Theater

Eine deutsche (Universitäts-)Karriere

Luc Feist
Foto: TNL
d'Lëtzebuerger Land vom 19.05.2017

Das Foyer des TNL ist umgebaut zum Hörsaal, dem Auditorium Maximum in Konstanz. Hier hielt Hans Robert Jauß, ein renommierter Literaturwissenschaftler, im Jahr 1966 seine Antrittsvorlesung. Zeit seines Lebens hat Jauß, der die Konstanzer Rezeptionsästhetik mitprägte, der Universität seine Zugehörigkeit zur Waffen-SS verschwiegen und seine Biographie gefälscht. Erst Ende der 70er Jahre kamen Fragen auf, die seine Rolle im NS betrafen.

Gerhard Zahners Die Liste der Unerwünschten ist ein Monolog, der Jauß’ Karriere nachzeichnet und hinterfragt. „Die eskalierende Antrittsvorlesung eines Gelehrten, dessen verschwiegene Täterbiographie, ihre Brüche und Kontinuitäten“ heißt es in der begleitenden Broschüre des TNL. Luc Feit verkörpert in der einstündigen Inszenierung Didi Danquarts den zwielichtigen Jauß, einen deutschen Akademiker, Prototyp eines ehrwürdigen Gelehrten mit brauner Vergangenheit.

„Meine Jugendsünden haben doch keinen wissenschaftlichen Wert“, versucht er sich gegen moralische Vorhaltungen zu wehren. Zu dissonanten Tönen, Zischen und Rauschen tritt Feit/Jauß, vor 20 Jahren entlassen als Obersturmführer der Waffen-SS, sichtlich empört vors Mikrophon des Hörsaals. Pathetisch wirft er einen Stapel Blätter in die Luft. Sein langes Trugbild erklärt er so: „Ich redete in den letzten Jahren vor allem mit mir selbst und wusste nicht, ob das eine andere Form des Schweigens ist.“

Jauß windet sich, weiß im Innern um seinen Erklärungsnotstand und versucht, seine Verantwortung im Allgemeinen aufzulösen: „Ist denn ein SS-Mann denkbar, der nicht an Säuberungsaktionen in Russland teilnahm?“ Der Entschuldungsmonolog nimmt dank der starken Interpretation von Luc Feit Fahrt auf. Die Inszenierung ist dennoch recht monoton: Feit hält einen Teil seines Monologs, zieht sich kurz zurück und nimmt kerzengerade sitzend Platz auf einem Stuhl, um wieder aufzustehen, ans Mikrophon zu treten und fortzufahren.

Es ist die quälende und peinliche Rechtfertigungslitanei, wie sie zahlreiche Uni-Wissenschaftler und (vermeintlich) moralische deutsche Instanzen, etwa Günter Grass, irgendwann vorführten. Sie wurden nach 1945 rehabilitiert oder gar nicht befragt, stolperten irgendwann einmal über ihre braune Vergangenheit – und präsentierten Ausreden. Dass insbesondere an deutschen Universitäten kaum eine Entnazifizierung nach 1945 stattgefunden hat, sollte die 68er Bewegung so empören, dass sie mit dem Schlachtruf „Unter den Talaren Muff vor 1 000 Jahren“ die Hörsäle der Universitäten stürmte.

„Der Weg verzerrt die Erinnerung“, wird Jauß es in dem Stück formulieren. Auch er durfte über Jahre an der neu gegründeten Konstanzer Universität lehren. Er, dem im Krieg das Deutsche Kreuz in Gold für besondere Tapferkeit verliehen wurde, habe sich schließlich nur 1933 „in die SS treiben lassen wie ein Blatt im Wind“. „Ist aber ein Blatt im Wind schuldig?“, fragt er. Verzückt erinnert er sich daran, wie er seinerzeit der HJ beitrat und schwelgt in Erinnerungen an seine NS-Karriere. „Ich wurde verurteilt wegen Mitgliedschaft in der SS – doch das Verfahren in Göppingen wurde eingestellt. (...) Der Kopf ist der Tresor der Geschichte, in der man die Wahrheit einschließen kann.“ Für die Uni Bonn fälschte Jauß seine Biographie zum ersten Mal. „Hier hatte ich noch ein taktisches Verhältnis zu Wahrheit“, heißt es. Fast vergessen die Anweisungen, die er einst für den Transport ins KZ Stutthof erteilte. „Diese Dokumente werden gegen mich ausgelegt“, empört sich Jauß und verliert sich in blumiger Metaphorik: „Die Vergangenheit ist wie eine explodierende Granate – wir können nur Splitter finden, die Lüge setzt sich fort.“

In seinem rhetorisch geschickten Entschuldungsmonolog befreit sich Jauß so sukzessive aus den Verstrickungen, verneint das Wissen um Konzentrationslager und Judenverfolgung. Er sei nur ein kleines Rädchen im Getriebe, im Grunde geschädigt – und dann kommt die deutsche Wendung der Schuld: „In Wirklichkeit war ich ein Opfer!“

Am Ende der einstündigen beklemmenden Inszenierung wird das Publikum gefragt, ob es noch Fragen gebe. Und es wird erwähnt, dass Hans Robert Jauß bis heute als wissenschaftliche Koryphäe gilt. Das ist deutsche Nachkriegsnormalität.

Die Antrittsvorlesung, nach dem Monolog Die Liste der Unerwünschten; Text: Gerhard Zahner; Regie: Didi Danquart, Musik: Cornelius Schwehr; mit: Luc Feit. Premiere war am 13. Mai im TNL. Keine weiteren Spieltermine in Luxemburg.

Anina Valle Thiele
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