HNCA-Luftfahrtberater Robert Song im Land-Gespräch

Von China aus gesehen

d'Lëtzebuerger Land vom 06.12.2013

„Man muss erst einmal verstehen, was HNCA eigentlich ist“, sagt Robert Song. Er ist der Berater der Henan Civil Aviation Development & Investment Co., dem Investitionsarm der chinesischen Provinz Henan mit 179 Millionen Einwohnern in Zentralchina. Zwischen den Buchhaltern, Investmentbankern und Anwälten sei er der einzige mit Luftfrachtbranchenerfahrung, sagt Song. Als ehemaliger Mitarbeiter von Air New Zealand hat er mit Cargolux bereits in der Vergangenheit zusammengearbeitet. Später, als globaler Verkaufschef von Airbridge Cargo (ABC), hat er seine Stationen rund um den Globus angeleitet, zu beobachten und zu kopieren, was Cargolux macht.

Als Investor in die Bodeninfrastruktur am Flughafen Xinzheng (CGO) südöstlich der Provinzhauptstadt Zhengzhou, sagt Song, sei HNCA daran gelegen, die Aktivität dort auszubauen und die Infrastruktur zu rentabilisieren. 2012 nutzten zwölf Millionen Passagiere den Flughafen Xinzheng, 150 000 Tonnen Fracht wurden dort umgeschlagen. Nicht viel im Vergleich zu anderen chinesischen Hubs, wie Shanghai oder Hongkong. Doch an diesen Knotenpunkten, diesen gesättigten Märkten, argumentiert Song, sei nicht mehr so viel Wachstum möglich, und Xinzheng, obwohl klein, in den drei vergangenen Jahren der am schnellsten wachsende Frachtflughafen in China. Allein 2013 werde das Frachtvolumen um 67 Prozent gesteigert. „Das ist nicht nur auf die Marktkräfte zurückzuführen, sondern darauf, dass die Regierung Exporteuren Anreize gibt, aus den gesättigten Märkten in die weniger entwickelten Regionen zu gehen. Das Land ist billiger, die Arbeitskosten sind niedriger und deshalb ist die Beschaffungskette insgesamt günstiger.“

Dass die Wachstumsziele von Zhengzhou erreicht werden, daran hat Song wenig Zweifel. Am Flughafen werden 2,4 Milliarden Dollar investiert, um die Kapazitäten bis 2014 auf 29 Millionen Passagiere und 500 000 Tonnen Fracht jährlich auszubauen, dieses Jahr sollen 250 000 und nächstes Jahr 400 000 Tonnen umgeschlagen werden. „In China folgt alles einem Plan, wir haben eine Planwirtschaft und einen Fünfjahresplan. Vor zehn Jahren hieß der Plan ‚Go west’, nun heißt er ‚Go central’“, sagt Song. Der wirtschaftliche Aufbau der weniger entwickelten zentralen Regionen soll durch den Ausbau der Luftfahrt erfolgen, so die Vorgabe. Also hat die Provinz Henan zusammen mit der chinesischen Luftfahrtbehörde CAAC ein Projekt bei der Zentralregierung eingereicht, um Zhengzhou zum Zentrum dieser Bestrebungen zu machen, und damit Erfolg gehabt. „Das heißt, dass kein anderer Flughafen sich auf die gleiche Art wird entwickeln können“, erklärt Song. Weil die Zentralregierung außerdem die Vorgabe gemacht habe, die chinesischen Beteiligungen an ausländischen Firmen zu erhöhen und der geplante Cargolux-Einstieg die erste Auslandsinvestition der Provinz Henan wäre, habe die Ankündigung des Vorhabens auch in Peking viel Aufmerksamkeit erregt. „Der aktuelle Premier Li Keqiang war sieben Jahre Gouverneur der Provinz Henan“, fügt Song hinzu. Die Welt ist auch im großen China klein.

Zhengzhou sei geografisch ideal gelegen, um zum multimodalen Logistik-Hub ausgebaut zu werden, so Song. Als Kornkammer Chinas sei die Region historisch ein großer Binnenaustauschplatz, hier kreuzten sich die Eisenbahn- und Straßenverbindungen auf den Nord-Süd- und den Nord-West-Achsen, es gebe Anschluss an die Binnenschifffahrt und damit an die Seehäfen der Küste. Im 2 000-Kilometerradius um Zhengzhou, also binnen weniger Flugstunden, seien 90 Prozent der chinesischen Bevölkerung und damit der großen Industriezentren zu erreichen, so Song, der erzählt, dass es seit kurzem eine direkte Bahnverbindung Zhengzhou-Hamburg gibt. „Der wachsende chinesische Warenverkehr, zusammen mit der anhaltenden Verlagerung von produktionsintensiven Industrien ins chinesische Hinterland, bietet viel Potenzial. DB Schenker hat dafür in Asien eine exzellente Startposition“, so der DB-Vorstandsvorsitzende Rüdiger Grube laut Pressemitteilung anlässlich der Ankunft des ersten Zuges im vergangenen August in Hamburg.

Für das Argument der HNCA-Gegner in Luxemburg, es fehle in Zhengzhou an Produktionsanlagen, um ein wirkliches Exportzentrum zu werden, hat Song nur ein herzliches Lachen übrig: „Sehen Sie sich nur Luxemburg selbst an. Produziert es mit 500 000 Einwohner viel Exportware? Konsumieren die Verbraucher viel Importware? Dennoch werden am Flughafen 700 000 Tonnen Fracht umgeschlagen.“ Um I-Phone-Hersteller Foxconn anzuregen, seine Produktion von Shenzhen nach Zhengzhou zu verlagern, habe der Gouverneur keine 230 Millionen Dollar zahlen müssen, sagt Song trocken. Er glaubt an die Standortvorteile im chinesischen Hinterland. Foxconn, meldete trends.knack.be nicht später als am Mittwoch, lässt das I-Phone-5, das in Zhengzhou hergestellt werden, künftig von TNT über Lüttich nach Europa importieren.

Für Song gibt es noch andere gute Argumente, auf den Flughafen Zhengzhou zu setzen. Auch als Importflughafen für China. Song setzt auf die steigende Kaufkraft der Chinesen, die schon seit Jahren als gewichtigste Konsumentengruppe von – auch europäischen – Luxusgütern gelten. Um die Chinesen dazu zu bewegen, Luxuswaren legal statt illegal einzuführen und den Zoll zu umgehen, habe die Zentralregierung einen Plan zur Entwicklung einer E-Handelsplattform entwickelt. So seien fünf Flughäfen, darunter CGO, ausgesucht worden; wer seine Waren über diese Punkte importiere, könne von niedrigeren Zollabgaben profitieren, so Song. Doch weil sich der Geschmack der Chinesen verändere und sie auch vermehrt Nahrungsmittel, wie Babynahrung – der Babymilch-Skandal lässt grüßen –, Fleisch, Fisch und Medikamente importierten, sieht er gute Chancen für steigenden Frachtvolumen auf den Flügen nach China. Auch dabei sieht Song Zhengzhou im Vorteil. Durch seinen Sonderstatus als experimentelle Luftfahrtwachstumszone könne der Flughafen auch auf die Unterstützung zentraler Bhörden zählen. Beispielsweise den Zoll, der Anweisung habe, alle mit den notwendigen Papieren ausgestatteten Waren binnen eines Tages abzufertigen und freizugeben. „Das ist in China einzigartig“, betont er.

Doch die Bedingung für steigende Frischwarenimporte ist eine lückenlose Liefer- und Kältekette beim Transport. Und damit steigt die Bedeutung dessen, was am Boden passiert, dort, wo HNCA in die Infrastruktur investiert hat, und damit das Interesse von HNCA an Luxemburg. Denn wie Song über die Cargolux-Beteiligung sagt: „Es geht dabei ebenso sehr um Luxemburg wie es um Cargolux geht.“ Wir haben die Gelegenheit ergriffen, in Cargolux zu investieren, um Luxemburg näherzukommen. Wir sind am gesamten Operationsmodell des Luxemburger Hubs interessiert, nicht nur an dieser einen Airline. Hätten wir Flugzeuge gekauft und würden selbst die Route bedienen, würden wir dennoch keine Unterstützung in Sachen Infrastruktur erhalten. Daran wäre nichts Einzigartiges und es gebe keine komplette Lieferkette. Wäre dies eine andere Nurfracht-Fluggesellschaft gewesen, glaube ich nicht, dass HNCA an einer Investition interessiert gewesen wäre, weil wir nicht nur an einer Airline interessiert sind, sondern an dem was wir als Gesamtpaket der ganzen Lieferkette betrachten. Luxemburg hat diese Lieferkette, es hat 40 Jahre gedauert, dies aufzubauen und wir glauben, dass dies sehr wertvoll ist.“

„Es geht um vertikale Integration“, fährt Song fort. „Wenn man Cargolux hier in Luxemburg betrachtet, glaube ich, wird das meiste Geld in dem Geschäftsbereich verdient, die Cargolux selbst nicht gehören, der Frachtabwicklung.“ Song spricht von Luxair Cargo. „Das ist in Ordnung, weil es zur gleichen Gruppe gehört, im Endeffekt gehört es dem Staat. Ich kann die sozialen Vorteile davon erkennen. Ich glaube außerdem, dass ohne die staatliche Beteiligung diese vertikale Integration nicht möglich gewesen wäre“, fügt er hinzu, ohne den „gemeinsamen Teilhaber“ wäre die Zusammenarbeit nicht so gut. Denn an Akteure fehle es auch in China nicht, vielmehr an der Koordinierung beim Umladen der Waren. „Ich sehe dies deswegen nicht als eine Investition einer Privatgesellschaft in eine andere, sondern als Investition einer Regierung mit einer anderen. Beide Regierungen liegen auf einer Linie, was ihr Verständnis der Industrie und ihrer Vorteile angeht.“ Damit meint Song den Stellenwert der Logistik für die wirtschaftliche Entwicklung. „Also haben zwei Regierungen vereinbart zusammenzuarbeiten, um eine einzigartige Wertschöpfungskette zu kreieren. Es gibt keine solche Wertschöpfungskette in China.“

Als Investor in Cargolux erwarte man sich deswegen bei HNCA keine direkte Rendite. Sondern dass sie über die Bedienung der Route Zhengzhou-Europa die Frachtvolumen in CGO steigern helfe. Und das langfristig, weil eine Airline, in die HNCA investiert habe, anders als die anderen 14 Frachtgesellschaften, die schon vor Ort sind, nicht kurzfristig wieder abwandern könne. „Wir wollen ein kontinuierliches Angebot und einen Dienstleistungsstandard garantieren. Man kann sich dabei nicht auf Privatunternehmen verlassen.“ Ein direktes Interesse, die Beteiligung an Cargolux zu erhöhen, gebe es nicht. HNCA hätte auch weniger als 35 Prozent gekauft, sagt Song nach kurzer Denkpause. „Wir haben gekauft, was im Angebot war“. „Wir haben, was wir wollen: die Möglichkeit, einen Fuß in die Tür des Luxemburger Hubs zu bekommen. Cargolux ist unser Vehikel dafür. Das hat man, ob man nun 25, 33, 35 oder zehn Prozent besitzt. Es geht darum, eine Beziehung zu entwickeln.“ Die Beteiligung ausbauen, erklärt Song, würde HNCA deshalb wahrscheinlich nur dann, wenn die anderen Aktionäre, die Mittel verweigern würde, welche die Firma zum Wachsen braucht. In der gleichen Logik würde sich HNCA auch als Aktionär im Verwaltungsrat verhalten. „In der Geschäftsvereinbahrung“, holt Song aus, „sagen wir, dass wir keinen Geschäftsplan unterstützen, der darauf abzielt, die Firmenaktivität oder die Flotte zurückzubauen. Wir sagen, wir werden aktiv solche Pläne im Verwaltungsrat unterstützen, die einen Ausbau der Firma verfolgen.“ Als Berater sei seine persönliche Sicht der Dinge: „ Würde es einen Vorschlag geben, die Firma zu schrumpfen, würde ich HNCA wahrscheinlich raten, die Sperrminorität zu nutzen.“ „Das würde den Wert unserer Investi­tion schmälern und das könnten wir nur schwer vor der Provinzregierung verteidigen.“ Nur wenn Cargolux wachse, könnten dadurch auch die Volumen in CGO gesteigert werden, argumentiert er.

Dass Teile des Cargolux-Managements nicht an Wachstum durch seine Dual-Hub-Strategie – Luxemburg und Zhengzhou – glauben, stört ihn nicht, weil es nicht nur eine Wahrheit gebe. Allerdings, fügt Song hinzu: Wenn der Verwaltungsrat eine Entscheidung gefällt habe, erwarte er, dass alle gemeinsam in diese Richtung arbeiteten. Song glaubt an die Fähigkeiten des Managements – „sonst wollten wir nicht investieren“. An große Verluste durch die Zhengzhou-Route glaubt er im Gegenzug nicht. „Die Zielvorgaben sind sehr konservativ“, sagt er. 35 000 Tonnen bei einem vorhandenen Volumen von 400 000 Tonnen Fracht sei nicht viel. Sogar wenn diese Ziele nicht erreicht würden, entstünde Cargolux nicht unbedingt ein Schaden. Die Firma müsse lediglich Kapazitäten von anderen defizitären Routen auf die Strecke verlegen. Denn wer von Verlusten rede, sei schlecht informiert und glaube wohl, alle anderen Routen seien rentabel. „Sie liegen falsch. Wir haben im Datenraum gesehen, dass die Hälfte aller Routen im Netz keinen Gewinn macht. Und wir sagen, wenn ihr die Kapazitäten nach Zhengzhou verlegt, werdet ihr weniger Verlust machen.“ Außerdem würde die Entwicklung vom Steuerungskomitee – zusammengesetzt aus Regierungsvertretern beider Seiten – verfolgt. „Wir werden nicht bloß herumsitzen und warten. Wenn wir sehen, dass wir hinter den Zielen zurückbleiben, werden wir weitere Maßnahmen einleiten.“

Im Bezug auf die Joint-Venture-Vorhaben gibt es laut Song Missverständnisse. „Wir haben das vorgeschlagen, um unser Angebot attraktiver zu machen,“ sagt er über die vorgeschlagene gemeinsame Airline, Wartungs- und Pilotentrainingseinheiten. Eine Joint-Venture-Fluggesellschaft in China würde, wie Cargolux-Italia, Teil des globalen Cargolux-Netzwerks werden können und der Firma erlauben, in Märkte einzusteigen, zu denen sie bisher wegen fehlender Flugrechte keinen Zugang hat: dem inner-asiatischen Handel und der Handelsroute China-USA. „Das würde das Cargolux-Netz wirklich öffnen und eine ganz andere Auslastung der Flugzeuge erlauben.“ Pläne fürs Pilotentraining und die Maintenance gibt es mit oder ohne Cargolux. Denn weil die Regierung den Flugraum für das Kleinluftfahrtgeschäft – Privatjets – öffnen will, werde die Nachfrage nach diesen Diensten in den kommenden Jahren steigen. Weil man als Investor in Cargolux Interesse an deren Erfolg habe, „haben wir lediglich gesagt, wenn ihr glaubt, ihr habt die Fähigkeiten das zu machen, und wollt einsteigen, können wir euch helfen“, sagt Song, der noch einmal die guten Beziehungen zur chinesischen Luftfahrtbehörde hervorhebt. „Aber dies wäre eine zweite Phase der Zusammenarbeit und es wäre anCargolux zu entscheiden, ob sie mitmachen will. Deswegen haben wir im commercial agreement gesagt, die Machbarkeitsstudien sind Bedingung dafür und die werden von Luxemburger Seite ausgehen, nicht von chinesischer Seite.“

Michèle Sinner
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