Weil es beim letzten Mal umgekehrt herum nicht geklappt hatte, soll für Cargolux nun erst einmal die Strategie festgelegt werden, bevor ein neuer Partner gesucht wird

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d'Lëtzebuerger Land vom 23.11.2012

Eine Kapitalerhöhung steht in absehbarer Zeit ins Haus und der Anteilseigner eines Drittels des Kapitals von Cargolux wird dabei nicht mitziehen? Klingt bekannt. Ein Interim-CEO, im Hauptberuf Finanzchef, führt das Unternehmen, bis ein neuer CEO eingesetzt wird? Auch das gab es schon. Ein strategischer Partner wird gesucht? Ein alter Hut. Nachdem Qatar Airways am Freitag ankündigte, sich aus dem Firmenkapital zurückzuziehen, geht bei Cargolux die Suche nach Geld, einem Chef und einem Referenzaktionär wieder von vorne los. Mit dem Unterschied, dass Cargolux in der Zwischenzeit global besser für die Auseinandersetzung mit Qatar Airways beziehungsweise deren Chef Akbar Al-Baker bekannt ist, als dafür dass sie von Computerteilen über Schnittblumen, Erdbeeren, Formel-1-Autos hin zu Elefanten alles um den Globus fliegt. Dabei gehen die Meinungen in internationalen Internetforen weit auseinander zwischen denen, die glauben, Luxemburg sei überreguliert und die Gewerkschaften im Land zu mächtig, und denen, die applaudieren, dass die kleinen Luxemburger Akbar Al-Baker die Stirn geboten haben. An der schwierigen Situation im Unternehmen ändert das nichts.
CEO Auslöser für den Bruch war die Personalie Richard Forson, Finanzchef und Interim-CEO. Vergangenen Freitag stand im strategischen Komitee der Firma die Neubesetzung des seit der Kündigung Frank Reimens vakanten Chef-Postens an. Nach der Gewerkschaftskundgebung und der Parlamentsdebatte im Vorfeld, während derer Gewerkschaftssekretäre Stimmung gegen Katar machten und Parlamentarier, allen voran LSAP-Fraktionschef Lucien Lux, die Regierung aufgefordert hatten, die Luxemburger Aktionäre auf Kurs zu bringen, konnten Infrastrukturminister Claude Wiseler – im Gespräch mit Akbar Al Baker – und die Luxemburger Verwaltungsratsmitglieder im Komitee einer Nominierung von Richard Forson nicht zustimmen. Zumindest nicht, ohne Gefahr zu laufen, als „Marionetten von Katar“ dazustehen, die Verrat an den Luxemburger Interessen begehen.
Doch Akbar Al-Baker wollte mit der Nominierung Forsons nicht warten, bis sich die Anti-Katar-Stimmung, angeheizt durch die Tarifvertragskündigungen und den Oliver-Wyman-Bericht, ein wenig gelegt hatte. Diese Art von Widerstand nicht gewohnt, entschied Al-Baker zu gehen. Forson entschied zu bleiben. Dafür sind ihm die Luxemburger Aktionäre dankbar, obwohl die Gewerkschaften, allen voran OGBL-Gewerkschaftssekretär Hubert Hollerich, gerne seinen Abschied feiern würden. Doch geht Forson, fehlt nicht nur der CEO, sondern auch der Finanzchef. In der aktuellen Situation, in der sich das Defizit für das laufende Jahr voraussichtlich auf um die 100 Millionen Dollar belaufen wird und der Flottenumbau finanziert werden muss, wäre das ungünstig, wie Infrastrukturminister Claude Wiseler (CSV) diesen Donnerstag im Parlament erklärte. Dabei spricht einiges dafür, dass Forson in absehbarer Zeit doch noch CEO werden könnte. Vergangenen Freitag, sagen Eingeweihte, war außer ihm kein anderer Kandidat mehr übrig. Das würde auch erklären, weshalb die Luxemburger, mit vereinten Kräften stark genug, um Forson zu blockieren, niemand anders nominiert haben. Infrastrukturminister Claude Wiseler sagte am Dienstag Journalisten am Rande der Unterzeichnung eines Luftfahrtabkommens mit Kasachstan und gestern im Parlament, die Suche nach einem neuen CEO gehe weiter. Aber ob sie besonders erfolgreich verlaufen wird, nachdem in der ersten Runde unter rund 90 Kandidaten niemand zurückbehalten wurde, scheint doch fraglich. Gegen Forson spricht seine Nähe zu Katar und seine – mitunter lautstarken – Auseinandersetzungen mit den anderen Vorstandsmitgliedern. Die gelten seit einem Gespräch aller Vorstandsmitglieder – Forson, Peter van de Pas, Robert Van de Weg und Henning zur Hausen – im Büro von Claude Wiseler offiziell als beigelegt.
Kapital Zwischen 430 und 450 Millionen Dollar braucht Cargolux binnen zwei bis drei Jahren – sogar wenn gespart wird –, eine Milliarde Dollar bis 2016, sagen Land-Informationen zufolge interne Schätzungen. Ob diese enormen Summen vom „Katar-Klan“ im Betrieb aufgebläht werden? Den Marktwert der am Montag ausgelieferten sechsten 747-8, City of Diekirch, beziffert die Seattle Times auf 185 Millionen Dollar. Vom neuen Flugzeug-Typ hat Cargolux insgesamt 13 bestellt, sieben bleiben also zu liefern. Allein der Flottenumbau fordert einen enormen Finanzierungsaufwand, wenn die neuen Flugzeuge nicht gleich in Leasingunternehmen ausgelagert werden, sondern im Unternehmen bleiben sollen. Zwar muss die Kapitalerhöhung nicht unbedingt dieses Jahr erfolgen. Doch spätestens nächsten Frühling, wenn die Bilanz des laufenden Jahres zum Buchprüfer muss, sind feste Zusagen der Anteilseigner notwendig. Denn sollte der Buchprüfer die Unternehmensfortsetzung aufgrund der schlechten Finanzlage nicht empfehlen können, stünde Cargolux vor dem Aus. Schon in der Vergangenheit hatte Cargolux Schwierigkeiten, das Verhältnis von Schulden zum Ergebnis im Rahmen zu halten. Stimmen die ratios nicht mehr, können Banken und Geldgeber ihre Finanzierungen kündigen.
Strategie Weil es beim letzten Mal umgekehrt nicht geklappt hatte, soll nun erst einmal die Strategie festgelegt werden, bevor ein neuer Partner gesucht wird, der diese Strategie unterstützt, so Wiseler vor den Abgeordneten. Aber eigentlich hatte Cargolux auch vor dem Eintritt von Qatar Airways ins Kapital eine Wachstumsstrategie entwickelt. Doch in der Verständigungsvereinbarung (MoU) beschlossen die Vertragspartner – Regierung, Luxair, SNCI, BCEE und Cargolux –, ein neues Aktionärsabkommen aufzusetzen, das die Anforderungen von Qatar Aiways in folgenden Fragen berücksichtigt: die Berufung der Vorstandsmitglieder, Zustimmung zu Strategie- und Geschäftsplänen der Cargolux, Kauf und Finanzierung der Cargolux-Flugzeuge. Weswegen sich die Qatar-Airways-Vertreter wahrscheinlich in ihrem Recht sahen, als sie ihren früheren Mitarbeiter Richard Forson als Finanzchef einsetzen ließen und die drastische Reduzierung sowie den Umbau der Flotte forderten. Oliver Wyman soll seinen Bericht zu Ende bringen, nun aber verstärkt das Management in die Arbeiten einbinden, sagen Eingeweihte, das sei bisher nicht ausreichend passiert. Umso günstiger, dass Robert Van de Weg, Cargolux-Verkaufschef, der zusammen mit Ex-CEO Ulrich Ogiermann wegen Preisabsprachen in den USA verurteilt wurde, seit kurzem aus der US-Haft entlassen und wieder zurück im Büro ist. Wie viele Flugzeuge Cargolux braucht, um ihr Streckennetz aufrecht zu erhalten und ihr Angebot attraktiv zu halten, kann er den Unternehmensberatern am Besten erklären. So werden die Unternehmensberater ihren Bericht – wie bei den Wartungsdiensten und dem Hangar schon geschehen – auch in punkto Flottenaufbau ändern und wahrscheinlich zum Schluss kommen, dass die von Cargolux angestrebte Größenordnung nicht ganz falsch ist. Das sind deutlich mehr als die von Al-Baker angestrebten zehn Flugzeuge. Am 28. November soll dieser „verbesserte“ Bericht den Aktionären und am 30. November dem Verwaltungsrat zur Abstimmung vorgelegt werden. Danach, so der Plan, will man anfangen, mit den Gewerkschaften über einen neuen Kollektivvertrag zu verhandeln. Gibt es keine Einigung ­– der LCGB machte diese Woche auf einer Pressekonferenz deutlich, dass man verhandeln will, aber nicht um jeden Preis – läuft der aktuelle Vertrag ein Jahr weiter.
Neue Partner Derweil bleibt unklar, wer und wie nach einem neuen Partner gesucht wird. In den Firmenstatuten heißt es, die Aktien seien frei übertragbar. Claude Wiseler betonte diese Woche, das Aktionärsabkommen sehe ein Vorkaufsrecht für die bestehenden Aktionäre vor. Doch ob das nun heißt, dass Qatar Airways einen Käufer sucht und Luxair, SNCI und BCEE, den Fall gesetzt, ein Vorkaufsrecht geltend machen können, oder die Regierung einen Käufer sucht, an den Qatar Airways die Aktien abtritt, darüber scheint aktuell noch keine Klarheit zu herrschen. „Wir müssen sehen, wie das in der Praxis funktioniert“, so Claude Wiseler. Das Problem: Zwar hat Al-Baker den Ausstieg von Qatar Airways mündlich angekündigt. Doch am Donnerstag musste Wiseler den Abgeordneten sagen, dass die schriftliche Bestätigung noch auf sich warten lässt. Sowohl er, wie auch Finanzminister Luc Frieden, schlossen diese Woche nicht aus, dass der Staat die Anteile übergangsweise übernehmen könne. „Eine Entscheidung dazu gibt noch nicht“, hoben beide hervor. Dabei sagte Paul Helminger, Präsident der Luxair und ihr Vertreter im Cargolux-Verwaltungsrat, im Radio 100,7 diese Woche, Akbar Al-Baker wolle sich „freundschaftlich“ trennen und habe zugesagt, der Regierung das Aktienpaket zum gleichen Preis, wie er es gekauft habe, 117 Millionen Dollar, überlassen zu wollen. Weshalb genau die Regierung mit einer Zusage zögert, anstatt klar und deutlich zu sagen, dass sie die Anteile in Erwartung eines neuesn Partners übernimmt, ist also ihr Geheimnis.
Unterdessen werden zwei mögliche Käufer diskutiert. Einerseits die russische Airbridgecargo (ABC), die zur Volga-Dnepr-Gruppe gehört. ABC hat 2004 den Betrieb aufgenommen, ihr Modell ähnelt dem von Cargolux sehr: ABC betreibt eine uniforme 747-Flotte, bestehend aus acht 747-400F und zwei 747-8. Von Moskau aus betreibt sie planmäßige und Charter-Frachtflüge rund um den Globus. In der direkten Umgebung fliegt ABC Frankfurt-Hahn an, ist in Lateinamerika und Afrika nicht präsent, greift aber auf das Streckennetz des Mutterhauses zurück und hat Interline-Abkommen mit anderen Gesellschaften, darunter Cargolux. In der strategischen Revue, die das Cargolux-Management Anfang 2011 mithilfe von McKinsey durchführte, bekam ABC 1,5 von drei möglichen Punkten, weil die Finanzlage und die Rolle der russischen Regierung als unsicher galten, und war demnach keine favorisierte Option. Ob es überhaupt Verhandlungen gibt, wollte Claude Wiseler diese Woche nicht bestätigen.
Auch die chinesische HNA-Gruppe wird diskutiert. Was darauf zurückzuführen ist, dass der Anwalt und ADR-Abgeordnete Jacques-Yves Henckes immer noch Verwaltungsratsmitglied in der 2010 gegründeten HNA Europe SA ist, die damals in der Absicht gegründet wurde, bei Cargolux einzusteigen. HNA ist eine riesige Luftfahrt- und Tourismusgruppe, deren Hauptmarke Hainan Airlines ist, die aber auch Anteile an der den Findel ansteuernden Yangtze River Express (YRE) besitzt. Letztere hatte in der McKinsey-Revue von 2011 nur einen Punkt erhalten, weil YRE selbst Verluste schrieb und die Rolle der chinesischen Regierung als ungewiss galt. HNA hat Ende Oktober 48 Prozent an der französischen Fluggesellschaft Aigle Azur erworben und damit einen ersten Einkauf in Europa getätigt.
OGBL-Sekretär Hubert Hollerich zufolge mangelt es nicht an Interessenten, sogar ihn würden Botschaften und Regierungsstellen anderer Länder kontaktieren, um sich nach den Cargolux-Anteilen zu erkundigen. Und die genannten Gesellschaften galten ihm 2011 als die „bessere Option“ und tun das immer noch. Weil er davon ausgeht, dass es, anders als in Katar, sowohl in China wie in Russland eine Industrie gibt, die Waren produziert, die transportiert werden müssen. Er hatte bei der Kundgebung vergangene Woche die Menschenrechtslage in Katar kritisiert und bemängelt, dass es dort keine Gewerkschaften gibt. Dass es um die Menschenrechtssituation und die Versammlungsfreiheit in China und in Russland deutlich besser gestellt ist als in Katar, ist ein absurder Gedanke.
Politik Deswegen hat Finanzminister Luc Frieden im Wort-Interview im Bezug auf die Herkunftsländer möglicher Investoren vorbeugend gewarnt, man müsse sich „von der Idee verabschieden, dass diese Länder ganz genau so aufgestellt sein müssen, wie dies in Luxemburg der Fall ist, das heißt, dass sie ein Mehrparteiensystem haben müssen und über eine Gewerkschaftsszene verfügen, die der unseres Landes entspricht.“ „Mir kréie kee gemolt“, fügte Wiseler am Donnerstg im Parlament hinzu. Hollerich hatte Frieden Anfang der Woche aufgefordert, seine Konsequenzen aus der Katar-Affäre zu ziehen, war dann aber ein wenig zurückgerudert und hatte hinzugefügt, er habe in seinem eigenen Namen, nicht für den OGBL gesprochen. Dabei ließ auch LCGB-Präsident Patrick Dury am Dienstag durchblicken, dass er einen Rücktritt Friedens nicht ganz abwegig finden würde.
Frieden selbst betont, bei den Verhandlungen mit Katar in der Absicht gehandelt zu haben, die Interessen Luxemburgs zu verteidigen. So sind das vielleicht die größten Lehren aus dem Debakel: Nicht jeder, der mit guter Absicht handelt, tut auch Gutes oder das Richtige. Frieden hatte in der Vergangenheit die Gemeinsamkeiten zwischen Luxemburg und Katar hervorgehoben: Sie seien beides kleine, wohlhabende Länder, Monarchien. Vergessen hat er dabei die Differenzen, beispielsweise, dass Luxemburg eine Demokratie ist. Das hat auch Akbar Al-Baker unterschätzt, der Probleme wahrscheinlich lieber mit dem Großherzog besprechen würde, als mit einem Regierungsmitglied. Deswegen stimmte die Atmosphäre nicht, wie Luc Frieden im Nachhinein weiß.
Er habe vergangenen Donnerstag nicht gewusst, dass Qatar Airways tags drauf aussteigen würde, betonte Claude Wiseler diese Woche. Damit verbittet er sich Zweifel an seiner Ehrlichkeit, unterstreicht aber wiederum, dass er die Situa­tion und die Kataris falsch eingeschätzt hat. Für die weiteren Verhandlungen mit möglichen Käufern bat Claude Wiseler diese Woche um Ruhe. Solche Verhandlungen müssten im Vertrauen stattfinden, das gehe nicht, wenn ständig alle Informationen nach außen getragen würden. Vertrauen ist dabei ein gutes Stichwort. Wie nämlich sollen Parlament, Wähler und Beschäftigte darauf vertrauen, dass die Regierungsmitglieder und ihre Berater dieses Mal nicht nur gute Absichten haben, sondern auch gute Entscheidungen treffen, wenn es beim letzten Mal so spektakulär danebenging?

Michèle Sinner
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