Theater

Wissen ist Ohnmacht

d'Lëtzebuerger Land vom 14.12.2012

„The living-room of a house in a seaside town“: Mit diesen unscheinbaren, beschaulichen Kulissenangaben führt Literatur-Nobelpreisträger Harold Pinter den Leser im Jahre 1960 in seine „Comedy of menace“ The birthday party ein. Mit Pinters über die Jahrzehnte hinweg erfolgreichem Drama verabschieden sich Fran Potasnik und Adrian Diffey zugleich von den Luxemburger Bühnen.
Ein alter Holztisch, bieder-kitschiges Porzellanservice, ein altes Ehepaar, Sohn Stanley. Die Figuren grenzen sich kaum von diesem verstaubten Hintergrund eines südenglischen Irgendwo ab. Während der Ehemann Zeitung liest, beschränkt sich die Hauptsorge von Meg (Fran Potasnik) auf das täglich zubereitete Frühstück für ihren Gatten Petey (Ian Graham) und deren Sohn Stanley (Tom Sheils). Stanley feiert Geburtstag, Stanley schläft morgens bis spät in den Tag hinein, Stanley arbeitet nicht, Stanley bekommt ein Schlagzeug zu seinem Geburtstag geschenkt. Stanley ist Ende 30. Dieses kreuzbrave Milieu wird im Verlaufe des Tages zum Schauplatz einer eigentümlichen Machtprobe, dann, als sich plötzlich zwei Fremde in Schlips und Kragen einnisten, in der vermeintlichen Pension übernachten und dem Geburtstagskind eine Party schmeißen wollen. Sie gehören einer ominösen, geheimnisvollen Organisation an, die – typisch Pinter – nicht näher definiert wird. Die Organisation möchte Stanley zurückhaben – mit allen Mitteln.
Sehr intensiv, aber in schleichenden Schritten arbeitet Timothy Lone die aufkeimende Bedrohung heraus, die Pinter in Birthday party stilisiert. Tom Sheils spielt den zynisch-spöttischen Familiensohn durchwegs komisch. Seine bissige Arroganz reicht bis zum Einbruch der Vergangenheit, bis zum Besuch der beiden Männer McCann und Goldberg. Der Hauptdarsteller überzeugt durchweg bis hin zu jenem Moment, in dem die Eindringlinge die Souveränität konsequent und unerbittlich brechen. Aus dieser Bestimmtheit spielt sich gerade die völlig kontrastierte Persiflage des naiven Hausmütterchens heraus: Obwohl Meg völlig frei von Zynismus ist und schlicht und einfach darauf besteht, sie sei „the belle of the ball“ und „this house is on the list“, interpretiert Fran Potasnik ihre Rolle mit dem Instrument der Ironie, indem sie das Karikierte mimisch und stimmlich nochmals überzieht.
Dem Ende hin jedoch scheint Lone das Komödiantische am Genre „Comedy of menace“ zu Ernst zu nehmen und Stanleys Leidensweg gewinnt an Slapstick. Sein Gesichtsausdruck nach der Gehirnwäsche wirkt albern, der zermürbende Sieg des Unbekannten gerät als Hauptthema zeitweilig in den Hintergrund. Die Interpretation der Gehirnwäsche im zweiten Akt wirkte mit der rückwärts zum Publikum gerichteten Positionierung der Darsteller sehr viel bedrohlicher.
Satirisch, aber subtiler stellt Lone die völlig unfassbare, kafkaesk anmutende berufliche Herkunft der Eindringlinge den klareren weltanschaulichen und ethnischen Ursprüngen entgegen. Während McCann sein regelmäßiges „sit down“ („sit däin“) mit irischem Akzent in die Runde schmeißt, greift Goldberg noch wohler dosiert auf sein Jiddisch zurück. Das Unbekannte wird damit lediglich oberflächlich definiert. Somit verschwimmt die institutionelle, politische Drohkulisse noch weiter – ein gelungener Schachzug.
Brille, Schlagzeug und tiefe Stimme: Stanleys In-strumente dienen anfangs der Metapher eines Kindes, das über süffisante Macht verfügt. Im Verlauf der Handlung kippt das Machtgefüge völlig. Das zeigt uns Pinter mit der Zerstörung Beziehungsweise dem Verlust dieser Mittel. Das zeigt uns Timothy Lone mit einer weitestgehend überzeugenden Inszenierung. In ihr wird die Macht des Unfassbaren verdeutlicht. Wer auf derartige Mächte nicht sensibel ist, endet so glücklich wie Meg. Das niederschmetternde Fazit dürfte wohl lauten: Wer keinen Schimmer hat, ist glücklich. Wissen ist Ohnmacht.

Birthday Party von Harold Pinter; eine Produktion von Mind the gap; Regie von Timothy Lone; Kulisse von Karl Pierce; Licht und Ton vom TNL; mit Ian Graham, Fran Potasnik, Tom Sheils, Emma Farrell, Adrian Diffey, Gav Guilfoyle. Keine weiteren Vorstellungen.
Claude Reiles
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