Leitartikel

Schwacher Rücken

d'Lëtzebuerger Land du 26.02.2016

Da baut der Staat für viele Millionen Euro eine geschlossene Anstalt für straffällig gewordene und schwer erziehbare Jugendliche, die heute im Gefängnis in Schrassig eingesperrt sind, weil es keine anderen Unterbringungsmöglichkeiten gibt. Und dann steht diese Unité de sécurité zwei Jahre später immer noch leer.

Doch sogar, wenn sie für 4,5 Millionen Euro Funktionskosten jährlich endlich in Betrieb genommen wird, ist nicht sicher, dass Schluss ist mit dem Wegsperren: Denn die Jugendrichter und die Staatsanwaltschaft wollen auch in Zukunft Minderjährige im Notfall im Erwachsenenknast einsperren können. Das machten sie bei Gesprächen mit dem Justizminister zur Reform des Jugendschutzgesetzes wiederholt deutlich.

Dass in- und ausländische Menschenrechtler diese Praxis scharf verurteilen, weil sie nicht vereinbar mit der Kinderrechtskonvention der Vereinten Nationen ist, scheint die Verantwortlichen nicht groß zu stören. Auch nicht, dass ein Einsperren mit Erwachsenen kaum mit dem Schutz- und Erziehungsgedanken zu vereinbaren ist: In Schrassig gibt es keine geeigneten erzieherisch-therapeutischen Angebote für minderjährige Straftäter, mal abgesehen davon, dass sie dort nicht unbedingt positive Rollenvorbilder finden. Die Begründung der Richter: Es gebe jugendliche Schwersttäter, für die selbst die geschlossene Unterbringung nicht ausreichend sei, deren zwölf Plätze ohnehin zu knapp bemessen seien.

Das mag stimmen. Nur: Wenn die Unisec nicht ausreicht, stellt sich womöglich eine andere Frage – ob das Jugendschutzgesetz überhaupt ausreicht, um Straffälligkeit bei Jugendlichen zu begegnen, oder ob es durch ein Jugendstrafrecht ergänzt werden muss. Die Richter wollen nicht am Status quo rütteln, obschon Jugendliche berichten, ihren Gefängnisaufenthalt eher als Strafe zu erleben denn als Erziehungsmaßnahme: „protektive Rhetorik und punitive Praxis“ nennt der Sozialpädagogen-Verband Ances das Auseinanderklaffen zwischen Anspruch und Wirklichkeit.

Man könnte den Streit als akademisch abtun, nur haben Entscheidungen der Gerichte gravierende Folgen für die Betroffenen. Auch hätte man die Jahre nutzen können, um die Effekte zu analysieren, die von Jugendschutz und Jugendhilfe ausgehen – so würde wenigstens auf Basis von Fakten gestritten. Aber eine Untersuchung zu Folgen und Wirksamkeit gerichtlicher Erziehungs- oder Schutzmaßnahmen fehlt bis heute.

Umso ärgerlicher ist es, dass Justizminister Félix Braz nicht Stellung bezieht, obwohl laut Koalitionsprogramm die Jugendschutzreform Priorität haben soll. Seit Monaten dreht sich die Arbeitsgruppe im Kreis, weil Braz sich offenbar nicht dazu durchringen kann, eine Entscheidung zu treffen und den Gordischen Knoten zu durchschlagen.

Würde Braz der Linie seiner Partei folgen, müsste die Richtung klar sein: Die Grünen haben sich stets für Kinderrechte eingesetzt und auf eine Dejudiciarisation des Jugendschutzes gedrängt. Der Kontakt mit und der Einfluss der Justiz auf Jugendliche in Notlagen sollte weitestgehend begrenzt werden, um unnötige Kriminalisierung und Stigmatisierung zu vermeiden.

Das Ziel scheint längst vergessen. Jetzt kommen aus Braz’ Ministerium Verschärfungen zum Kampf gegen den Terrorismus, während die überfällige Strafvollzugsreform, die Scheidungs- und Familienrechtsreform und besagte Jugendschutzreform weiter auf sich warten lassen. Das Tauziehen auf dem Rücken von Kindern und Jugendlichen ist einem Land, das die Kinderrechtskonvention unterzeichnet hat, und einer Regierung, deren Leitmotiv angeblich die „Modernisierung“ sein soll, nicht würdig.

Ines Kurschat
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