Die Alles-Gut Seuche

 

Die kleine Zeitzeugin

d'Lëtzebuerger Land vom 04.02.2022

Jüngst weilte ich in Deutschland, wo mir Verstörendes begegnete, auf Schritt und Tritt, als Antwort, als Gratiszugabe, als Wegzehrung für die Reisende. Alles gut! antworteten der Zugbegleiter, die Hotelangestellte, der Verkäufer auf eine Frage, eine Verunsicherung, eine Beanstandung. Alles gut! klang es tagein, tagaus, im Supermarkt, beim Äppelwoi, vor dem Bahnhofsklo, wenn ich meckerte oder ein Sörglein aufkeimte. Dieses allgegenwärtige Mantra zog sich durch mein Deutschland-Dasein, es war ein Kulturschock. Bin ich doch Insassin eines Landes, in dem prinzipiell und bis zum quasi unmöglich zu erbringenden Gegenbeweis erst mal alles, Achtung Triggerwarnung!, Oarsch ist. Also Scheiße, wie die Deutschen sagen. Was natürlich viel bequemer ist als Lebensmotto, wie wohlig sich im Leiden suhlen mit diesem Leidmotiv! Alles gut! hörte ich recht? Was war hier los, dieser penetrante Optimismus, frisch gewaschen wie die Stimme Angela Merkels, wie das Gehirn des neuen Menschen? Meinten sie das wirklich?

Was war mit den Deutschen los? Zuerst wurden sie immer italienischer, mit Zügen die zu Fantasiezeiten erscheinen, einem Flughafen dessen Eröffnung ewig in der Schwebe ist, während die maßnahmentreuen Italiener*innen immer mehr ein Verhalten zeigen, was wir für Deutsche reserviert hielten. Und jetzt sind sie auch noch penetrant gut drauf.

Alles in mir sträubte sich gegen dieses invasiv Frischfröhliche, das alles, was weder frisch noch fröhlich war, vielleicht gar welk oder kümmerlich, vom Screen wischte. Diese Teflon-Gutelaune, an der alles abprallt. Dieses frank und frei Geschmetterte, das Lästiges niederschmettert. Alles optimal, jede/r selbstoptimal in der Selbstoptimierungsmaschinerie. Nur nicht suboptimal!
Diese offensive gute Laune gab es doch früher gar nicht, in der guten alten Zeit war alles schlecht, wer gut drauf war hatte bestimmt Drogen genommen. Die Erde war ein Jammertal, man küsste sich nicht andauernd, in Luxemburg antwortete man auf die Frage wie es geht, „et muss“. „Jo merci!“ war der Höhepunkt der Euphorie.

Nice to meet you! sagten die Amerikaner*innen, schon knallten Küsse auf die Wangen der USA-Novizin. Alle fanden es so nice mich zu meeten! Das kam mir doch etwas übertrieben vor, in jugendlicher Strenge diagnostizierte ich Heuchelei. Kein Wunder bei dem Kapitalismus, dass sie mich so imperialistisch vereinnahmten! Sehr bald schon fand ich es aber total nice, siebzigjährige Ehepaare, Nixon wählende Tankstellenbesitzer, den greisen Apotheker der von der Rundstedt-Offensive schwärmte, zu meeten. So schnell geht so was. Eine Floskel, die von den Lippen flutscht.
Was ist schlecht daran, alles gut zu finden? USA-Fan*innen schwärmen vom eingravierten Smile der sie empfängt, statt den runterziehenden runtergezogenen Mundwinkeln hier, die Supermarktfrau in den Staaten ist viel superer drauf als die hier obschon sie sicher noch viel weniger super verdient als die hier. Kostet doch nichts, ein bisschen nett zu sein!

Bin ich die einzige mit Abwehr- Reaktion auf hygienische Freundlichkeit, also mein Problem, mit mir stimmt was nicht? Bei der zwei gut gemeinte Wörter Neoliberalismus-Paranoia auslösen? Guggelguggel, Brigitte-Redakteurin Susanne Arndt spricht von einer Epidemie. Tilman Krause 2017 schon von einer infantilen Segensfloskel, einer schamanischen Geste, einer Heile-Welt-Beschwörungsformel. Alles gut! mümmelt Hans im Unglück sich hinter seiner Maske selber zu. Der wunderbare Dichter und Satiriker Wiglaf Droste, der sniff! 2019 das Zeitliche gesegnet hat schreibt in einem Gedicht „Alles gut ist nämlich Pflicht!“. In Terrorsprache. Aus dem Wörterbuch des modernen Unmenschen ortet Stefan Gärtner 2021 gar Propaganda, einen neoliberalen Schlachtruf, der die Abstiegsängste der Mittelschicht übertönen soll.

Irgendwann, längst war ich zurück aus dem Land, in dem alles gut war, merkte ich, wie locker ich plötzlich unliebsame Gespräche mit einer flotten Floskel beendete. Chirurgisch cleane Zauberfloskel und tschau! So halte ich mir vom Leibe. Aber mit dieser beschwingten Note, wirklich super.

Michèle Thoma
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