"Plus-values" der Staatseinnahmen

Millionen-Jongleure

d'Lëtzebuerger Land vom 06.12.2007

Vielleicht dachte sich der parlamentarische Finanz- und Haushaltsausschuss: Wenn wir schon so viel Zauber mit Budgettransparenz, Maastricht-Kritrien und einem dritten Band des Haushaltsentwurfsmachen, können wir uns nicht länger bei der Zuteilung der Mehreinnahmen blind stellen. Und deshalb probte er, noch unter dem Eindruck der unverhofften Arcelor-Millionen von vergangenem Jahr, in den letzten Wochen sehr diskret den Aufstand gegen ein Stück nationaler Budgetfolklore, das Jonglieren mit den „plus-values“.

Das geht bekanntlich so: Die Regierung schätzt bei der Aufstellung des Staatshaushalts die Einnahmen zu niedrig ein. In ihrer eigenen Darstellung ist das ein Zeichen von Vorsicht gegenüber einer unberechenbaren Konjunktur, aus der Sicht der Opposition ein Trick, um das Parlament und die Wähler hinters Licht zu führten. Denn wenn sich am Ende des Haushaltsjahrs zeigt, dass die Ausgaben Hunderte Millionen Euro höher ausgefallen waren, als veranschlagt, entscheidet die Regierung ganz allein über die Verwendung dieser Mehreinnahmen. 

Was irgendwie im Widerspruch zum Buchstaben oder zumindest zum Geist von Verfassungsartikel 104 steht. Der bestimmt, dass alle Einnahmen und Ausgaben des Staats im Haushalt und in den Konten eingetragen werden müssen, und es das Parlament ist, welches das Kontengesetz und den Haushalt stimmt. Deshalb erkundigte sich der parlamentarische Ausschuss in seiner Sitzung vom 12. Oktober höflich bei Haushaltsminister Luc Frieden nach der rechtlichen Grundlage, auf der die Regierung ihre Überzeugung baut, dass die „plus-values“ bei den Staatseinnahmen ihr gehörten. Und manche Abgeordneten mussten wohl  nicht schlecht gestaunt haben, alsdem Minister nichts Besseres einfiel, als sich auf Artikel 66 des Gesetzes über die staatliche Buchhaltung zu berufen.

Denn dieser im Kapitel über die Ausnahmeprozeduren aufgeführteArtikel bezieht sich auf unbegrenzte Haushaltskredite, die unzureichend gespeist sind, und erlaubt dem Ressortministerzusammen mit dem Haushaltsminister eine Kreditüberschreitungfür unvorhersehbare, unumgängliche und unaufschiebbareZahlungen. Besagter Artikel hat aber weder im engeren, noch im weitesten Sinn etwas mit Mehreinnahmen zu tun, die ihrerseits weder unbegrenzte Kredite sind, noch unumgängliche und unaufschiebbare Entscheidungen verlangen. In anderen Worten: Es gibt keine rechtliche Grundlage, auf der die Regierung ziemlich frei über die „plus-values“ verfügt.

Diese Konstruktion des Haushaltsministers muss manchem Abgeordneten ziemlich wacklig vorgekommen sein. Um so mehr, als sich ein guter Teil des Parlaments leicht verulkt vorkam, als die Regierung es mit einem Gesetzentwurf befasst, um 240 Millionen Euro Überschuss der Konten vom vergangenen Jahr gutheißen – und die Regierung schon zuvor 470 Millionen eigenmächtig verteilt hat, in Sonderfonds und für eine Kapitalerhöhung der Nationalen Kredit- und Investitionsgesellschaft SNCI. Transaktionen, „ohne das Einverständnis oder auch nur die Meinung der Abgeordnetenkammer zu fragen“, wie sich deren Finanz- und Haushaltsausschuss nun beschwert. 

Für den Ausschuss geht es zum einen um die viel zitierte Budgettransparenz, zum anderen aber auch darum, wer über die Verwendung von Millionenbeträgen entscheidet. Die Regierung wendet zwar ein, dass sie nicht endgültig über die Verwendung der Gelder bestimmt, sondern sie dasGeld nur in den Sonderfonds zwischenlagert, damit die Kammer dann durch Gesetz entscheiden kann, wie es verbaut wird. Doch der Finanz- und Haushaltsausschuss meint, dass die Regierung die Entscheidungendes Parlaments vorbelastet und seinen Handlungsspielraumeinschränkt, wenn sie beispielsweise die Mehreinnahmen eherdem Fonds für den Straßenbau als dem für Schulneubauten zuführt.Was der Ausschuss lieber nicht sagt: Die fast zwangsläufige Produktion unverhoffter Mehreinnahmen und deren anschließende Zuteilung an Investitionsfonds ist auch ein von sämtlichen Regierungen konstruierter Sachzwang, um Forderungen nach Erhöhungen der Sozialausgaben oder Gehaltserhöhungen beimStaat zu umgehen, ohne die Wähler zu verärgern.

So ringt sich der Finanz- und Haushaltsausschuss des Parlaments in seinem Gutachten zum Haushaltsentwurf für 2008 zu der in der Vergangenheit bereits erwogenen „Empfehlung“ an die Regierung durch, „künftig das Gutachten der Abgeordnetenkammereinzuholen,wenn es darum geht, außergewöhnliche Mehreinnahmen im Laufe eines Haushaltsjahrs zuzuteilen.“ In aller Bescheidenheiten wollendie Abgeordneten also gar nicht über die entsprechenden Hundertenvon Millionen bestimmen, sondern wären schon froh, wenn sieum ihr Gutachten gefragt würden. 

Und offensichtlich reicht es ihnen auch, nur bei „außergewöhnlichenMehreinnahmen“ gefragt zu werden – ob darunter wohl banal unterschätzte Körperschaftssteuereinnahmen fallen? Die Parlamentarier könnten sich beispielsweise vorstellen, dass die Kammer mit einer Motion befasst wird, über die sie abstimmtund der Regierung damit grünes Licht gibt, um Mehreinnahmenunterzubringen. 

 

Romain Hilgert
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