Parlamentarischer Krisenausschuss

Can they?

d'Lëtzebuerger Land du 12.02.2009

Die LSAP wollte ihn partout nicht. Die CSV wollte ihn eigentlich auch nicht. Aber als DP-Fraktionspräsident Charles Goerens Anfang November in der Abgeordnetenkammer die Bildung eines parlamentarischen Sonderausschusses vorschlug, der die Wirtschafts- und Finanzkrise in ihrer „Globalität“ erfassen sollte, statt Teilaspekte separat im Finanz-, im Wirtschafts-, im Sozialausschuss und so weiter zu behandeln – da konnte der im Plenum anwesende Premier Jean-Claude Juncker kaum anders, als spon­tan zu erklären, hätte die Regierung Stimmrecht im Parlament, hätte sie diesen Vorschlag ebenfalls gemacht. 

Denn einen Tag zuvor hatte die größte Oppositionspartei deutlich gemacht, dass sie einen Krisen-Wahlkampf zu führen gedenkt, und massive Vorwürfe gegen die Regierung erhoben. Die habe das Land „schlecht auf die Krise vorbereitet“, meinte Parteichef Claude Meisch, und „ihre Hausaufgaben nicht gemacht“: die Arbeitsvermittlung nicht reformiert, das Arbeitsrecht nicht flexibilisiert, die „Automatismen“ in den Staatsausgaben nicht gebremst (d’Land, 14.11.2008). In den Sonderausschuss einzuwilligen, hieß für die Regierung daher, die DP mit in die Verantwortung zu nehmen und ihren Kritiken zuvorzukommen.Dass die Liberalen am Dienstag erneut ein „Oppositionsbriefing“ unter dem Titel „Finanzkrise“ stattfinden ließen und ihre Vorwürfe vom November wiederholten, hatte auch damit zu tun, dass sie sich im Krisenausschuss, der Anfang Januar seine Arbeit aufgenommen hat, ein wenig ausgebremst vorkommen: Es reiche nicht, nach Abschluss der Diskussionen und Anhörungen bis Ende März einen Bericht zu verfassen, finden Claude Meisch und Charles Goerens. Sechs Wochen später werde das Parlament aufgelöst; danach sind Wahlen. Wie soll die Regierung dann eventuellen gesetzgeberischen Empfehlungen der Krisenkommission nachkommen?

Gar nicht, könnte eine Antwort lauten. Denn auf Betreiben von CSV und LSAP in den zwei konstituierenden Sitzungen kurz vor Weihnachten wurde das Gremium ohnehin nicht zu dem „Kontroll- und Impulsgeber­organ“ gemacht, das Goerens und Meisch sich gewünscht hatten. ADR-Vertreter Gast Gybérien war es recht und Grünen-Fraktionschef François Bausch beide Male nicht anwesend – so standen die Liberalen mit ihren Wünschen gegenüber der Regierungskoalition alleine da. 

Stattdessen soll der Ausschuss eine Art parlamentarischen Bericht zur Lage der Nation verfassen, der vor allem Empfehlungen zur längerfristigen Wirtschaftsentwicklung macht. Und so werden in den zwei Versammlungen pro Woche die Ausschussmitglieder vor allem ausführlich über Makro-Trends unterrichtet. Highlights sind Sitzungen mit auswärtigen Experten, die Luxemburg einigermaßen kennen. Deutsche Bank-Chefvolkswirt Norbert Walter traf man schon, morgen referiert der vor fünf Jahren bereits als Sachverständiger für die Luxemburger „Lissabon-Agen­da“ engagierte Wirtschaftsprofessor Lionel Fontagné über das internationale Krisen-Umfeld. Am Montag spricht der Ausschuss mit einem Vertreter des Genfer Bureau international du travail über den Sozialstaat, ehe er heute in einer Woche dieses Thema mit OGB-L, LCGB und der Direktion der Adem erörtert. Gespräche mit Experten von EU-Kommission, OECD und Internationalem Währungsfonds folgen später.

Bei so viel an Zukunftstisch-Agenda verwundert es nicht, dass DP-Generalsekretär Georges Gudenburg am Dienstag der Presse die aktuellsten volkswirtschaftlichen Rahmendaten vortrug und darauf hinwies, dass die Regierung in ihrem jüngsten Ergänzungsbericht zum EU-Stabilitätsabkommen den im Oktober geplanten Haushaltsüberschuss von 500 Millionen Euro schon in ein Defizit von 405 Millionen verwandelt hat. „Aus unserer Sicht“, fügte er energisch hinzu, würde daraus „ganz sicher eine halbe Milliarde“ werden. Die DP, die sich personell so stark unterscheidet von der Wahlverliererin 2004, muss um ein Image von Wirtschaftskompetenz hart kämpfen. Niemand ist in Sicht, der sie derart glaubhaft verkörpern könnte wie der zum Europäischen Rechnungshof gewechselte Ex-Minister Henri Grethen.  

Der parlamentarische Anti-Krisen-Ausschuss wurde in seinen Kontroll- und Impulsgeberkompetenzen aber wahrscheinlich nicht nur beschnitten, um der Opposition ein paar Monate vor den Wahlen keine Wahlkampftribüne gratis zu liefern. Eine weitere Antwort auf die Frage, wie das Parlament noch rasche Anti-Krisen-Maßnahmen beschließen soll, könnte sein, dass dies notfalls auch recht kurz vor den Wahlen noch möglich wäre: Anfang Mai enden die öffentlichen Sitzungen. Den Erlass zur Auflösung des Parlaments jedoch unterschreibt der Großherzog in der Regel nicht vor dem Monatsersten vor dem Wahltermin.

Aber es würde vielleicht eher ein Tripartite-Gesetzentwurf sein, den die Abgeordnetenkammer dann berie­te, als einer, der seinen Ursprung im Krisenausschuss hätte: Zeitgleich mit ihm tagt die Tripartite, und allen Ausschussmitgliedern ist klar, dass die operativ bedeutsamen politischen Entscheidungen dort fallen werden. Letzten Endes passt der Krisenausschuss nicht ins korporatistische Konsensmodell Luxemburgs.

Das dürfte auch die Entscheidung der CGFP zumindest mitbeeinflusst haben, der am Montag dieser Woche geplanten Beratung über einen „Beitrag“ des öffentlichen Dienstes zur Krisenlösung fern zu bleiben: Wenngleich Generalsekretär Romain Wolff betont, die Veröffentlichung eines Briefes von Gewerkschaftspräsident Émile Haag an die Abgeordnetenkammer in d‘Lëtze­buer­ger Land von vergangenem Freitag sei der Anlass gewesen, fügt er hinzu, die eigentlichen Entscheidungen fielen schließlich in der Tripartite. Dafür arbeite man noch Maßnahmenvorschläge aus, sagt Wolff dem Land, und wie der öffentliche Dienst sich an der Krisenlösung beteiligen könne, sei nicht vor Ablauf des ersten Quartals zu klären, wenn man „besser Bescheid“ wisse über die Entwicklung von Staatseinnahmen und Arbeitslosigkeit.

Kommunikationsverweigerung gegenüber der Opposition wiederum dürfte die Auskunft gewesen sein, die Charles Goerens unlängst auf die Frage nach der Position der Regierung zum Bankgeheimnis erhielt: Die Finanzwirtschaft bereite eine geschlossene Stellungnahme aus und werde sie der CSSF zukommen lassen. Diese werde das Papier an Luc Frieden weitergeben. Danach könne die Diskussion im Ausschuss erfolgen.

Denn zuvor hatte das Anti-Krisen-Gremium im Rahmen des großen Themas „Diversifizierung“ allein der Entwicklung des Finanzplatzes im Januar drei Sitzungen mit unter anderem den Chefs von Zentralbank und CSSF und den Verbänden der Banken-, Versicherungs- und Fondswirtschaft gewidmet. Man traf auf Spitzen des Finanzplatzes, die sehr zurückhaltend waren in ihren Einschätzungen über die Zukunft des Bankgeheimnisses und die Wettbewerbsfähigkeit von Finanzprodukten, die für Ausländer einer Quellensteuer von 35 Prozent unterworfen wären. Und die anscheinend gespalten sind in jene, die eine „Regulierungswelle“, die sie auf Luxemburg zukommen sehen, eher abschwächen möchten, während andere sie offensiv annehmen würden, um Luxemburg gegenüber völlig deregulierten Offshore-Finanzzentren als ebenso leistungsfähigen wie strengen Regeln unterworfenen Finanzplatz zu stärken.

Da so komplexe Sachverhalte sich schwer kurzfristig politisieren lassen, verwundert es kaum, dass zuletzt der Abbau von Verwaltungshürden und die Beschleunigung von Prozeduren öffentlich stark als Anti-Krisen-Mittel thematisiert wurden. Nicht nur bei der DP, auch bei der CSV lief der Industriellenverband Fedil offene Türen ein mit der Klage über administra­tive Investitions-Hemmnisse. Allein: Ob kurzfristig eingegriffen wird, um die antizyklische Bautenpolitik der Regierung zu begleiten, wie die DP es sich am Dienstag wünschte, wird nicht der Ausschuss bestimmen, sondern eine eigens diesem Thema gewidmete Tripartite-Sitzung am 3. März. 

Die große Frage wird am Ende die sein, wie die Parteien sich zu den Folgen eines absehbar defizitären Staatshaushalts stellen. Mochte Haushaltsminister Frieden gestern vor dem parlamentarischen Finanzausschuss die Entwicklung der Staatseinnahmen im Januar auch „akzeptabel“ genannt haben: Inwiefern der Finanzsektor von der Krise in Mitleidenschaft gezogen wurde und wie viele Lasten die Stammhäuser im Ausland auf ihre Luxemburger Filialen umlegten, wird erst in den kommenden Wochen mit den Bilanzen für 2008 bekannt werden. Der Bankenverband ABBL rechnete gegenüber dem Anti-Krisen-Ausschuss schon mit einem „weitgehend schwa­chen“ Jahr. Zum drohen­den Ungemach bei den direkten Steuern kommt eines bei den Akzisen: Im vierten Quartal 2008 brach an Luxemburger Tankstellen der Verkauf von LKW-Diesel, die wichtigste Einnahmequelle aus dem Tanktourismus, um 22 Pro­zent ein.

Gemeinsam mit der hohen Arbeitslosigkeit und der Rekord-Kurzarbeit sind das genug schlechte Nachrichten, dass sich der Zweck des parlamentarischen Anti-Krisen-Ausschusses vielleicht erst nach den Wahlen richtig zeigt: Nämlich dann, wenn die neu gebildete Regierung von Wahlkampfversprechen abweicht und soziale Einschnitte verordnet. Und wenn die Opposition Ja dazu sagt, weil ihre Vertreter seinerzeit schon im Anti-Krisen-Ausschuss erfuhren, wie unausweichlich das sein würde. Vielleicht wäre es sogar Aufgabe eines solchen Gremiums, einen ehrlichen politischen Diskurs zu finden, den man nach draußen trägt. Doch so manche Ausschussmitglieder räumen ein, bisher zumindest habe man noch nicht viel Innovatives diskutiert. Alle würden hoffen, dass das Wachstum schnell zurück kommt und die Welt wieder wird, wie sie war.

Peter Feist
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