Überlebenschancen einer gefährdeten Pflanzenart

Rettungsaktion für die Kleine Schwarzwurzel

d'Lëtzebuerger Land vom 11.11.2011

Mögen Sie Schwarzwurzeln als Gemüse? Hier scheiden sich die Geister, die einen lieben ihren süßlichen Geschmack, andere können sich partout nicht damit anfreunden. Auf jeden Fall interessieren sich die Forscher der Arbeitsgruppe Popula-tionsbiologie am Forschungszentrum des Nationalmuseums für Naturgeschichte in Luxemburg für Schwarzwurzeln. Aber nicht für die Art, die auf dem Teller landet, sondern für die Kleine Schwarzwurzel. Das ist eine langlebige Pflanzenart, die in vielen Ländern als stark gefährdet gilt, darunter auch in Luxemburg.

Die Hauptgefährdungsursache, so haben die Forscher herausgefunden, ist der Mangel an Nachwuchs. Die Kleine Schwarzwurzel mag keinen Dünger und vor allem nicht als Jungpflanze. Sie ist spezialisiert auf nährstoffarme Feuchtwiesen, einen Lebensraum, der zu den gefährdetsten in Luxemburg gehört. Feuchtwiesen wurden früher größtenteils entwässert und anschließend gedüngt. Das macht der Schwarzwurzel den Garaus; als Rosettenpflanze kann sie sich nicht gegen die Konkurrenz der Gräser durchsetzen und verschwindet. Ist die Düngung jedoch nicht zu stark und wird die Wiese erst Ende Juli gemäht, kann die Kleine Schwarzwurzel als adulte Pflanze überleben und sogar ziemlich groß werden – mit bis zu hundert Blüten pro Pflanze. Da sie sehr langlebig ist, hat man fälschlicherweise den Eindruck, dass es gro-ßen Populationen mit tausend Blüten noch sehr gut gehe. Bei näherer Betrachtung sieht man jedoch, dass die vielen Blüten hauptsächlich von pflanzlichen Methusalems stammen. Weit und breit sind keine Jungpflanzen zu finden. Woher kommt das?

Die Forscher am Naturmusée sind der Frage auf den Grund gegangen und fanden heraus, dass das Überleben der Jungpflanzen in deren erstem Lebensjahr besonders kritisch ist. Die Keimlinge vertragen keine Konkurrenz von Gräsern und reagieren empfindlich auf Wassermangel, der in den entwässerten Wiesen bereits im Frühjahr auftreten kann.

Damit stellt die Schwarzwurzel die Naturschutzbiologen vor ein bisher unterschätztes Problem. Früher galt die Regel, dass eine Population einer gefährdeten Art nur groß genug sein müsse, um ihr Überleben langfristig abzusichern. Wenn jedoch, wie im Falle der Kleinen Schwarzwurzel, nur noch alte Pflanzen vorhanden sind, ist das Aussterben der letzten Populatio-nen nur noch eine Frage der Zeit. Dies ist vor allem deshalb Besorgnis erregend, da die Forscher wissen, dass der Nährstoffgehalt gedüngter Feuchtwiesen nur sehr langsam wieder abnimmt sogar wenn die Landwirte im Rahmen von sogenannten Extensivierungsverträgen auf weitere Düngergaben verzichten. Eine nährstoffarme Feuchtwiese kann man innerhalb weniger Jahre mit Hilfe von Entwässerung und viel Kunstdünger in eine intensive Silagewiese verwandeln, aber der Weg zurück ist sehr mühsam und langfristig. Was also tun?

Anstatt tatenlos zuzusehen, wie ihre Studienpflanze nach und nach ausstirbt, beschlossen die Forscher, ihr Wissen in einem Projekt zur Rettung der Kleinen Schwarzwurzel umzusetzen. Da das Überleben der Jungpflanzen in den ersten paar Monaten der kritische Punkt im Lebenszyklus der Kleinen Schwarzwurzel ist, kam die Idee auf, das erste Jahr mit vorgezüchteten Jungpflanzen zu überspringen.

Um jedoch einen Vergleich zwischen dem natürlichen Überleben von Keimlingen aus Samen und den gezüchteten Jungpflanzen zu erhalten, entwarfen die Forscher einen Versuch, in dem das Resultat einer kon-trollierten Aussaat von Samen mit dem Überleben von vier Wochen alten Jungpflanzen verglichen wurde. Auch versuchten die Forscher herauszufinden, ob die Herkunft der Samen eine Rolle spielt. Dazu wurden sechs verschiedene Spenderpopulationen unterschiedlicher Größe ausgewählt. Die Auswahl der Versuchsflächen erfolgte ebenfalls nach einem bestimmten Prinzip. An acht Orten gab es natürliche Schwarzwurzel-Vorkommen; an vier weiteren Orten gab es dagegen keine natürlichen Populationen.

Im August 1997 war es dann soweit: An den zwölf Versuchsorten wurden insgesamt 9 600 Samen ausgebracht. Die Keimung und das Überleben der Keimlinge wurden genau verfolgt. Im Frühjahr 2001 wurden dann an den gleichen zwölf Versuchsorten die vorgezüchteten Jungpflanzen im zarten Alter von vier Wochen ausgepflanzt. Die Forscher verfolgten das Wachstum und Überleben der Kleinen Schwarzwurzeln aus beiden Experimenten in einer Langzeitstudie sehr akribisch. Nach sieben Jahre hatten von den 9 600 Samen, die ausgesät worden waren, nur drei Prozent als Pflanzen überlebt – und das nur an den Orten wo es bereits natürliche Schwarzwurzel-Vorkommen gab.

Die Mortalität war besonders im ersten Jahr sehr hoch. Besser erging es den vorgezüchteten Jungpflanzen. Nach fünf Wochen Wachstum hatten sie bereits die gleiche Größe wie die Pflanzen, die aus den Samen im Gelände entstanden waren, obwohl sie erst vier Jahre später ausgepflanzt wurden. Außerdem überlebten die ausgepflanzten jungen Schwarzwurzeln wesentlich besser, und das auch an Standorten, wo es keine natürlichen Populationen der Schwarzwurzeln gab. Das Überleben der ausgepflanzten Pflanzen war insgesamt fünfmal höher als dasjenige der Pflanzen, die von Samen her stammten. Nach drei Jahren blühten bereits 14 Prozent der ausgepflanzten Pflanzen – das war der gleiche Anteil wie bei den Pflanzen aus dem Aussaat-Experiment.

Insgesamt hat sich das Vorzüchten der Jungpflanzen für Überleben und Wachstum also gelohnt. Ein weiteres wichtiges Resultat der Studie war, dass die Herkunft der Samen eine wichtige Rolle spielt. Vor allem die Nachkommen aus einer sehr kleinen Population waren nicht sehr fit – eine Folge von Inzuchtproblemen. Bei der Auswahl von Spenderpopulationen sollte man also Samen aus möglichst großen Populationen entnehmen.

Es gab jedoch keinen Hinweis für lokale Anpassung. Das heißt, Pflanzen, die von einem bestimmten Ort her kamen, wuchsen an ihrem Heimatort nicht besser als an einem anderen Ort. Dies ist ein ebenfalls ein wichtiges Resultat für die Praxis, da oft befürchtet wird, dass durch den Transfer von Samen genetisch unangepasste Indivi-duen in bestehende Populationen eingeführt werden. Falls wie in unserem Fall die geografische Distanz nicht zu groß ist ([lt] 50 km) und die Umweltbedingungen der Pflanzorte sich nicht wesentlich von den Herkunftslebensräumen unterscheiden, können Samen aus benachbarten Populationen benutzt werden, um bestehende Populationen zu verstärken.

Die Experimente der Schwarzwurzelforscher haben gezeigt, dass der Einsatz von vorgezüchteten Jungpflanzen eine geeignete Methode sein kann, um bestehende Popula-tionen stark gefährdeter Pflanzenarten zu verstärken oder um sogar neue Populationen an geeigneten Standorten zu gründen. Die kurze Anzuchtzeit von vier Wochen im Labor brachte einen Zeitgewinn von drei bis vier Jahren im Gelände.

Vor allem erlaubte es diese Methode, das kritische erste Jahr zu überspringen. Dies ist vor allem wichtig, wenn die Umweltbedingungen in den Schutzgebieten zurzeit nicht optimal sind, etwa wenn aufgrund einer früheren Düngung der Boden noch zu viele Nährstoffe enthält oder die Entwässerungsmaßnahmen noch nicht genügend rückgängig gemacht wurden. Keimlinge aus Samen reagieren sehr empfindlich auch auf eine leichte Anreicherung von Nährstoffen im Boden, während die vorgezüchteten Jungpflanzen toleranter sind.

Bei seltenen und gefährdeten Pflanzenarten kommt oftmals noch das Problem hinzu, dass die übrig gebliebenen Mutterpflanzen in kleinen Populationen nur wenige Samen von oftmals schlechter Qualität produzieren. Wegen der hohen Mortalität der Keimlinge kann dieser Samenmangel ebenfalls dazu führen, dass keine Verjüngung mehr stattfindet. Auch hier kann das Anziehen von Jungpflanzen helfen, da die Überlebensrate der Keimlinge im Labor wesentlich höher ist als in der Natur; vor allem, wenn große Populationen als Spender ausgewählt werden.

Das langfristige Ziel aller naturschutzbiologischen Maßnahmen ist jedoch, dass die Populationen gefährdeter Pflanzenarten sich wieder von selbst verjüngen, wenn die Umweltbedingungen sich verbessert haben. Im Falle der Kleinen Schwarzwurzel kann dies nur geschehen, wenn ihr Lebensraum, das heißt die nährstoffarmen Feuchtwiesen, durch geeignete Pflegemaßnahmen wiederhergestellt werden.

Der Autor leitet die Arbeitsgruppe Populationsbiologie am Naturhistorischen Museum.
Guy Colling
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