Konferenz des Wiener Belvedere: Kunstmuseen und Kuratoren suchen nach ihrer Rolle in der digitalen Welt

Wer hat Angst vorm Metaversum?

d'Lëtzebuerger Land du 04.02.2022

„Ungefähr fünf Minuten lang ist Van Gogh - The Immersive Experience wirklich gut“, ätzt Jeffrey Schnapp von der Harvard-Universität: „Aber dann wird es langweilig, weil es nirgendwo hinführt.“ Dagegen beurteilt Carolyn Royston vom Cooper-Hewitt-Designmuseum in New York die Show, die gerade um die Welt tourt, weniger ungnädig: „Habe ich dort etwas gelernt? Nein! Hatte ich ein Erlebnis? Ja!“ Es sei faszinierend, dass Leute dafür 55 Dollar Eintritt zahlen und ganz in Sonnenblumen-Kleidern daherkommen. Wie bei einem Rockkonzert. Nicht wie bei einem Museumsbesuch.

Schon seit der Höhle von Altamira versuchen Künstler immersive Erlebniswelten zu schaffen. Kunstmuseen und Kuratoren aber sind irritiert von der Konkurrenz der Multimedia-Spektakel. Bei der diesjährigen Ausgabe der Konferenz Das Kunstmuseum im digitalen Zeitalter drehten sich gleich mehrere Beiträge um Verheißungen und Gefahren der virtuellen Wirklichkeiten. Mehr als 1 200 Teilnehmer aus über 40 Ländern hatten sich dazu angemeldet. Im Chat dazu kam die besorgte Frage auf, ob das Publikum echte Bilder bald langweilig finden könnte, weil die nicht animiert sind.

Tagungen zu digitalen Herausforderungen für Kunsttempel werden vom Wiener Belvedere seit 2019 jeden Januar organisiert, seit Corona notgedrungen rein digital auf Zoom. Während es im vergangenen Jahr vor allem um Online-Sammlungen ging, war heuer „Hybridität“ das Schwerpunktthema, also die Verbindung von analogen und digitalen Angeboten.

Wieso reiten Museumsbeamte eigentlich so auf der „Aura der Originale“ herum? Im Anfassen-Verboten-Museum beschränkt sich die Erfahrung der Besucher auf das Anschauen der Kunstwerke und das Lesen der Begleittexte – und das können sie auch online haben. Werner Schweibenz von der Universität Konstanz meint jedenfalls, „romantisierende Vorstellungen von der direkten Erfahrbarkeit der Objekte“ seien eine „erhebliche Schwierigkeit für die Zukunftsfähigkeit der Institution Museum“.

Kaum Berührungsängste hat das Mauritshuis in Den Haag. Ein Roboter hat den gesamten Palast gefilmt, Zentimeter für Zentimeter. Stolz präsentierte Sandra Verdel bei der Konferenz die neue Web-App des „ersten Gigapixel-Museums der Welt“: Beim Zoomen durch die beiden Etagen kommt man nicht nur viel näher an die Gemälde heran als von Alarmanlagen erlaubt würde, sondern dank Infrarot-Aufnahmen sogar in die Werke hinein. Dass es deshalb weniger Touristen zu den echten Vermeers ziehen wird, glaubt Verdel nicht – „ganz im Gegenteil“. Derzeit komme rund ein Drittel aller Besucher online in die Gemäldegalerie der niederländischen Könige; ihre Verweildauer von durchschnittlich sechs Minuten sei „ein großer Erfolg“.

Die österreichischen Bundesmuseen, die sich durchaus systemrelevant wähnten, mussten in letzter Zeit den gleichen Corona-Regeln folgen wie Sportplatzkneipen oder Bordelle. Zur Kränkung kommen drastische Einbußen: Im Jahr 2019 waren 1,7 Millionen Besucher zu Gustav Klimts Kuss ins Belvedere gepilgert – in den beiden letzten Jahren kamen 80 Prozent weniger. Christian Huemer, der Leiter des Belvedere Research Center, glaubt trotzdem nicht, dass der Medientheo-retiker Peter Weibel recht hat und die großen Kulturinstitutionen die „Pharaonengräber der Zukunft“ werden.

Pandemie hin, Klimadiskussion her – in zwei, drei Jahren werde der Städtetourismus wieder florieren, hofft Huemer. Bereits 2022 versucht das Belvedere wieder Blockbuster-Ausstellungen, wenn auch eher mit eigenen Beständen als internationalen Leihgaben: ab Januar Dalí- Freud. Eine Obsession, ab Februar Viva Venezia! Die Erfindung Venedigs im 19. Jahrhundert und ab März Lebensnah. Realistische Malerei von 1850 bis 1950. Danach will das Belvedere sein 300-Jahr-Jubiläum mit Klimt. Inspired by Van Gogh, Rodin, Matisse… feiern. Wie man Ausstellungstitel für Suchmaschinen optimiert, das werden Fachkräfte vielleicht in dem Lehrgang erfahren, den Belvedere und Donau-Universität Krems ab Herbst anbieten wollen: The Museum in a Digital World: Strategies - Methods - Tools.

Bei der jüngsten Tagung war zumindest das zu lernen: Ein Museum, das up to date sein will, hat heute nicht mehr Angestellte für Digital-Irgendwas, sondern „Chief Experience Officers“. Die kümmern sich „ganzheitlich“ um alle Aspekte des Besucher-Erlebnisses, auch um so altmodisch analoge wie Wegweiser oder Warteschlangen. Carolyn Royston, die CXO des Cooper Hewitt, findet zum Beispiel die Toiletten im Museum wirklich wichtig: „Das ist der erste Ort, den alle besuchen.“

Die meisten Beiträge der Konferenz-Reihe Das Kunstmuseum im digitalen Zeitalter sind hier zu finden: www.belvedere.at/digitalmuseum2022

Mehr als 750 digitale Initiativen von Museen während der Corona-Pandemie verzeichnet eine Weltkarte der Uni Graz:
www.digitalmuseums.at

Das Wiener Belvedere und 34 weitere Museen zeigen auf Google die große Online-Ausstellung „Klimt vs. Klimt. The Man of Contradiction“: artsandculture.google.com/project/klimt-vs-klimt

Martin Ebner
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