Das klang super, was die Firma Luxtrust vergangene Woche meldete: „LuxTrust annonce d’excellents résultats financiers pour 2016 et confirme sa position de leader européen avec plus d’un demi-million d’abonnés, soit une croissance annuelle de vingt pour cent. »
Erstmals in der Firmengeschichte seien die Einnahmen über zehn Millionen Euro angestiegen, ein Zuwachs von neun Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Diese Entwicklung, so Luxtrust, sei der stabilen Zahl an treuer Kundschaft zu verdanken, die nun bei über 525 000 liege. Dies entspreche einer Wachstumsrate von 20 Prozent und die Gewinnmarge liege bei 8,6 Prozent. Da die Firma ebenfalls mitteilte, 2016 sei ein „Schlüsseljahr in der Umsetzung [ihrer] Strategie zur internationalen Entwicklung“ gewesen, und Luxtrust sei bereits einer der größten Anbieter von sogenannten Vertrauensdiensten in der EU, konnte der Eindruck entstehen, dass sich in den Nachbarländern die Kunden um eines der Luxtrust-Token reißen.
Ganz so wunderbar, wie vergangene Woche beschrieben, ist die Situation allerdings nicht. Denn der Erfolg von Luxtrust ist nicht etwa dem Umstand geschuldet, dass sich Privatkunden aus freien Stücken dafür entscheiden würden, ein Luxtrust-Token zu erwerben. Sondern vielmehr der Tatsache, dass die auf dem luxemburgischen Markt aktiven Banken erstens ihre Kunden mit immer höheren Gebühren für Schaltertransaktionen anhalten, aufs Internetbanking umzusteigen, und sie zweitens dabei zwingen, ,Luxtrust-Produkte und Dienstleistungen zu nutzen. Seit vergangenes Jahr auch ING, Banque de Luxembourg und die sich an die portugiesische Kundschaft richtende BCP Luxtrust zur digitalen Identifizierung ihrer Kunden eingeführt haben – dadurch erklärt sich auch der spektakuläre Kundenzuwachs –, ist die Monopol-Stellung des öffentlich-privaten Unternehmens perfekt und der Heimatmarkt fast vollständig abgedeckt. Die nicht-gebietsansässigen Kunden, räumt Pascal Rogiest, CEO von Luxtrust, ein, haben dennoch ein Konto bei einer Luxemburger Bank.
Dabei ließ auch dieser Erfolg lange genug auf sich warten. Gegründet wurde Luxtrust bereits 2005. Zur feierlichen Unterzeichnung der Gründungsakte luden damals noch Wirtschaftsminister Jeannot Krecké (LSAP) und Infrastrukturminister Claude Wiseler (CSV) ein, und sie kündigten damals einen „wichtigen Schritt in Sachen e-government“ an. Im folgenden Jahr wurde das Konsortium U-Trust von Cetrel, Clearstream, Hitec und EBRC ausgewählt, um die notwendige Technologie zu liefern, damit in Zukunft nicht nur Bankgeschäfte, sondern auch Behördengänge elektronisch ausgeführt werden könnten. Danach wurde immer wieder von allerlei sicheren Zertifikaten, Signaturen und Stempeln geredet, von denen Luxtrust-Verantwortliche und Minister versprachen, sie würden das Leben einfacher machen, die aber mit Namen wie „Secure Socket Layer/Transport Layer Security“ nicht nur furchterregend klangen, sondern auch den Eindruck erweckten, es sei wahrscheinlich doch einfacher, mit einem ganz normalen Kugelschreiber seine Unterschrift auf ein Blatt Papier zu setzen. 2008 luden Krecké und Wiseler erneut zu einer Pressekonferenz in die Handelskammer. Dieses Mal, um anzukündigen, dass (einzelne) staatliche Behörden nun so weit seien, elektronische Unterlagen entgegen zu nehmen; fortan sollte es für Unternehmen möglich sein, eine Luxtrust-zertifizierte digitale Mehrwertsteuer- und Zollerklärung einzureichen. Für Privatpersonen wurde die Einführung des wohlbekannten Tokens angekündigt, das zur Authentifizierung einen 30 Sekunden lang gültigen Code generiert. Ein Jahr später musste auch der medienscheue Direktor der Steuerverwaltung, Guy Heintz, mit Wiseler vor die Kamera, um anzukündigen, dass fortan die Steuererklärung ohne Papier, aber mit Luxtrust eingereicht werden könnte. „Déjà 20 000 certificats“ meldete die Voix de Luxembourg 2009 über die Nutzerzahlen von Luxtrust. Das war übertrieben optimistisch. Denn immerhin liefen damals schon die Web-Banking-Anwendungen von BCEE, BGL, Dexia und der Post mit Luxtrust, deren kombinierter Kundenstamm ohnehin fast den gesamten Markt abdeckt. Darüber hinaus nutzen gebietsansässige Firmen für den Zugang zum Zahlungssystem Multiline die Luxtrust-Karten. In Anbetracht dieser Umstände waren 20 000 Nutzer eher bescheiden.
Zwei Jahre später kam die elektronische Bilanzzentrale, und alle in Luxemburg registrierten Unternehmen wurden – zwecks Vereinfachung der Behördengänge – forciert, ihre Bilanzen, mit Luxtrust-Zertifikat ausgestattet, elektronisch einzureichen. 2014 hatten sich die Nutzerzahlen immerhin verzehnfacht. Dennoch lud diesmal Wirtschaftsminister Etienne Schneider zur Pressekonferenz, um anzukündigen, dass es ab 2015 keine Internet-Bankgeschäfte mehr ohne Luxtrust-Produkt geben werde. Zwar waren damals bereits 150 000 der Token im Umlauf, doch für die Aktionäre von Luxtrust, darunter der Staat, gab es gute Gründe, den Kundenstamm per Dekret auszubauen.
Bei der Gründung war Luxtrust mit großzügigen 4,5 Millionen Euro Kapital ausgerüstet wurden. Doch weil die Fortschritte bei der Kommerzialisierung ausblieben, häufte die Firma bis 2011 8,5 Millionen Euro Verluste an. Eine Kapitalerhöhung von 9,5 Millionen Euro wurde notwendig und ein Strategiewechsel. Denn mit einem Gestehungspreis von 87 Euro für einen Signing Stick oder immer noch 37 Euro für ein Token, einer Vielzahl von auszufüllenden Formularen, Aktivierungsprozeduren und Fristen, nach denen die Aktivierung unmöglich wurde und die ganzen Prozeduren von Neuem gestartet werden mussten, sowie mitunter inkompatibler Software, war es für die Kunden immer noch günstiger und stressfreier, einen Kugelschreiber zur Hand zu nehmen.
Weil der Kundschaft die Vorzüge von Luxtrust nicht spontan einleuchten wollten, wurden sich der Staat und die Banken, gleichzeitig Aktionäre und Kunden von Luxtrust, mit der Firma einig, erstens bis 2015 kein Webbanking ohne Luxtrust-Zertifikat mehr zu akzeptieren und zweitens den Kunden das Token „gratis“ anzubieten, um die anfallenden Kosten dann über die Kontogebühren weiterzureichen. Denn die Einnahmen von zehn Millionen Euro, die Luxtrust für das vergangene Geschäftsjahr meldet, stammen, wie Pascal Rogiest bestätigt, aus den Abonnements, welche die Banken pro Kunden bezahlen. Seit die Umsetzung dieses Vorhabens 2013 begann, erzielt Luxtrust jährlich Gewinne in einer Spannbreite von 868 000 Euro (2016) und 1,7 Millionen Euro (2014). Dass die Banken ihren Kunden diese Ausgaben nicht in Rechnung stellen würden, ist eher unwahrscheinlich – und das wirft ein etwas anderes Licht auf die in den vergangenen Wochen und Monaten öffentlich geführte Diskussion über die Bankgebühren. Seit die Post und Sparkasse ihre Gebühren für Schaltertransaktionen drastisch angehoben haben mit dem Argument, Online-Überweisungen seien gratis, führt der Luxemburger Konsumentenschutz eine Kampagne gegen diese Entwicklung und hat Petitionen und Proteste gestartet. Dass auch das Webbanking nicht gänzlich umsonst ist, wurde in dieser Auseinandersetzung noch gar nicht berücksichtigt.
Als Regierung und Banken 2014 den Übergang auf Luxtrust forcierten, versprachen sie erstens das erste Token umsonst sowie ein drei Jahre lang gültiges Zertifikat. Dass nun, drei Jahre später, ein großer Wechsel ansteht, sei nicht zu befürchten, sagt Pascal Rogiest, da die Token sechs bis sieben Jahre lang funktionsfähig seien und die Kunden ihr Zertifikat selbst bei Luxtrust erneuern könnten.
Ob das Zeitalter der Token danach ohnehin bald vorbei ist? Denn schon jetzt bietet Luxtrust eine neue Anwendung an für Privatkunden an, die das gute Stück überflüssig macht. Manche Banken generieren zwecks Identifizierung in ihrem Webbanking einen der quadratischen QR-Codes, den die Kunden dann mit dem Smartphone scannen. Andere werden dieser Entwicklung bald folgen. Der Vorteil davon wäre, dass dem Kunden seine digitale Identität nicht vollkommen flöten geht, wenn er das Token verliert. Aber es ganz abszuchaffen, das sei nicht geplant sagt Rogiest, weil schätzungsweise ein Fünftel der Kundschaft kein Smartphone habe.
Mit dieser neuen Anwendung und aufgrund der vergangenes Jahr in Kraft getretenen Verordnung über die europäischen Vertrauensdienste hofft Luxtrust, nun auch in den Nachbarländern einfacher Marktanteile zu gewinnen; sie müsste nun keine Token mehr verteilen, was die Kosten senkt und die Prozedur vereinfacht. Bisher ist die EU-Kommission Luxtrusts einziger nicht-Luxemburgischer Kunde, der Luxtrust-Dienst zur Zeitstempelung von Unterlagen nutzt.
Dass Luxtrust damit angeben kann, Marktführer in Europa zu sein, obwohl die Kundschaft sich auf eine halbe Million Kunden der Luxemburger Banken beschränkt, ist auf die Definition der Vertrauensdienstleister in dieser Verordnung zurückzuführen, in der eine Liste anerkannter Anbieter für die elektronische Unterschrift anhängt. Weil die Authentifizierung und Signatur zweierlei Dinge sind, die Bürger und Konsumenten in Europa bisher vor allem Authentifizierungsdienste gebraucht haben und viele Firmen sowie Banken ihre eigenen Anwendungen entwickelt dazu haben, ist Luxtrust, gemessen an der Mitarbeiter- und der Zertifikatanzahl, einer der „Großen“ in Europa. Pascal Rogiest ist optimistisch, dass man bald zusätzliche europäische Kunden bekanntgeben kann. Es dauere in ihrem Geschäft lange, bis zu zwei Jahren, bis ein neuer Vertrag abgeschlossen werden könne, weil es beispielsweise für Banken und Verwaltungen wichtige Entscheidungen mit langfristigen Folgen sind, wenn sie ihre Kunden auf ein Produkt umschalten. Demnächst soll es so weit sein.