Die Einführung „intelligenter” Strom- und Gaszähler wird bisher vor allem als technische Innovation gepriesen. Sie wird aber auch das Verhältnis zwischen Energieversorgern und Kunden verändern

Zurückhaltung war mal

d'Lëtzebuerger Land vom 16.01.2015

Für 15 000 Energieverbraucher brechen im zweiten Halbjahr 2016 andere Zeiten an. Sie werden dann wählen können, ob sie ein letztes Mal für Strom und Gas die gewohnte monatliche Pauschale zahlen wollen und im Januar des darauffolgenden Jahres den Restbetrag, nachdem kurz vor dem Jahreswechsel ihre Energieversorger den Jahresverbrauch bestimmt haben. Oder ob sie schon eine exakte Rechnung pro Monat haben möchten. Letzteres wird bis Ende 2020 für jeden Verbraucher so sein.

Möglich wird das durch „intelligente Zähler“, so genannte Smart Meters. Die digitalen Messgeräte übermitteln im Viertelstundentakt den Stromverbrauch und im Stundentakt den Gasverbrauch an eine gemeinsame Datenzentrale der fünf Stromnetz- und der drei Gasnetzbetreiber. Von dort werden die Verbrauchsdaten an die Strom- und Gasversorger weitergereicht. Die wiederum informieren ihre Kunden nicht nur mit der Monatsabrechnung über den Verbrauch, sondern viel öfter: Smart Metering soll für den Energiekonsum „sensibilisieren“ und die Verbraucher „aktivieren“, um ihn senken zu helfen. Jedenfalls ist das die Idee im Dritten Energiepaket der EU. Die 2009 in Kraft getretene Richtlinie schreibt den Mitgliedstaaten vor, bis 2020 den Verbrauch von wenigstens vier Fünftel der Strom- und Gasabnehmer „intelligent“ erfassen zu lassen.

In Luxemburg war Smart Metering in aller Öffentlichkeit bisher nur Gegenstand offizieller Propaganda des Wirtschaftsministeriums und des Institut luxembourgeoise de régulation (ILR) gewesen – jener Behörde, die von der Eisenbahn über Post und Telekommunikation bis hin zur Energiebranche die Märkte in allen Sektoren reguliert, die früher zur staatlichen Daseinsfürsorge gehörten, nach der Rezession in Westeuropa Anfang der Neunzigerjahre aber nach und nach liberalisiert worden waren, auf dass dort neue Wachstumsfelder entstünden.

Von Propaganda zu sprechen, ist deshalb nicht falsch, weil die digitale Energieverbrauchserfassung in erster Linie als große technische Innovation gepriesen wird. „Le compteur intelligent de-vient communicant grâce aux TIC!“, jubelte das ILR vor drei Jahren in einer „Konsultation“, die die Meinung der Öffentlichkeit über die Zählerzukunft einholen sollte, und fuhr fort: „En outre, les compteurs intelligents permettront de contrôler et de guider la consommation énergétique individuelle à distance. Cette vision technologique veut dire que les équipements électroménagers seront interconnectés entre eux et pourront être allumés à distance au moment où le prix de l’électricité est le plus bas. Cette possibilité du Smart Home représente un potentiel énorme pour une utilisation énergétique efficiente au sein de chaque ménage.“

Wirtschaftsminister Étienne Schneider (LSAP) wiederum erzählte am 30. September vergangenen Jahres dem Lëtzebuerger Journal, falls es gelänge, dank der Intelligenz in den Netzen „europaweit den Energieverbrauch auch um nur zwei bis drei Prozent zu verringern, wird die Energie nicht nur billiger, dann können auch einige Kohle- und Atomkraftwerke abgeschaltet werden“. In Nachbarschaft des AKW Cattenom liest man dergleichen natürlich gern.

Eine ganz beachtliche Innovation ist das Smart Metering sicherlich. Luxemburg will bei dessen Einführung nicht nur mitziehen, weil eine EU-Richtlinie es festlegt, sondern Vorreiter sein. Deshalb soll nicht nur bei 80 Prozent, sondern allen Verbrauchern bis 2020 „smart“ gemessen werden. Und: Die IT-Architektur, die das Groupement d’intérêt économique Luxmetering, ein Gemeinschaftsunternehmen der Strom- und Gasnetzbetreiber, derzeit entwickeln lässt, wird „multifluide“ Messungen erlauben – nicht nur die des Strom- und des Gasverbrauchs, sondern später auch den von Wasser und von Fernwärme, falls ein Abnehmer an ein Fernwärmenetz angeschlossen ist. In keinem Staat der Welt will man derzeit so weit gehen, vier Flüsse digital zu erfasssen. Mit seinen Ambitionen soll Luxemburg als kleines Land zum „Labor“ werden und Firmen anziehen. „Intelligente Zähler“, die später zu „intelligenten Netzen“ führen, sind Kernbestandteil der Diversifizierungsstrategie im Bereich Umwelt- und Energietechnologien, deren Ausarbeitung schon unter Schneiders Vorgänger Jeannot Krecké (LSAP) begonnen hatte. Da steckt hinter Smart Metering-Propaganda stets ein guter Teil Standort-Marketing.

Viel weniger öffentlich thematisiert wurde dagegen bisher das Geschäftsmodell des Luxemburger Smart Metering-Konzepts und wie die neue Art der Abrechnung beim Endkunden konkret beschaffen sein soll.

Das dürfte einerseits daran liegen, dass noch keine endgültigen Schätzungen über die Gesamtkosten des Zählertauschs, die Vernetzung der mehr als 260 000 neuen Strom- und der rund 82 000 neuen Gaszähler mit der Datenzentrale und die Absicherung des ganzen Systems vorliegen. Eine Studie der französischen Beratungsfirma Schwartz & Co. hatte im Frühjahr 2012 die Gesamtkosten auf rund 48 Millionen Euro veranschlagt. Der Wirtschaftsminister sprach im Herbst vergangenen Jahres von 50 bis 60 Millionen. Mehr Klarheit wird erst in einem Jahr herrschen, wenn man bei Luxmetering weiß, wie teuer die Installation der Zähler wohl wird. Im ersten Quartal 2016 sollen die Smart Meters für Feldversuche geliefert werden, danach sollen zunächst 14 000 alte Stromzähler und 1 000 Gaszähler ersetzt werden, in den Jahren danach jeweils um die 100 000 Zähler. Dieses Jahr ist das GIE Luxmetering noch mit der Klärung von Sicherheitsfragen beschäftigt. Zum Beispiel erlauben die neuen Zähler nicht nur Verbrauche zu messen. Sie enthalten auch Schalter, mit denen ein Abnehmer vom Netz genommen werden kann – etwa, wenn er seine Rechnung nicht bezahlt. In Deutschland verzichtet man bewusst auf Zähler mit diesem Accessoire, weil man die fernbediente Abschaltmöglichkeit für ein Sicherheitsrisiko hält. In Luxemburg tüftelt Luxmetering, gemeinsam mit dem Forschungszentrum für IT-Sicherheit der hiesigen Universität und Partnern im Ausland, an Verschlüsselungsalgorithmen, Firewalls und Software-Protokollen, die verhindern sollen, dass ein Hacker mal eben ein ganzes Stadtviertel ohne Energie und Wasser dastehen lassen oder mit einer Abschaltdrohung eine größere Geldsumme erpressen könnte.

Fest steht jedoch: Der Aufwand für die neue Infrastruktur wird auf die Netzkosten der Haushaltskunden umgelegt – verteilt auf die 20 Jahre Lebensdauer, die ein neuer smarter Zähler hat. Die Berater von Schwartz & Co. hatten vor drei Jahren geschätzt, durch die Kostenumlage steige in den ersten drei Jahren nach Start des Zählertauschs die Jahres-Stromrechnung pro Haushalt nach und nach, um am Ende durchschnittlich drei Euro teurer zu sein. Die Gasrechnung werde maximal sieben Euro teurer. Nach Ablauf der drei Jahre werde es billiger, und gegen Ende der Zähler-Lebensdauer zahle der Kunde für Strom im Schnitt zehn, für Gas neun Euro jährlich weniger als in der Ära der alten Zähler.

Dieses Szenario ist heute überholt. Bei Luxmetering geht man davon aus, der neue „Business case“ werde, wenngleich man ihn noch nicht genau beziffern kann, „günstiger“. Doch auch er wird nur Wirklichkeit, wenn dank Smart Metering der Strom- und der Gasverbrauch tatsächlich sinken – und zwar um wenigstens 0,5 Prozent.

Ob das geschieht, ist nicht so sicher. Immerhin haben Studien beispielsweise gezeigt, dass energieeffiziente Haushaltsgeräte nicht selten ihr Ziel verfehlen, weil ihr Besitzer sie im Vertrauen auf deren Effizienz sorgloser nutzt als Geräte ohne Sparsam-Label. Und nach wie vor gehören in Luxemburg die Endpreise vor allem für Strom für Haushaltskunden zu den niedrigsten in der EU, so dass sie relativ wenig zum Sparen anreizen.

Neu ist allerdings, dass noch im Laufe dieses Jahres die Strom- und die Gasversorger verpflichtet werden, zum Energiesparen beizutragen. Ob Branchenführer Enovos oder kleine Unternehmen wie Electris und Eida: Wer gegenüber dem Wirtschaftsministerium und dem ILR nicht Jahr für Jahr nachweisen kann, geholfen zu haben, dass der Verbrauch, der dem jeweils eigenen Marktanteil entspricht, um mindestens 1,5 Prozent gesunken war, bekommt vom ILR ein Strafgeld auferlegt. Den neuen Mechanismus schreibt die jüngste EU-Energieeffizienzrichtlinie vor.

Dass die Energieversorger die Verbrauchsdaten aus dem Smart Metering nutzen sollen, um ihre Kunden zum Sparen anzuhalten, steht nicht in dem Maßnahmenkatalog einer großherzoglichen Verordnung, die sich derzeit noch auf dem Weg durch die Instanzen befindet und eine Art Zertifikate-System einführen soll, durch das die Versorger ihre Bemühungen für mehr Energieeffizienz verbucht erhalten sollen. Bietet ein Energieversorger seinen Kunden Beratungen über Wärmedämmmung an oder klärt er sie über stromsparende Beleuchtung auf, bringt das ebenfalls Punkte, und besonders einträglich ist am Ende vielleicht die Konzentration auf große kommerzielle Kunden mit hohem Verbrauch.

Ausgeschlossen ist es aber nicht, dass die Versorger versuchen werden, sich durch das Smart Metering entstandene Einspareffekte gutschreiben zu lassen. Der Maßnahmenkatalog im Règlement grand-ducal ist offen, und dass mit dem Ende der klassischen Abrechnung mit Monatspauschale und Jahresendabschluss nicht nur eine Monatsrechnung eingeführt werden soll, sondern auch neue Tarifmodelle, liegt in der Natur der Sache.

Denn das ist gemeint, wenn Smart Metering der „Sensibilisierung“ und der „Aktivierung“ der Verbraucher dienen soll: Gestützt auf den im Viertelstundentakt erhobenen Stromverbrauch und den stündlich gemessenen Gasverbrauch werden die Versorger ihren Kunden Angebote machen, zu bestimmten Zeiten kleinere Energie-Kontingente zu günstigeren Preisen zu beziehen, ihren Verbrauch überhaupt unter eine Schwelle zu senken, die indivi-duell festgelegt würde und ab der es billiger wird, und was die Kreativität der Sales Manager noch so hervorbringen wird.

Davon abgesehen wird der Kunde regelmäßig über seinen Verbrauch unterrichtet: Zwar soll, wie man bei Luxmetering entschieden hat, kein „Home display“ als Dreingabe zum Zählertausch installiert werden: Im Ausland, wo solche Bildschirme schon im Einsatz sind, hat sich gezeigt, dass die wenigsten Verbraucher draufschauen. Apps für Smartphones und Tablet-Computer, die man stattdessen favorisiert, würden dagegen nicht nur über den Verbrauchsverlauf informieren, sondern ihn obendrein geldwert umrechnen, eine Verbrauchs-Prognose zu bestimmten Tarifen mit der Wettervorhersage korrelieren und Alarm schlagen, wenn besonders viel konsumiert zu werden droht. Aus einer Studie der französischen EDF weiß man, dass Energiekunden umso mehr sparen, je mehr sie mit ihrem Verbrauch „konfrontiert“ werden. Und koppelt man die Konfrontation mit „Beratungsangeboten“, dann sind nicht nur 0,5 Prozent Spareffekt erreichbar, sondern drei bis vier Prozent.

Abzusehen ist demnach: Die bisher so zurückhaltenden Energieversorger, die ihre Hauptaufgabe darin sahen, so viel Strom und Gas an den Kunden zu bringen wie möglich, und vielleicht mal eine Postwurfsendung zum Energiesparen organisierten, werden in der Smart Meter-Ära aufdringlicher werden. Ob das der Kundschaft gefallen wird, muss sich zeigen, ob sie die neuen Angebote annimmt, auch. Dass sich mit dem Zählerwechsel die Beziehungen zwischen Energieversorgern und Abnehmern ebenfalls stark verändern werden, dürfte der zweite Grund sein, weshalb die „intelligente“ Zukunft bisher nur als technische Innovation propagiert wird. Der Wirtschaftsminister hat sich zwar schon gewünscht, dass „alle mitmachen“, und in Aussicht gestellt, den Mitmachern werde „entgegengekommen“. Wie das genau vonstatten gehen soll, hat er aber noch nicht erklärt. Und bei aller Begeisterung für IT und neue elektronische Gadgets hierzulande ist noch längst nicht jeder Besitzer eines Smartphones oder eines Tablet-PC, und wie die Informationen über Strom-, Gas- und bald vielleicht auch den Wasserverbrauch intelligent an den Mann und an die Frau gebracht werden sollen, ist noch sehr die Frage.

Peter Feist
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