Schulreform

Schnüfflerschule

d'Lëtzebuerger Land vom 04.11.2011

Heute loben wir das neueste Filetstück der Schulreform. In einer Escher Grundschule hat der zuständige Inspektor während einer Dienstversammlung die Pädagogen zum besonderen reformatorischen Eifer aufgerufen: sie sollten sich bitte gegenseitig überwachen und regelmäßig Bericht erstatten. Kolleginnen und Kollegen, die zum Beispiel fünf nach acht noch auf dem Flur stehen, statt in ihrem Klassensaal beschwingt die Schulreform umzusetzen, sollten sie diskret dem Inspektor melden. Keine Scheu, liebe Leute, sagte der staatlich vereidigte Kontrolleur, es geht ja hier um unser aller Ansehen. Und um das Prestige der Schule.

Mit Riesenschritten nähert sich die Schulreform so ihrem eigentlichen Ziel: der endgültig entmündigten Lehrerschaft. Die Ministerin lässt ihre elend unterwürfigen Kontrolleure ausschwärmen, um die Atmosphäre in den Schulgebäuden nachhaltig zu vergiften. Jeder Lehrer soll zum Spitzel mit hoher Mobbing-Kompetenz werden. Diese Technik des Verpetzens, Anschwärzens, Verratens ist nur ein Vorgriff auf die Realität im Industriesektor. Jiddereen deem anere säin Däiwel, diese Zielsetzung erfreut jeden Arbeitgeber. Er kann seine Belegschaft spalten, ihr das Wasser abgraben, Solidarität vereiteln, Kampfkraft zunichte machen. In der Schule wird für das Leben gelernt, das Leben ist keine Idylle, lernen wir also, uns krätzeg und möglichst unsolidarisch zu benehmen.

Ganz klar, der beflissene Schnüffler macht sich bei der Schulinspektion schnell beliebt, der Beschnüffelte hingegen kommt ins schwarze Buch. Wahrscheinlich werden die Schulinspektoren tatsächlich Buch führen über unbotmäßige Pädagogen, die sich des Verbrechens schuldig machen, fünf nach acht noch immer nicht vor Frau Delvaux auf die Knie gesunken zu sein. Auf die kontrollierenden Herrschaften kommt eine horrende Arbeit zu. Bald werden nur mehr Lehrervergehen evaluiert und an höchster Stelle statistisch und wissenschaftlich verarbeitet. So mögen wir den reformierten Schulbetrieb: ein Ort des Misstrauens und der gezielt geschürten Zwietracht. Die Ministerin darf mit Stolz auf ihr Werk der Zerstörung blicken. Sie wird nach den nächsten Parlamentswahlen nicht mehr für ihr Amt zur Verfügung stehen. Das Trümmerfeld, das sie hinterlässt, dürfen dann andere wegräumen. So lieben wir die Politik: ein permanenter Krieg gegen die Bürger, mit sturen Ministern in den sichersten Bunkern.

Allerdings fragen wir uns, ob es ausreicht, amateurhaften Schulmenschen, also blutigen Laien, so ohne weiteres das Spitzelhandwerk anzuvertrauen. Lehrer können Opfer von Halluzinationen werden, besonders am frühen Montagmorgen. Vielleicht erscheint ihnen, unter dem wahrnehmungstrübenden Eindruck eines feuchtfröhlichen Wochenendes, plötzlich ein ganzer Pulk aufmüpfiger Pädagogen auf dem Schulflur, vielleicht verzählen sie sich ständig und bescheißen die Falschen beim Schulinspektor. Diesen Fehler sollte die Ministerin vermeiden. Wir schlagen vor, die leibhaftigen Spitzel durch Überwachungskameras zu ersetzen. Die sind nicht nur unbestechlich, sondern haben zudem den Vorteil, dass man sie überall aufhängen kann (ein Gedanke, der einem – Gott bewahre – bei echten Spitzeln gar nicht kommen darf).

Das Gelbe vom Ei wäre die Kamera mitten im Schulsaal. Man muss sie der Lehrkraft ja nicht unbedingt vor die Nase hängen, man sollte sie clever verstecken, damit sie Wirkung zeigt. Es gibt mittlerweile miniaturisierte Kameras, die nicht größer als Stecknadelköpfe sind. Die könnte man irgendwo im klassischen Schulsaalmobiliar einbauen, im Kopf des Gekreuzigten zum Beispiel, Kruzifixe prangen ja noch immer in den meisten Schulzimmern, oder im offiziellen Porträt des Großherzogs, der ja als besonders verdienstvoller Schulabgänger mit blendender Karriere symbolträchtig über den Pulten thront. Wir hätten es dann mit einer sowohl göttlich als auch monarchisch abgesegneten Lehrerüberwachung zu tun. Pig brother is splitting you.

Machen wir uns nichts vor. Es soll Pädagogen geben – wir hören es mit Grauen –, die den vermeintlichen Schutzraum ihres Schulsaals missbrauchen, um sich gelegentlich zu kratzen, und zwar an Stellen, die wir hier nicht näher beschreiben möchten. Diesen schwarzen Schafen, die sich unverschämt an der Schulreform vergreifen, muss die Ministerin schnellstens mit unzähligen Kameras zu Leibe rücken. Kameras leiden immerhin nicht unter Gefühlsduselei. Sie sind brutal objektiv. Das kann man bei leibhaftigen Spitzeln nicht immer voraussetzen. Zart besaitete Denunzianten könnten dazu neigen, plötzlich an Schuldgefühlen zu laborieren. Das wäre ein herber Rückschlag für die Schulreform.

Da Kameras sich zentral vernetzen lassen, was mit Amateurspitzeln gar nicht geht, könnte die Ministerin gemütlich in ihrem Amtssitz das schändliche Treiben feindlicher Lehrer auf Monitoren beobachten, höchstpersönlich sozusagen. Sie könnte dann politisch bewusst aus erster Hand [-]verfolgen, wie sich der Irrsinn, den sie angestiftet hat, flächendeckend ausbreitet. Sie wäre am Ziel ihrer [-]Besessenheit.

Guy Rewenig
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