Der Collège médical gab sich vergangene Woche Mühe, öffentlich zu begründen, wieso er gegen eine Covid-Impfpflicht ab 50 und gegen eine „sektorielle“ im Gesundheits- und Pflegewesen ist, wie die Regierung das anstrebt. Stattdessen plädiert er für eine allgemeine Impfpflicht ab 18 Jahren, „pour des raisons d’équité, de solidarité et de cohésion sociale“.
Nora Back gab sich am Dienstag viel weniger Mühe zu begründen, weshalb auch der OGBL von dem Ansatz der Regierung nichts hält und ihn „spalterisch“ findet. Und obwohl Back der größten Gewerkschaft des Landes vorsteht und keiner Interessenorganisation allein von Gesundheits- und Pflegeberuflern, erweckte sie diesen Eindruck auf der Pressekonferenz nach der Sitzung des OGBL-Nationalvorstands: Ausgerechnet die Pfleger/innen, die gefeierten „Helden der Pandemie“, könne man doch nicht mit einer Impfpflicht plagen.
Dabei ist das genaue Gegenteil wahr. Für wen sollte eine Impfpflicht noch selbstverständlicher sein? Weil dem so ist, existiert auch die bisher einzige Impfpflicht hierzulande für Krankenhauspersonal, mit der gegen Hepatitis B. Der gesellschaftliche Skandal besteht nicht darin, dass „den Helden der Pandemie“ etwas zugemutet werden soll, sondern darin, dass es die sektorielle Impfpflicht gegen Covid-19 nicht schon längst gibt. Sie hätte eingeführt werden können, sobald klar war, dass es Covid-Impfstoffe geben wird – vor anderthalb Jahren, nicht vielleicht im nächsten Herbst.
Natürlich hat das lange Lavieren der Regierung zur Impfpflicht seinen Eindruck auf die Gesellschaft hinterlassen. Ebenso wie das Versprechen auf „Freiheit“, allein wenn man sich immer wieder gratis testen lasse, wie das schon Ende April 2020 verkündet wurde, als die Regierung mitten im Notstand und mit viel Tamtam das Large-scale testing anschob: Die Antivax-Bewegung nahm in Luxemburg ihren Aufschwung, als Mitte September 2021 mit dem Gratistest-Verwöhnprogramm plötzlich Schluss war. Und intern ist die Regierung sich nach wie vor nicht wirklich einig, ob eine Impfpflicht das „einzige Mittel“ ist, um aus der Covid-Seuche herauszukommen, wie DP-Premier Xavier Bettel mittlerweile behauptet, oder das „letzte Mittel“, wie für die LSAP-Gesundheitsministerin. Dass der OGBL sich „einer Diskussion über eine allgemeine Impfpflicht nicht verschließen“ will, aber nur „wenn sie wirklich nötig ist“ und ihm „die richtigen Experten“ das erklären, muss nicht verwundern. Die größte Gewerkschaft meint, es all ihren Mitgliedern recht machen zu müssen, damit bloß niemand austritt.
Mit dieser Haltung aber zieht der OGBL auch in die Auseinandersetzung zu anderen Themen. „Eis Kafkraaft erhalen“, ist der Vorsatz, der ihm vor allem einfällt und gegen den schwerlich jemand etwas haben kann. Was jedoch zum Beispiel dazu führt, dass die OGBL-Vertreter im Vorstand des Kompensationsfonds der Rentenkasse bremsen, wenn es darum geht, aus dessen Vermögensanteilen solche zu entfernen, die mit der Kohle- und der Petrolindustrie verbunden sind. Oder dazu, die Suspendierung der CO2-Steuer zu verlangen, als im vergangenen Herbst der Höhenflug der Energiepreise eingesetzt hatte.
Wenn das Ausdruck der Strategie der größten Gewerkschaft ist, dann handelt es sich um keine sehr einfallsreiche Strategie, um sich den komplexen Problemen der heutigen Gesellschaft zu stellen. Nora Back, bei ihrem Amtsantritt von Paperjam zur „einflussreichsten Frau des Landes“ hochgeschrieben, wollte für eine kreative Gewerkschaftsarbeit stehen, ohne dabei den Einsatz für sozialen Fortschritt zu mindern. Kopf einer „coolen Clique“ zu sein, versprach sie. Sollte heißen: einer verjüngten Gewerkschaftsführung. Verjüngt hat diese sich tatsächlich. Mehr Frauen hat sie auch. Doch der Einfluss der älteren Männer ist noch immer groß. Mit Urgestein René Pizzaferri an der Spitze sind sie auch stark in der vom OGBL dominierten ASBL Patientevertriedung, deren Vorstand vor zwei Wochen mehrheitlich Nein zu jeder Form von Covid-Impfpflicht sagte. Nur die LCGB-Vertreter sagten Ja. Und Vizepräsident Jean Huss sagte Nein. Doch ob er die OGBL-Herren lange überzeugen musste, ist gar nicht so sicher.