Bis zu den Gemeindewahlen 2017 will die Regierung wichtige Weichen für die Landesplanung stellen. Wohin sie am Ende führen, wird aber in vieler Hinsicht vom Geld abhängen

Wachstumsmanagement

d'Lëtzebuerger Land vom 26.02.2016

Mehr als eine Stunde lang referierten am Mittwoch drei Minister und ein Staatssekretär vor der Presse über Lëtzebuerg zesummen entwéckelen. Damit ist die „Grundsatzdiskussion der gesamten Landesplanung“ gemeint, die Nachhaltigkeitsminister François Bausch (Déi Gréng) vor genau einem Jahr in einem Gespräch mit dem Land (Ausgabe vom 27.02.2015) angekündigt hatte.

Ein Vierteljahr zuvor hatte die Regierung die Entwürfe der vier Plans sectoriels zur staatlichen Raumplanung zurückgezogen: Sie fürchtete, die Prozedur zur Inkraftsetzung der Pläne sei nicht verfassungskonform und dass Grundstücksbesitzer dagegen hätten klagen können. Die „Grundsatzdiskussion“ sollte nicht nur zu neuen Plänen über Verkehrswege, Wohnungsbau, Gewerbegebiete und schützenswerte Landschaften führen. Sie sollte die Landesplanung insgesamt neu ausrichten – im Hinblick auf ein Luxemburg, das gegen Ende des nächsten Jahrzehnts 700 000 bis 800 000 Einwohner zählen könnte.

Eines kann man der Regierung nicht vorwerfen: dass sie in der Zwischenzeit mit den Gemeinden und den so genannten forces vives de la nation nicht diskutiert hätte. Sechs Regionalkonferenzen mit kommunalen Volksvertretern fanden über die neuen Plans sectoriels statt. Und auf einem Rundtisch-Treffen Mitte Juni 2015 wurden mit 70 Interessenvertretern vom Gemeindeverband Syvicol über Gewerkschaften, Berufskammern und Umwelt-NGO bis hin zum Anwalt Georges Krieger vom Verband der Grundstücksbesitzer nicht nur technische, sondern auch sehr politische Fragen erörtert. Ein weiterer Rundtisch tagte noch am Morgen vor der Pressekonferenz der Regierung.

Aber: Wie es weitergehen soll mit der Landesplanung – das scheint bisher vor allem in komplexen und technischen Prozeduren einigermaßen klar. Vermieden werden soll möglichst, dass die Planungshoheit der Gemeinden und die des Staates einander ins Gehege kommen. Dazu sollen bis zu den Gemeindewahlen 2017 das Landesplanungsgesetz reformiert und die Plans sectoriels in Kraft sein, für die im Herbst eine neue Prozedur starten soll. Ein neues Leitprogramm (Programme directeur) für die Landesplanung soll bis dahin ebenfalls stehen – das aktuelle ist 13 Jahre alt.

Wie man es dagegen schaffen will, das „Wohnen in den Städten“ zu konzentrieren, ist viel weniger gewiss. Sinnvoll wäre das auf jeden Fall: Die städtischen Gemeinden sind in der Regel gut an den öffentlichen Transport angebunden. Sie bieten mehr kommunale Dienste an als Dörfer, und ihnen mehr Einwohner gegenüberzustellen wäre ein sorgsamer Umgang mit öffentlichen Geldern. Eine solche Konzentration könnte Stadtbewohner vom Zeitaufwand her näher an ihre Arbeitsplätze bringen, und würde das Wohnen urban verdichtet, ließe sich der zurzeit noch immense Flächenverbrauch senken – was auch die Natur schützen würde: Momentan werden in Luxemburg täglich zwei Hektar Grünfläche „verbaut“. Bis 2020 will die Regierung diese Rate halbieren helfen.

Ob das gelingen kann, hängt jedoch in vielerlei Hinsicht vom Geld ab – genauso wie die Verwirklichung des schönen Ziels, generell „verdichteter“ zu bauen, auch in kleineren Gemeinden. Und diese Probleme sind brisant genug, dass sie noch nicht gelöst oder offenbar nur angedacht sind.

Politisch sind sie ebenfalls. Das zeigte sich auch daran, wer an dem Hochamt der Regierung in Sachen Landesplanung nicht teilnahm: kein Regierungsmitglied der LSAP. Weder Wirtschaftsminister Etienne Schneider, noch seine Staatssekretärin Francine Closener. Und vor allem nicht Innenminister Dan Kersch, der eine ganz wichtige Rolle spielt beim Übergang in die „gemanagte“ Vorwegnahme des 800 000-Einwohnerstaats.

Denn Kersch soll eine Gemeindefinanzreform ausarbeiten, die die Landesplanung begleiten soll. Ernst machen will die Regierung damit, was schon seit 2003 im Programme directeur zur Landesplanung steht: Manche Gemeinden sollen wachsen dürfen, andere nicht. Am Rundtisch im Juni war das diskutiert worden, wie einer Broschüre der Regierung zu entnehmen ist. Darin ist aber auch zu lesen, dass kleinere Gemeinden „wiederholt“ reklamiert hätten, um „nicht zu wachsen“ benötigten sie finanzielle Hilfen; andernfalls ließen sich kommunale Infrastrukturen auch in Dörfern nicht instand halten und ausbauen.

Wie Bauland für den Wohnungsbau „mobil“ gemacht werden soll, ist eine andere Frage, die ganz wesentlich der Innenminister klären helfen soll, weil er das Tun und Lassen der Gemeinden überwacht. Wohnungsbauminister Marc Hansen (DP) hielt sich am Mittwoch sichtlich zurück, dachte eine Weile laut darüber nach, ob man künftig „höher bauen“ müsse, und erklärte, die meisten wohnungsbaupolitischen Maßnahmen stünden schon im Koalitionsprogramm. Wie etwa der „Baulandvertrag“, der mit Grundstücksbesitzern abgeschlossen werden soll, deren Flächen in den kommunalen Bauperimeter aufgenommen wurden. Das würde mit der Vereinbarung verbunden, innerhalb einer bestimmten Frist bauen zu lassen. Dass die landesweit rund 700 Hektar „Baulücken“, die sich zu mehr als 80 Prozent in Privathand befinden, vorzugsweise durch eine Sensibilisierungsaktion mobilisiert werden sollen, hatte Marc Hansen schon vergangenes Jahr wissen lassen.

Soll darüber hinaus eine Taxe auf ungenutztes Bauland eingeführt werden, genauso wie eine auf leer stehenden Wohnraum? Am Rundtisch der forces vives de la nation hatten Gemeindepolitiker ganz offen eingestanden, was seit der Debatte vor acht Jahren um den Pacte logement ein offenes Geheimnis ist: Eine solche Abgabe müsse „hoch sein“, sonst wirke sie nicht; so etwas ihren Wählern zuzumuten, sind jedoch die allerwenigsten Gemeinden bereit, das müsse schon die Regierung entscheiden. Genauso wie eine Reform der Grundsteuer, die sich vielleicht auf Bauland beschränken könnte, aber ebenfalls „schmerzhaft“ ausfallen müsse und vielleicht sogar eine „Progression“ enthalten könnte. Der Innenminister lasse auch an der Grundsteuer arbeiten, teilte Nachhaltigkeitsminister François Bausch (Déi Gréng) stellvertretend mit. Einzelheiten würde aber erst die große Steuerreform klären. Nur, dass belohnt werden könnte, wer nah beim Arbeitsplatz wohnt, ließ Bausch durchblicken. Dass gleichzeitig die Kilometerpauschale abgeschafft werden könnte, sagte er nicht; in der Broschüre über den Rundtisch vom Juni finden sich jedoch Andeutungen in diese Richtung.

Praktische Landesplanungspolitik in Luxemburg ist, und das ist nicht neu, immer auch eine Politik gegen die Interessen von Grundeigentümern und Promoteuren; die Flächen im öffentlichen Besitz sind knapp. Da überrascht es nicht, dass die Regierung findet, die kommunalen Bauperimeter könnten erweitert werden. Zwar hatte François Bausch das vor einem Jahr noch so gut wie ausgeschlossen: Stattdessen solle „verdichtet werden“. Doch bei so viel Baulückenland in Privatbesitz hieße das womöglich, Aufkäufe per Vorkaufsrecht durch die öffentliche Hand, wenn nicht gar Enteignungen im öffentlichen Interesse vorzunehmen. So weit zu gehen waren aber, das zeigte eine Landesplanungsdebatte im Parlament im März vergangenen Jahres, nur die Grünen politisch bereit. DP und LSAP lehnten das ab, genauso wie die CSV-Fraktion. Das Problem ist jedoch nicht nur ein politisches: Selbst wenn es zu massiven Grundstückskäufen durch Staat und Gemeinden käme, wie würde man sie bezahlen?

Noch nie hat eine Regierung genau beziffert, wo die Ausgaben-Schmerzgrenze für den öffentlichen Wohnungsbau liegt. Dass es um sehr viel Geld gehen wird, will man nicht nur Wohnungsbau „in den Städten“, sondern die weitere „Entwicklung“ der urbanen Zentren obendrein, wurde bei der Ankündigung François Bauschs deutlich, „Entwicklungsgesellschaften“ sollten Schwerpunktprojekte umsetzen helfen: Vorbild könne Agora sein, die halb vom Staat, halb von Arcelor-Mittal getragenene Entwicklungsgesellschaft für Belval, oder der staatliche Kirchberg-Fonds. Denkbar sei auch eine rein private Initiative, wie etwa jene, die in Hollerich das ehemalige Paul-Wurth-Gelände urbanistisch erschließen will. „Ein Super-Projekt“, so François Bausch, der anfügte, ohne eine Entwicklungsgesellschaft in egal welcher Form werde nicht einmal in der Nordstad „von alleine etwas geschehen“. Geld müsse auch dort investiert werden. Auch in konkrete Projekte, um die sechs Nordstad-Gemeinden bei der Stange zu halten und sie zu überzeugen, dass die schon seit 40 Jahren angedachte Nordstad überhaupt sinnvoll ist.

Bei diesen Aussichten auf hohen Finanz- oder Kapitalbedarf kommt unweigerlich die Frage auf, ob praktische Landesplanung in Luxemburg nicht auch deshalb einen so hohen Kostenpunkt hat, weil die Gemeindelandschaft nach wie vor zerstückelt ist. Und ob die ab 2005 unter CSV-Regie versuchte Territorialreform aus Gemeindefusionen und -verbünden nicht eine Voraussetzung für landesplanerischen Erfolg gewesen wäre. Vielleicht ging die CSV in ihrem Wahlprogramm 2013 nicht einmal weit genug, als sie fand, 60 Gemeinden wären genug. Womöglich wären 20 genug?

Doch nicht nur vermeidet die DP-LSAP-Grünen-Regierung die bloße Erwähnung von „Territorialreform“ völlig – wahrscheinlich, weil es ihr um den Einfluss von LSAP und DP auf kommunalpolitischer Ebene geht. Eine „regionale Zusammenarbeit“ der Gemeinden soll es, das hat die Regierung nach dem Rundtisch vom letzten Juni schon entschieden, nur auf „freiwilliger Basis“ geben. Sie sei überzeugt, so François Bausch, würden „konkrete Projekte“ mit Hilfe der Regierung angeschoben, würden die Gemeinden sich „von selber“ für solche Kooperationen interessieren. Dass das Geld kosten wird, versteht sich allerdings.

So dass abgesehen von Prozeduren, die die Regierung juristisch sicherer und einfacher machen will, und einem guten Gesprächsklima mit Gemeinden, Grundbesitzern, Promoteuren und der Baubranche, das sie pflegen will, noch viel in der Schwebe ist auf dem geordneten Weg in den 800 000-Einwohnerstaat. Der DP-Wohnungsbauminister verließ die lange Pressekonferenz mit ernster Miene. Vielleicht weil er weiß, wie heikel es für seine Partei ist, sich politisch gegen Grundeigentümerinteressen zu stellen. Der DP-Landwirtschaftsminister war während der ganzen Veranstaltung sichtlich nervös – vielleicht weil er an die Bauernwelt nur das Signal senden konnte, „landwirtschaftlich wertvolle Böden“ würden künftig durch das Naturschutzgesetz und das Kommunalplanungsgesetz für Landwirte „reserviert“, aber keine so einfache Mitteilung machen konnte wie die, dass die von der CSV in der vorigen Legislaturperiode versprochene „Zone agricole“ im Ensemble der knappen Flächen im Land doch realisiert werde. In Abwesenheit der LSAP-Minister waren es am Ende nur die beiden Grünen François Bausch und Camille Gira, die den Eindruck hinterlassen konnten, einen guten Job zu machen beim Management des Wachstums.

Dabei ist jedoch nicht sicher, ob die Landesplanung und mit ihr grüne Politikziele womöglich Opfer der „Verwaltungsvereinfachung“ werden: Zwei Tage vor der Pressekonferenz der Regierung hatte der Mouvement écologique nach Durchsicht des Omnibus-Gesetzentwurfs festgestellt, dass kommunale Bebauungspläne künftig anscheinend nicht mehr konform zum Leitprogramm der Landesplanung sein müssen, sondern nur noch zu den Plans sectoriels. Dabei will die Regierung das Leitprogramm sogar aufwerten: Bestimmungen, die 2014 „unnötigerweise“ in den Sektorplänen verankert waren, will sie ins Leitprogramm schreiben. François Bausch wies am Mittwoch die Befürchtungen des Méco als zwar „verständlich“, aber unbegründet zurück. Doch in den Sitzungsprotokollen des zuständigen Parlamentsausschusses und den Gutachten des Staatsrats zum Omnibus-Gesetz steht ziemlich klar, dass die Regeländerung so gemeint ist, wie die Umweltorganisation sie verstanden hat. Das Mindeste, was man sagen kann, ist, dass an einem wichtigen Punkt des Wachstumsmanagements Rechtsunsicherheit droht. Das sieht bei allen Unklarheiten um Anreize, Taxen, Zuwendungen und Wohnungsbau-PPP nicht gut aus.

Peter Feist
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