung zurückzuführen. Probleme, die mit Hilfe der Beratungsstellen der Berufskammern zu überwinden seien. Im guichet unique analysiere man, ob ein Projekt, eine Geschäftsidee tragfähig sei oder nicht, sagt Thelen. Doch Braz’ Gesetzentwurf verzichtet bewusst auf einen obligatorischen Geschäfts- und Finanzplan für Sàrls. In Belgien hatte sich gezeigt, dass das den Firmengründer zusätzliche Kosten verursachte, was das Modell unattraktiv machte.

Carlo Thelen hätte sich auch gewünscht, dass die Reform des Insolvenzrechts mit ihren Präventivmaßnahmen und Warnblinkern, die Braz’ Vorgänger François Biltgen (CSV) noch 2013 im Parlament hinterlegte, bevor er Richter am Europäischen Gerichtshof wurde, gleichzeitig mit der Sàrls verabschiedet würde. Doch die Reform des Insolvenzrechtes kommt nicht voran, weil das Gutachten des Staatsrates immer noch aussteht. Darauf aber wartet Felix Braz, um zu sehen, welche Änderungen an Biltgens Entwurf vorgenommen werden müssen. Zurückziehen will er den Entwurf seines Vorgängers auf jeden Fall nicht, sagt er.

Ein Risiko, dass die Sàrls zu einer Steigerung der Scheinselbstständigkeiten führt, sieht der Direktor der Handelskammer nicht. Der Justizminister hingegen schon – deswegen müsse man das „im Auge behalten“. Trotz der Gefahr, dass Arbeitnehmer statt eines Arbeits- einen Dienstleistungsvertrag erhalten, damit der Arbeitgeber die Sozialabgaben einsparen kann, überwiegen für Braz die positiven Seiten der Sàrls.

Dazu gehören für die Handelskammer und ihr Direktor ortschritte an einer anderen Front: den Rankings in denen die Wettbewerbsfähigkeit verschiedener Standorte verglichen werden. Besonders im Blick hat Thelen den Doing-Business-Index der Weltbank. Durch die Sàrls, schätzt Thelen, könnte Luxemburg 30 Plätze gewinnen. „Tant mieux“, sagt dazu Braz, aber von diesem Nebeneffekt habe er erst relativ spät erfahren, so der Justizminister, das sei nicht das Hauptanliegen. Genau das aber ist der Verdacht der Handwerkskammer. „Wenn dem so ist“, sagt Wirion, „werden wir uns dem Entwurf nicht widersetzen. Aber dann soll man das auch sagen und keine falschen Vorstellungen wecken.“

Michèle Sinner
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