Leitartikel

Außergewöhnliche Belastung

d'Lëtzebuerger Land vom 05.02.2016

Die Meinungen geht weit auseinander, wie groß oder klein die geplante Steuerreform ausfallen soll, und jedem fallen derzeit gute Gründe ein, weshalb er dabei entlastet werden soll, von den Unternehmerverbänden über die Staatsbeamtengewerk­schaft bis zu den diese Woche im Parlament aufmarschierten Witwen. Wobei sich die Größe einer Steuerreform nicht nur an der Summe und der sozialen Verteilung der Steuerausfälle messen lassen kann, sondern auch an der Verbesserung der Struktur des Steuersystems. Oder vielmehr der Steuersysteme, da es zwei hermetisch getrennte Steuersysteme gibt: der im Wahlkampf umkämpfte Steuerstaat, mit Mittelstandsbuckel und Kinderbonus, und das möglichst aus der öffentlichen Diskussion ferngehaltene Steuerparadies, mit Schachtelprivileg und Steuerberatungsindustrie.

Zu den Strukturreformen, die immer wieder gefordert, angekündigt, studiert und aufgeschoben wurden, gehört die Einführung der Individualbesteuerung für Ehepaare. Die gemeinsame Veranlagung mit Ehegattensplitting durch die augenblickliche Steuerklasse 2 war lange eine wichtige Vorkehrung, um Haushalte steuerlich zu entlasten, die von einem einzigen Erwerbseinkommen leben mussten. Doch seit in den vergangenen Jahrzehnten die Frauenerwerbsquote in Luxemburg rasant gestiegen ist, erscheinen die Steuerklasse 2 und ihr Nachklang 1a zunehmend als eine staatliche Bezuschussung der Hausfrauenehe und eine Entmutigung erwerbstätiger Ehefrauen als Hinzuverdienerinnen.

Als ein vergleichbares Relikt überholter christkatholischer Familienpolitik erscheint der nicht mehr der gesellschaftlichen Wirklichkeit entsprechende Begriff des Steuerhaushalts. Heute kommen etwa so viele Kinder unverheirateter Eltern zur Welt wie Kinder verheirateter Eltern. Kinder, deren Eltern aber unverheiratet oder in einer eheähnlichen Eingetragenen Partnerschaft (Pacs) zusammenleben, werden steuerrechtlich als Halbwaisen angesehen, indem sie dem Steuerhaushalt eines einzigen Elternteils zugerechnet werden. Der andere Elternteil hat lediglich die Möglichkeit, seine Kinder als „außergewöhnliche Belastung für Kinder, die nicht zum Haushalt des Steuerpflichtigen gehörten“ abzusetzen, so als seien sie nur nebenbei Mutter oder Vater und gehörten gar nicht richtig zur Familie.

Hinzu kommt, dass der entsprechende Antrag auf Gewährung eines absetzbaren Höchstbetrags von jährlich 3 480 Euro pro Kind jedes Jahr bis zum Erwachsenenalter der Kinder neu gestellt werden muss, so als sei einer der beiden Eltern nur zu Besuch. Dies stellt eine verletzende Diskriminierung bald der Hälfte der Familien mit Kindern und der Eingetragenen Partnerschaften dar, die weit entfernt von der schon vor zehn Jahren versprochenen familienpolitischen Neutralität des Steuerrechts ist.

Ganz zu schweigen davon, dass Tausende steuerpflichtige Eltern zu Beginn jeden Jahres ihre Steuerkarte zusammen mit dem gewissenhaft ausgefüllten Vordruck 164R zurück an das Steueramt schicken müssen, das die Steuerkarte handschriftlich ergänzt und abgestempelt oder nun neu ausgedruckt zurücksendet. Das gehorcht nicht unbedingt dem Sinne einer administrativen Vereinfachung, der kurzen Verwaltungswege und des papierlosen Schriftverkehrs. Es stellt vor allem eine Schikane für Steuerpflichtige dar, die eher handwerklich als zum Kampf mit Steuervordrucken aus dem Internet veranlagt sind. Weil viele Eltern mit abklingender Fruchtbarkeit den Vordruck Jahr für Jahr unverändert ausfüllen müssen, hat das Steueramt wenigstens Humor genug, um den Vordruck regelmäßig zu ändern, ihn bald als Einzelblätter, bald als Sammelformular, bald im Querformat, bald im Hochformat vorzulegen und so jedes Jahr neu entdecken zu lasssen.

Romain Hilgert
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