Ein grandioser Neubau verdoppelt die Ausstellungsfläche des Zürcher Kunsthauses

Mindestens ein Picasso auf jeder Etage

d'Lëtzebuerger Land du 05.11.2021

„Schlicht“ wäre nicht ganz der richtige Ausdruck für den Erweiterungsbau von David Chipperfield, den das Kunsthaus Zürich am 9. Oktober eröffnet hat: ein hoher dreigeschossiger Quader mit filigraner Sandsteinfassade, Kärntner Marmor in der riesigen Treppenhaus-Halle, Böden aus Eichenholz, goldschimmernde Türen und Geländer aus Messing. „Puristische Eleganz“ hatte 2012 die Werbung für die Volksabstimmung dazu versprochen: Das „Museum des 21. Jahrhunderts“, geplant für 400 000 Besucher pro Jahr, werde helfen, Zürich „unter den Kulturmetropolen dieser Welt zu positionieren“.

Vom alten Hauptgebäude, 1910 von Karl Moser errichtet und seither mehrfach mit Anbauten erweitert, führt eine unterirdische Passage zum Neubau. Das Kunsthaus bildet nun mit dem Schauspielhaus rund um den Heimplatz ein eigenes Stadtviertel. Das neue Atrium und dahinter der Garten der Kunst, den belgische Landschaftsarchitekten von Wirtz-International gestaltet haben, sollen auch außerhalb der Öffnungszeiten die Zürcher Altstadt und das Hochschulviertel verbinden.Die Hauptattraktion im Chipperfield-Bau ist die Sammlung Emil Bührle, die sich über die Hälfte der obersten Etage ausbreitet und von einem „Dokumentationsraum“ zu ihrer Geschichte ergänzt wird. Versuche, daraus einen Skandal zu machen, fruchteten bislang wenig: Raubkunst-Fälle hatte der Waffenfabrikant Bührle noch selbst bereinigt; ansonsten waren seine Geschäfte nicht anrüchiger als in der Schweiz üblich. Vor allem diese „neben Paris größte Sammlung französischer Impressionisten und Post-Impressionisten“ bewegte Stadt und Kanton Zürich, 118 Millionen Schweizer Franken für die Erweiterung auszugeben. Weitere 88 Millionen kamen von Spendern, darunter prominente Bührle-Erben.

Im ersten Stock des Neubaus sind farbenprächtige Fauvisten und Expressionisten der Sammlung Merzenbacher zu sehen, die ein jüdischer Pelzhändler erworben hat, und abstrakte Werke der Sammlung Looser, die ein Schweizer Heiztechnik-Unternehmer zusammentrug. Dazu kommen ein Dada-Kabinett, zeitgenössische Kunst aus der Kunsthaus-Sammlung, ein Labor für digitale Medien, ein Festsaal und Ateliers. Neue Räume für Sonderausstellungen werden mit Earth Beats. Naturbild im Wandel eingeweiht (bis 6. Februar 2022).

Im Altbau haben nun vor allem die Abteilungen Alberto Giacometti und seine Zeit und Zeitgenössische Fotografie und Video mehr Platz. In drei neuen „Interventionsräumen“ kann aktuelle Kunst die umgebende Sammlung kommentieren. Den großen Ausstellungssaal füllt gerade eine Bodenskulptur, die Walter De Maria 1992 eigens dafür geschaffen hat (bis 20. Februar 2022). Für nächstes Jahr verspricht der deutsche Kunsthaus-Direktor Christoph Becker unter anderem Ausstellungen zur Medizingeschichte und von Yoko Ono, Niki de Saint Phalle und Aristide Maillol. Ab 2023 soll Ann Demeester, derzeit Direktorin des Frans Hals Museums in Haarlem, die Leitung des größten Schweizer Kunstmuseums übernehmen.

Mit dem Chipperfield-Bau wird die Ausstellungsfläche des Kunsthauses ungefähr verdoppelt. Von den rund 4 000 Gemälden und Skulpturen der ständigen Sammlung können nun 20 Prozent gezeigt werden. Allerdings kommen pro Jahr an die 100 Neuerwerbungen dazu. Unlängst hat zum Beispiel der Investor Christen Sveaas 18 Landschaften von Johan Christian Dahl geschenkt. Damit hat das Kunsthaus jetzt nicht nur die größte Munch-Sammlung außerhalb Norwegens, sondern auch eine bedeutende Kollektion nordeuropäischer Romantik.

Viele Besucher werden nur jeweils einen Teil des Kunsttempels bewältigen können. Egal, welcher Gebäude- oder Sammlungsteil: Werke aus Picassos verschiedenen Phasen sind über das ganze Haus verstreut. Der spanische Künstler hatte 1932 im Kunsthaus seine erste Museumsausstellung und war im nahen Restaurant Kronenhalle versackt – was von Schweizer Sammlern ausgiebig für Ankäufe genutzt wurde. Zürich beweist, dass Kriege für das Anhäufen von Kulturgütern durchaus vorteilhaft sind. Allerdings sollte man sich auf das Verkaufen von Waffen und Verbandsmaterial beschränken und sich ansonsten raushalten.

Der Kanonenkönig und sein Kunsthaus

Emil Georg Bührle wurde 1890 im badischen Pforzheim in eine Beamtenfamilie geboren. In Freiburg im Breisgau und München studierte er Germanistik und Kunstgeschichte – daher wohl sein lebenslanges Faible für gotische Madonnen und französische Impressionisten. Im Ersten Weltkrieg war er Soldat an Ost- und Westfront. Danach heiratete er in eine Maschinenbau-Firma in Magdeburg ein. Diese übernahm 1923 eine Fabrik in Zürich-Oerlikon. Bührle zog in die Schweiz, wo er 1937 eingebürgert wurde.

Bührle machte aus seiner Werkzeugmaschinenfabrik Oerlikon, Bührle & Co. (WOB) einen bedeutenden Rüstungskonzern: Flugabwehrkanonen für Frankreich, England, China und weitere Länder. Die WOB, mit 3 700 Beschäftigten eines der größten Schweizer Unternehmen, belieferte im Zweiten Weltkrieg auch Nazideutschland; erst ab 1944 wurden diese Ausfuhren verboten.

Bis 1945 vervierfachte Bührle sein Eigentum. Danach legte der seinerzeit reichste Schweizer erst richtig los: Koreakrieg, Aufrüstung der deutschen Bundeswehr und der NATO, Großaufträge für die USA. Bührle starb 1956 in Zürich. Falls sozialdemokratische Stadtregierungen, Gewerkschaften oder Kirchen gegen seine promisken Geschäfte gewesen sein sollten, dann allenfalls diskret. Ab 1968 erregten aber illegale Waffenexporte Unmut und Bührles Sohn Dieter wurde zu einer Geldstrafe verurteilt. Als WOB-Kanonen im Krieg um Biafra Rotkreuz-Flugzeuge abschossen, demonstrierten Zürcher: „Völkermord finanziert Kunsthaus“.

Bührle sponserte unter anderem den Bau einer katholischen Kirche in Oerlikon und Musiktage in Luzern. Sein Liebling war aber das Kunsthaus Zürich, wo er ab 1940 in der Sammlungskommission über Ankäufe mitentschied. Als ein Referendum einen großen Ausstellungssaal ablehnte, finanzierte er ab 1954 den Pfister-Bau (das Geld für das Auditorium und Museumsrestaurant darunter kam später von seiner Gattin). Rodins monumentales Höllentor neben dem alten Haupteingang ist ebenso ein Geschenk von Bührle wie zwei große Seerosen von Monet.

Von den rund 150 Kunstwerken, die Bührle bis 1945 für seine eigene Sammlung kaufte, wurden 13 als „Raubkunst“ identifiziert - das Schweizer Bundesgericht verurteilte ihn 1948 zur Rückgabe. Neun davon erwarb er ein zweites Mal. Bis zu seinem Tod kaufte Bührle rund 450 weitere Kunstwerke, wobei der jüdische Händler Paul Rosenberg, der ihn angeklagt hatte, einer seiner Lieferanten wurde. Von Bührles Erben wurden dann 203 Hauptwerke in eine Stiftung eingebracht und ab 1960 in einer etwas abgelegenen Villa in Zürich ausgestellt. Diese Gemälde und Skulpturen sind nun für vorerst 20 Jahre eine Dauerleihgabe im Chipperfield-Bau.

Ein neuer Gesamtkatalog Die Sammlung Emil Bührle ist im Hirmer-Verlag erschienen. Die Stiftung ließ die Provenienz ihrer Werke erforschen: www.buehrle.ch. Das Kunsthaus Zürich bietet dazu ein Digitorial: www.buehrle.kunsthaus.ch

Kriegsgeschäfte, Kapital und Kunsthaus, eine von Stadt und Kanton Zürich beauftragte Untersuchung zur Geschichte der Sammlung Bührle, ist hier zu finden: www.fsw.uzh.ch. Wegen „beschönigender Eingriffe in die Forschung“ hat der Historiker Erich Keller im Rotpunktverlag eine eigene Studie veröffentlicht: Das kontaminierte Museum. Das Kunsthaus Zürich und die Sammlung Bührle

Martin Ebner
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