Deutschland, bist du noch Deutschland? So wie wir es aus den Sagen und Legenden kennen, ein Land, in dem die Gifte schlecht sind und die Arbeitsmoral gut, in dem fleißige, tüchtige, ausdauernde Menschen leben, vor denen die Welt Respekt hat und die dennoch häufig betrübt sind, weil sie sich einbilden, niemand liebe sie, liebe sie wirklich, zutiefst. Lieben wir uns überhaupt selber?, fragen sie sich gequält. Immer zweifeln sie an sich, zählen dann gewissenhaft auf, warum sie trotzdem liebenswert sein könnten. Die WM mit ihren zweifellosen, glücklichen Menschen verhieß so etwas wie Erlösung. Vielleicht gibt es doch noch ein Happyend mit Fachwerkhäuschen und nicht nur Autobahnen, VW-Vorstände und Hitler-Nonstop-Serien? Ein Happyend für Schland?
Deutsche Lover führen die Loverhitparade dennoch nicht an, obschon deutsche Ehemänner begehrt sind, wenngleich nicht heiß, das Kännsche Kaffee setzt sich auf dem Weltmarkt nicht durch, und wer will schon an Eisbeinen nagen, global gesehen, oder saure Braten verdrücken? Oder Blumenkohlstampf, wie ihn die Deutsche Bahn mit passendem Passfoto auf ihren Menükarten präsentiert, mampfen? Das tun vielleicht
noch deutsche Fundi-Sekten in Südamerika oder den Karpaten. Dabei ist doch genau dieses Deutschland voll okay, so eins kann man heiraten, wer heiratet schon ein von Clowns regiertes Italien? Man wusste, woran man war mit diesem stabilen Land mit stabilen Autos und einem stabilen Humor, einem Land, das gut funktionierte und in den meisten Dingen, außer Kaffee und Wein und Kuchen, auch wirklich gut war.
Der Niedergang hat schon vor einiger Zeit begonnen. Reisende berichten entsetzt von Zuständen, die mit dem aufgeräumten Land, in dem die Menschen Bienenstiche essen und Klopapierrollen liebevoll umhäkeln, nichts mehr zu tun haben. Das Land, in dem die Menschen wissen, was zu tun ist und es sogar tun, ohne dafür Chines_innen sein zu müssen. Dieses wunderbar geheimnislose Land, das meiste ist erklärlich oder es findet sich eine, die es einer erklärt.
Reisende berichten jedoch von Flugzeugen, die verdammt im Himmel über dem Fluchhafen von Berlin kreisen, und keiner weiß, ob sie je landen können. Die Deutsche Bahn benimmt sich trotz beschwichtigendem Blumenkohlstampf als sei sie unterwegs auf den wüstesten Strecken unwirtlichster Erdteile, wo Mensch immer mit allem rechnen muss und niemand rechnen kann. Wann ein Zug ankommt oder abfährt zum Beispiel fällt in den Bereich der Wahrsagerei, einen Anschlusszug zu erwischen, ist pure Glücksache – Wettbüros bieten schon Wetten diesbezüglich an. Auf der Strecke Mannheim-Saarbrücken fallen alle Klos aus, das macht den neuen Deutschen aber nichts, sie sind so gelassen-phlegmatisch-stoisch-fatalistisch, sie zucken weise resigniert die Achseln, sie reagieren schon gar nicht mehr. Niemand protestpinkelt, uriniert Amok oder scheißt aufs gute Benehmen. Alle verkneifen sich ihre Bedürfnisse, weil sie ja nicht dürfen. Sie dürfen nicht müssen, dann müssen sie also nicht. In dem Sinne, grübelgrübel, sind sie dann vielleicht doch gute Deutsche aus dem deutschen Vorbilderbuch. Gibt es also doch so etwas wie Hoffnung?
In dieser unübersichtlichen, chaotischen Welt, in der uns selbst Deutschland im Bienenstich lässt. Wo es statt bitterem Kännsche-Sud scharfsüßen Capuccino gibt und wo öffentlich sizilianisch verkehrt wird. Aber leider ohne Sizilien.
Deutschland hat keine Regierung, wie einst Belgien oder Somalia, egal wie es herum bastelt und wie oft Anne Will den immerg-Leichen die immer gleichen Fragen stellt. Niemand will ran, alle wollen nur noch dagegen sein. Bis in höchster Not die Frau mit den mächtigen Kiefern erscheint, die zermalmen Martin Schnulz erst einmal einfühlsam. Dann schlägt sie mit der Faust aufs Rednerpult, dass es ihrem Wahlvolk die Sprache verschlägt. Kevin der Kühne und seine Anhängerinnen sind schlagartig besiegt, erst einmal.
Mutter ist wieder da, alle Kinder gehen ins Bett und Mutter macht weiter, sie macht das schon. Nur was? Der dicke Altmayer-Schutzengel passt auf sie auf, Annegret wird die Karre aus dem Dreck ziehen, Spahn ist entschärft. Junge Männer, bitte warten!
Und alles ist wieder ein bisschen nicht gut.