Außenpolitik

Ende der Schönrederei

d'Lëtzebuerger Land vom 18.11.2010

Wie lang ein Jahr sein kann! Wie ausgewechselt war Außenminister Jean Asselborn (LSAP) am Dienstag, als er seine außenpolitische Erklärung vortrug. Oder hatte er bloß seinen Ghostwriter vom vergangenen Jahr gefeuert?

2009 war das Annus horribilis der Luxemburger Außenpolitik: DerG-20 setzte Luxemburg vorübergehend auf die graue OECD-Liste der Steueroasen, und keiner der EU-Partner verhinderte es; deutsche Politiker drohten dem Großherzogtum wieder mit der „Kavallerie“ und „Soldaten“; Berlin und Paris warfen dem Sprecher der Euro-Gruppe, Jean-Claude Juncker, vor, zuviel und nicht genug in der Finanzkrise unternommen zu haben;und der französische Präsident verhinderte, dass Jean-Claude Juncker seine politische Laufbahn mit dem ständigen Ratsvorsitz krönen konnte. Die schmerzhafte Erfahrung lehrte, dass man in Zeiten des allgemeinen Konkurrenzkampfs Gefahr läuft, ohne Freunde da zu stehen, wenn eine Krise ausbricht. Doch Jean Asselborn hatte seine außenpolitische Erklärung im November 2009 ungerührt mit erbaulichen Betrachtungen über die Europäische Union begonnen und den diplomatischen Scherbenhaufen zu Hause nur andeutungsweise erwähnt.

Ganz anders ein Jahr später. Diesmal begann der Minister mit der nationalen Außenpolitik, also der Stellung des Kleinstaats in einer pessimistisch gezeichneten Welt: die „schlimme Bedrohung für die Zukunft unseres Sozialmodells und sogar unseres Lebensstils“ durch eine „unkontrollierte Globalisierung“, „Spannungen und Egoismus und allerlei identitäre Rückzüge“, die „ganz schlimme Armut“ in der Welt, die „Solidaritäts- und Vertrauenskrise“ in der EU, „Integrationsmüdigkeit“, „Erweiterungsmüdigkeit“, weitere Bedrohungen durch „die ökologische Krise, den Terrorismus, die Verbreitung von Atomwaffen, das organisierte Verbrechen und den Drogenhandel“.

Statt sich, wie gewohnt, gleich zu europapolitischen Höhenflügen aufzuschwingen und dann alle Konflikt­herde dieser Erde zu überfliegen, ging Asselborn am Dienstag erst einmal ganz realistisch auf die Beziehungen zu den Nachbarstaaten ein. Denn „in letzter Zeit waren die Beziehungen zu unseren großen Nachbarn im Westen und im Osten ab und zu durch schroffere Töne gekennzeichnet“. Zwar war mit dem Westen wohl der große Nachbar Frankreich im Süden gemeint, aber auch Belgien und Holland, die eigentlich „eine Bastion politischer Stabilität“ sein sollen, haben seit den letzten Wah­len „eine besondere Situation“, beziehungsweise „eine neue Form der Koalition“, das heißt überhaupt keine Koalition mehr beziehungsweise eine informelle mit Rechtsradikalen, statt „europäische Werte der Multikulturalität, der Toleranz und der Nichtdiskriminierung hochzuhalten“.

Der Grund für die schrofferen Töne aus Frankrech und Deutschland seien aber nicht bilaterale Fragen, sondern europapolitische Meinungsverschiedenheiten gewesen, welche im Grunde „keine klassischen diplomatischen Reibereien“ darstellten. Trotzdem rang sich der Außenminister zu einem Gemeinplatz durch, den so einfach und uneingeschränkt zu proklamieren, lange Zeit als unanständig und uneuropäisch galt: „Wir haben selbstverständlich auch nationale Interessen.“ Deshalb könne „nicht alles geschluckt werden, was zum Beispiel von Paris, Berlin oder London herüber kommt“. Als einziges Beispiel nannte er „eine untragbare Wettbewerbsverzerrung im Vergleich zu europäischen Nicht-EU-Ländern“ auf Kosen des Bankenplatzes.

Dies gelte um so mehr, als das deutsch-französische Treffen in Deauville gezeigt habe, wie „die nationalen Interessen verschiedener Großen um jeden Preis zu europäi­schen Interessen erklärt werden“. Die Stärkung des Europäischen Rats auf Kosten der Kommission, die Vernachlässigung der gemeinschaftlichen Methode zugunsten der zwischenstaatlichen trügen „den Keim eines Direktoriums der Großen“ in sich.

Vielleicht weil man in solch finsteren Zeiten nur noch auf sich selbst gestellt scheint, weil Botschaften in Zeiten des neuen Merkantilismus wieder nationale Handelskontore sind, kündigte der Minister an, das diplomatische Netz auszuweiten, um „neue Erdteile und neue Prioritäten, sei es politischer oder wirtschaftlicher Natur, zu berücksichtigen“. Wurde noch vor wenigen Jahren die Frage diskutiert, ob man sich in Zeiten der Europäischen Union und des Internets das Geld für lokale Botschaften sparen soll, so sollen nun Botschaften in Abu Dhabi und der Türkei eröffnet, Botschafter in Brasilien, Kroatien, Bosnien-Herzegowina, Montenegro, Serbien, Mazedonien und Albanien akkreditiert werden.

Asselbons Amtsvorgängerin Lydie Polfer (DP) wünschte sich, dass er auch die nötigen qualifizerten Botschafter und finanziellen Mittel für diese neue Vertretungen finden wird. Sie erinnerte daran, dass Luxemburg das einzige der 27 EU-Länder ist, das keinen Botschafter in Israel akkreditiert hat. Asselborn träumte aber von der gleichzeitigen Ernennung eines Botschafters für Israel und Palästina in einem Jahr.

Um seine Rückbesinnung auf nationale Interessen idealistisch einzuklei­den, betonte der Minister, dass die „verschiedenen Instrumente dieser Politik, sei es unser diplomatischer Apparat, unsere Entwicklungshilfe oder unser Beitrag im Verteidigungsbereich [...] nicht nur der Verteidigung unserer Interessen, sondern auch und vielleicht vor allem dem Erhalt unserer Werte“ dienten, nämlich „die Menschenrechte, die Solidarität und der Rechtsstaat“.

Romain Hilgert
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