Falls Google in Luxemburg eine Serverfarm baut, müsste dafür ein Energiekonzept her. Zum Beispiel, damit das Datenzentrum möglichst viel einheimischen grünen Strom nutzt

Die Steckdose auf dem Roost

d'Lëtzebuerger Land du 15.09.2017

Das Google-Datenzentrum? Darüber spricht das Wirtschaftsministerium nur noch mit sehr viel Zurückhaltung und Minister Etienne Schneider und Staatssekretärin Francine Closener (beide LSAP) reagieren auf Journalistenfragen lediglich, wenn sie ihnen nicht ausweichen können. Im Juli war das anders. Da ging Etienne Schneider mit dem Projekt sogar ins Fernsehen. Er schwärmte, ein Datenzentrum dieser Größenordnung werde dem ICT-Standort Luxemburg einen gewaltigen Schub an „Visibilität“ verleihen, und kündigte an, weil es mehr Strom verbrauchen werde als Arcelor-Mittal mit seinen Elektrostahlwerken, „werden für uns alle die Strompreise sinken“. Denn in den Strompreisen stecken auch Netzkosten, und von denen trage ein Großverbraucher anteilig viele.

Aber wie das oft so ist, liegen die Dinge nicht so einfach. Die Google-Euphorie, die der Wirtschaftsminister vor zwei Monaten zu entfachen versuchte, sieht heute aus wie ein Teil einer Inszenierung: Jener Grundbesitzer, der sein Stück Land nicht verkaufen wollte und so die von Google verlangten 25 Hektar Baufläche in Gefahr brachte, konnte sich nach Etienne Schneiders Kommunikationsoffensive wie ein unpatriotischer Geselle vorkommen. Nun, da er sich umstimmen ließ und sogar bis zu 30 zusammenhängende Hektar zur Verfügung stehen (d’Land, 8.9.2017), hat Etienne Schneider die Kommunikation wieder zurückfahren lassen. „Uns liegt noch kein Konzept von Google vor“, erklärt sein Pressesprecher Paul Zenners. Den Eindruck, der Bau sei schon abgemacht, will man vermeiden.

Wenn es möglich ist, dass aus dem Deal doch nichts wird, ist es vielleicht nur Ausdruck einer Hoffnung, wenn, wie das Luxemburger Wort am 6. September meldete, Netzbetreiber Creos schon Szenarien aufstellt, um den Strombezug auf den Roost verstärken zu können, wo Google in Nachbarschaft der Luxlait-Molkerei bauen könnte. Dort befindet sich eine der beiden großen Umschaltstationen aus dem grenzüberschreitenden 220-Kilovolt-Netz; Strom von ihr zu beziehen, wäre besonders einfach. Aber Szenarien für den Fall, dass der Bau zustande kommt, machen auch in anderer Hinsicht Sinn, wenn es um die Stromversorgung des Datenzentrums geht.

Dass Arcelor-Mittal demnächst nur noch zweitgrößter Verbraucher im Land sein könnte, ist aus dem Wirtschaftsministerium heute ebenfalls weniger laut zu hören als vor zwei Monaten, geschweige mit irgendwelchen Zahlen versehen. Im Juli hatte Etienne Schneider selber erklärt, die Serverfarm werde eine Anschlussleistung von 250 Megawatt haben. Rechnet man die auf einen Rund-um-die-Uhr-Betrieb während eines Jahres hoch und bedenkt, dass das nur eine mittlere Leistung sein dürfte, kommt man in die Nähe von 2,48 Terawattstunden Jahresstromverbrauch, die Etienne Schneiders Energie-Regierungskommissar im Juli vor der Presse fallenließ.

2,48 Terawattstunden klingen abstrakt, wären aber über zweieinhalb Mal mehr als die 0,9 Terawattstunden, die sämtliche Luxemburger Haushalte zusammengenommen in einem Jahr konsumieren. Der Gesamtstromverbrauch des Landes, der 2016 bei 6,5 Terawattstunden lag, wüchse mit dem Datenzentrum um über ein Drittel.

Datenzentren sind nicht nur energiehungrig, sie werden auch immer größer. Wenngleich Google von sich sagt, die Energieeffizienz seiner Zentren liege 50 Prozent über dem Durchschnitt der Branche. 2012 erregte der Bau eines 200-Megawatt-Zentrums in Chungqing in China noch Aufsehen, heute gelten 250 Megawatt, wie möglicherweise auf dem Roost, als „groß“. ICT-Anwendungen werden immer anspruchsvoller. Der Hardware-Hersteller Cisco schätzt, die Energieeffizienz von Datenzentren müsse sich um 300 Prozent verbessern, wenn ihr Energieverbrauch nicht weiter wachsen soll. Denn mehr noch als der Datenverkehr zu einer Serverfarm wachse der interne: Dafür sorgen immer höhere Ansprüche an Echtzeitverarbeitung, Stimmenerkennung oder Big-Data-Analyse. Was übrigens ein allgemeiner Trend in der ICT-Welt ist. „Wireless“ kostet wesentlich mehr Strom als LAN. Und mit jedem neuen Feature eines Smartphones werden auch Server und Netzwerke mehr gefordert.

Daran liegt es wahrscheinlich auch, dass 2,48 Terawattstunden in Luxemburg halb so viel wären, wie laut Googles Environmental Report 2016 der gesamte Konzern im Jahr 2015 weltweit konsumierte: 5,74 Terawattstunden. Als Google 2011 zum ersten Mal über seinen Stromverbrauch öffentlich Auskunft gab, lag der 2010 mit 2,26 Terawattstunden noch um 60 Prozent unter dem fünf Jahre später. In ein paar Jahren dürfte er wiederum höher liegen als im Umweltbericht 2016 steht.

Die Serverfarm auf dem Roost mit Strom zu versorgen, dürfte technisch kein Problem sein. Auch dürfte Luxemburg dadurch nicht in Bedrängnis um seine Energiespar-Verpflichtungen geraten: 2020 darf der Endenergieverbrauch des Landes höchstens 49,292 Terawattstunden betragen. Das schreibt eine EU-Energieeffizienzrichtlinie vor. Im Endenergieverbrauch aber macht Strom nur einen kleinen Teil aus. 2015 waren das 13 Prozent von 47,1 Terawattstunden Gesamtverbrauch. Der größte Posten war, das überrascht nicht, der Transport mit 60 Prozent. Seit 2011 ist er jedoch rückläufig. Geht der Spritexport weiter zurück, kompensiert das vielleicht den Google-Mehrverbrauch an Strom.

Schwieriger könnte es werden, den vielen Strom für das Datenzentrum aus erneuerbaren Quellen zu beziehen. Bis 2020 muss Luxemburg elf Prozent seines Endenergieverbrauchs „grün“ decken. Das wären elf Prozent der rund 49 Terawattstunden, die 2020 höchstens verbraucht werden dürfen. Zurzeit liege Luxemburg bei nahe sechs der elf Prozent, erklärte Staatssekretärin Francine Closener am Mittwoch auf einer Pressekonferenz über erneuerbare Energien. Sie fügte aber an, die Regierung halte nicht nur die elf Prozent bis 2020 für „zu schaffen“, sondern 30 Prozent bis zum Jahr 2030. Darüber wird in der EU zurzeit zur Umsetzung der Pariser Klimabeschlüsse verhandelt. Wird dieses Ziel für Luxemburg am Ende festgeschrieben, könnten die Extra-Terawattstunden Strom für das Datenzentrum ins Gewicht fallen.

Nachzudenken wäre darüber heute schon. Google hat sich die Selbstverpflichtung gegeben, noch im Laufe dieses Jahres all seinen Strom aus erneuerbaren Quellen zu decken. Das klingt gut. 2015 brachte Google es auf 44 Prozent. Der Konzern gehört dem Konsortium RE100 an, in dem sich mehr als hundert Großunternehmen – von BMW über Lego und Ikea bis hin zum Pharmakonzern Astra Zeneca und eben Google bereiterklärt haben, ihren CO2-Footprint zu verkleinern. Google ist mit der Verpflichtung, schon dieses Jahr hundert Prozent grünen Strombezug zu erreichen, ein Vorreiter in dem Konsortium.

Im Umweltbericht 2016 nennt Google sich „the largest corporate purchaser of renewable energy in the world“. Dafür schließt der Konzern Langfrist-Lieferverträge mit Stromversorgern ab, mitunter über zwei Jahrzehnte. Das Problem für Luxemburg ist nur, dass europäische Erneuerbare-Energien-Verpflichtungen den Schwerpunkt auf die nationale Produktion legen. Damit die Serverfarm Luxemburg nicht die Bilanz verdirbt, sondern sogar hilft, die Grünstromerzeugung heiheem anzukurbeln, müssten zur Versorgung des Datenzentrums neue Standorte für Windräder gefunden oder Solarstrom-Großanlagen gebaut werden. Das könnte schwierig werden. Eine Studie des Fraunhofer Instituts im Auftrag des Wirtschaftsministers schätzte Anfang 2016, bis 2020 könnte zwar mehr grüner Strom aus einheimischer Produktion gewonnen werden, als 2007 angenommen worden war. Aber man käme damit nur auf an die 0,8 Terawattstunden. Rechnerisch wäre das fast genug zur Versorgung aller Haushalte, aber längst nicht für das Datenzentrum.

Strom aus dem Ausland hinzuimportieren würde Google für das Zentrum ohnehin müssen: Grüner Strom aus Wind oder Sonne steht nun mal nicht kontinuierlich bereit; das ist nicht gut für eine Serverfarm im Dauerbetrieb. Manche Grüne fürchten, Google könnte sich womöglich zu einem großen Teil aus abgeschriebenen Wasserkraftwerken in Skandinavien eindecken und damit zu wenig „neue“ erneuerbare Energien erschließen helfen. Die Regierung müsse mit dem Konzern abmachen, dass der ausschließlich „neuen“ grünen Strom bezieht, sei es aus Luxemburg oder dem Ausland. Ob die Regierung dazu konkrete Vorstellungen hat, wollte Francine Closener am Mittwoch aber nicht kommentieren. „Es gibt ja noch kein Konzept von Google.“ Luxemburg habe „seine Hausaufgaben gemacht“, indem es die Grundstücksfrage klärte. Für Fragen nach Energiekonzepten sei es „noch zu früh“.

Eines ist wenig wahrscheinlich für den Fall, dass der Bau des Datenzentrums tatsächlich zustandekommt: dass dann die Strompreise „für alle sinken“, wie Etienne Schneider das im Juli versprochen hat.

Denn das Datenzentrum würde an das Hochspannungsnetz angeschlossen. Wer sich aus diesem Netz versorgt, bezahlt auch nur für diesen Netzbereich, die dort anfallenden Kosten aber machen nur rund ein Viertel der gesamten Netzkosten aus. Kleinkunden dagegen zahlen mit ihren Netzgebühren im Strompreis für das Niederspannungs- wie für das Hochspannungsnetz. So entstehen wettbewerbsfähige Strompreise für Großverbraucher. Aber so genau wollte das bisher niemand erörtern. Und vielleicht klappt der Deal mit Google ja nicht.

Peter Feist
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