Fotografie

Familienzuwachs

Abzüge des Fotografen Thomas Florschütz in der Restauration
Foto: Boris Loder
d'Lëtzebuerger Land vom 04.10.2019

Roger Ballen, Chuck Close, Nan Goldin, Herlinde Koelbl, Helmut Newton, Richard Prince – einige der 195 Namen auf der Künstlerliste lassen erahnen, von welchem Wert die fotografische Sammlung ist, die der 2017 verstorbene Bielefelder Kunstsammler Lutz Teutloff dem Centre national de l‘audiovisuel vermacht hat. Angesichts dessen sei der Preis symbolisch gewesen (150 000 Euro), zu dem das CNA die Kollektion erworben hat, so der Direktor Paul Lesch. Unterkommen sollen die Fotografien im nach einer Machbarkeitsstudie zu renovierenden Brauhaus in Clervaux – bewusst in unmittelbarer Nähe zur Family of Man. Laut Anke Reitz, Kuratorin der Family of Man, hat Edward Steichens Sammlung mit ihrem thematischen Fokus auf die Humanität seit Mitte der 50er weltweit Kuratoren von Fotofestivals und Sammlungen inspiriert, so auch Lutz Teutloff.

Sabine Weichel-Kickert, Kuratorin der Sammlung Teutloff, ging bei der Pressekonferenz am 12. September näher auf die Entwicklungsgeschichte der Sammlung ein. Der damalige Textilunternehmer fing ab den 90ern an, Kunst und insbesondere Fotografie zu sammeln. Begann er mit Themen wie dem „Cyborg“, weitete sich der Fokus bald auf das Thema Körper aus und öffnete sich weiter in Richtung Conditio humana. Ein wichtiger Impuls sei hierbei ein antiquarisch erworbener Ausstellungskatalog der Family of Man gewesen. Mit dem Ziel, dort weiterzumachen, wo Steichen aufgehört hatte, und eine Contemporary Family of Man zusammenzustellen, definierte sich die Kollektion in den Nullerjahren weiter aus: Zeugung und Ursprung, Kindheit, Schönheit; Themen, die man von Steichen kennt, werden mit Tattoo, Gender, Prostitution und Jenseits der Norm um zeitgemäße Bereiche ergänzt. Nach der Gründung eines virtuellen Museums und realen wie virtuellen Ausstellungen, etwa im Berliner Reichstagsgebäude, wird Teutloff nun posthum der Wunsch erfüllt, seine zeitgenössische Version mit der historischen Ausstellung in Dialog treten zu lassen.

Wählte Steichen 503 Fotografien von vorzugsweise dokumentarischer Ästhetik aus, dürften die 471 Bilder der Sammlung Teutloff visuell und konzeptuell durchaus heterogener wirken. Damit trägt die Sammlung den gesellschaftlichen Veränderungen seit der Mitte des 20. Jahrhunderts Rechnung und zeigt auf, wie fragmentiert heutige Konzepte menschlicher Identität sind. Hierbei ist es um den Aspekt des Geschlechterverhältnisses immerhin etwas weniger schlecht bestellt: ein gutes Viertel der Fotografen der Künstlerliste sind weiblich, während dieser Anteil bei Steichen weniger als zehn Prozent betrug – ein Vorwurf, mit dem sich die Family of Man ungeachtet des gesellschaftshistorischen Kontexts in jüngster Zeit konfrontiert sah.1 Auf der anderen Seite bildet die Sammlung die Weiterentwicklung des Mediums Fotografie ab. Nicht nur zeugt der Facettenreichtum an unterschiedlichen Medien vom Polaroid bis zur großformatigen Diasec-Lightbox von tiefgreifenden technischen Veränderungen. Auch inhaltlich stellen die konzeptuellen Ausprägungen mit teils abstrakteren oder digitalen Arbeiten dar, wie sich die Kunstfotografie ausdifferenziert und emanzipiert hat – nicht zuletzt Steichens Verdienst als Director of photography am New Yorker Museum of Modern Art.

Wie das Brauhaus renoviert wird, so müssen auch die Bilder der Kollektion aufbereitet werden. Wie intensiv der Arbeitsaufwand des 16-köpfigen Teams dafür ist, wird bei der anschaulichen Tour durch das Labor des CNA deutlich. Während vor ihr ein Abzug von René Burris ikonischem Porträt Che Guevaras auf den nächsten Arbeitsschritt wartet, erklärt Anke Reitz, dass jedes Werk, nachdem es auf Echtheit überprüft wurde, hinsichtlich seines Zustands erfasst wird. Hierbei wird von Fall zu Fall entschieden, ob und inwieweit eine Restaurierung erforderlich ist. Schäden wie verschrammte Rahmen sind im Gegensatz zu Kratzern oder Oxidationsprozessen auf den Drucken noch einfach zu beheben. Bei dieser Art von Schäden hingegen beweisen die erfahrenen Restauratorinnen um Kerstin Bartels ein bemerkenswertes Maß an Geduld, etwa wenn aufgezogenes Barytpapier Millimeter für Millimeter vom Trägermaterial abgelöst werden muss oder die passende Zusammensetzung einer Reinigungsemulsion für einen vergilbten Druck gefunden werden soll. Die Silbergelatineabzüge von Thomas Florschütz, an denen gerade gearbeitet wird, zählen zu den unproblematischeren Objekten der Sammlung.

Zur Katalogisierung und als Referenz im Falle von Verlust oder Beschädigung werden sämtliche Bilder zudem digitalisiert. Sven-Erik Klein, Fotograf und externer Mitarbeiter des CNA, betont, dass dies nach dem höchsten Standard der Kunstarchivierung bewerkstelligt wird. Jedes Werk wird zusammen mit einer Referenz-Farbkarte im umfangreichen LAB-Farbraum abfotografiert und die Qualität der Digitalisierung wird sogleich auf einer Online-Plattform verifiziert. Klein betont die Wichtigkeit einer gleichmäßigen Ausleuchtung des Werks, weshalb der Aufbau für jedes Bild neu adjustiert werden muss. Eine Herausforderung bei der Ausleuchtung sei insbesondere, der Materialität gerecht zu werden und etwa Papierstrukturen mit einzufangen.

Der zeit- und kostenintensive Arbeitsaufwand beträgt ein Vielfaches des Kaufpreises. Somit stellt die Aufbereitung der Sammlung die eigentliche Investition dar. In Relation zum tatsächlichen Wert der Bilder relativieren sich diese Kosten jedoch schnell. Bis zur Ausstellung der ersten Werke, die für 2023 geplant ist, liegt laut Anke Reitz noch ein weiter Weg vor dem Team des CNA.

1 vgl. die Ausstellung The Family of No Man: Re-visioning the world through non-male eye beim Rencontres d‘Arles 2018

Boris Loder
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