„Das ist vertraulich“ oder „Nato-intern“, antwortete Michael Schuster, der Presseattaché von DP-Verteidigungsministerin Yuriko Backes, auf mehrere Fragen des Land zu den Ausgabenzielen der Nato und, wie der Militärjargon sie nennt, den neuen „Fähigkeiten“, die Luxemburg aufbauen soll oder aufbauen will.
Nato-intern sei der Verhandlungsspielraum zur Höhe der Ausgaben, der vielleicht noch besteht, ehe Anfang kommender Woche beim Gipfeltreffen in Den Haag der Sack zugemacht wird. Vertraulich der Zeitrahmen für die neuen Fähigkeiten, die Yuriko Backes vor zwei Wochen, am 5. Juni, öffentlich gemacht hatte. Sie kommen aus dem Planungsprozess, wie die Nato alle vier Jahre einen absolviert: zwei Luftabwehr-Systeme, Kampfdrohnen, eine mobile Betankungs-Station sowie ein Feldlazarett. Intern, jedenfalls im Moment noch, sei auch, auf welche Bedrohungen mit der Luftabwehr reagiert werden soll.
Das ist nicht wenig classified und intern, wenn für die neue Militärpolitik nach Unterstützung im Inland gesucht werden soll. „Russisch lernen“ hatte Nato-Generalsekretär Mark Rutte vor zwei Wochen jenen Staaten empfohlen, die sich nicht mit dem Militärausgabenziel von fünf Prozent ihres Bruttoinlandsprodukts anzufreunden vermögen (für Luxemburg vielleicht des Bruttonationaleinkommens BNE). Ohne „glaubhafte Abschreckung“ könnte Russland in fünf Jahren die Nato angreifen, sagte Rutte. Die Produktion von Luft- und Raketenabwehrsystemen müsse um 400 Prozent gesteigert werden. Tausende neuer Panzer seien nötig, Millionen zusätzlicher Artilleriegeschosse. Rutte drückt die Mitgliedstaaten in die Richtung, die US-Präsident Donald Trump will. Doch es geht nicht nur darum, Russland von einem Angriff auf Nato-Europa abzuhalten. Sondern auch um den Platz Europas in einer Weltordnung, die immer weniger liberal und regelbasiert ist, sondern sich aufs Recht des Stärkeren zubewegt. Wo zumindest der derzeitige US-Präsident demnächst vielleicht nicht mehr nur so redet, sondern auch handelt, falls er sich Israel für einen regime change im Iran anschließt. Dabei sind die USA als Schutzmacht in Europa nicht so schnell zu ersetzen. Und ob sie ihre Dominanz in der Nato aufgeben wollen, ist nicht sicher.
Spätestens nächsten Mittwoch wird publik, auf welche Ausgaben die 32 Nato-Länder sich geeinigt haben. Verteidigungsministerin Backes erweckt den Eindruck, damit gehe es vor allem um ein neues industrielles Standbein. 90 Firmen seien mittlerweile im „Verteidigungsbereich im weitesten Sinne“ tätig, berichtete sie RTL am Montag stolz von der Luftfahrtmesse in Le Bourget, noch vor zwei Jahren seien es keine 40 gewesen. Die Aufgabe der Verteidigungsdirektion sei es, diese Firmen in die Wertschöpfungskette einzubinden, auch für die neuen Fähigkeiten-Ziele. „Esou vill wéi méiglech Lëtzebuerger Entreprisen“ sollten das sein. „Dat geet vu Missile defense, Loftofwier, bis Fuel tanks, Militärspidol, do ginn et vill Branchen, an déi mir wäerte mussen investéieren déi nächst Joeren.“ Die junge Luxemburger Rüstungs-Lobby hört das gern (siehe das Dossier ab S. 13).
Passt es zum Ziel, schnell etwas zu Europas Verteidigung beizutragen? Zum Beispiel zur Luftabwehr, von der die Ministerin sagt, der Krieg in der Ukraine zeige, „wie wichtig sie ist“. Am schnellsten würde Luxemburg vermutlich einen Beitrag leisten, wenn es sich mit einem anderen Nato-Land zusammentut. Yuriko Backes’ Presseattaché erklärt, „es laufen Gespräche sowohl mit unseren Nachbarländern als auch mit der Industrie“. Eine Entscheidung sei noch nicht gefallen. Zu den Bedrohungen, auf die man sich einstellen will, „können wir aktuell keine Einzelheiten mitteilen“. Nur so viel: „Es geht um bodengestützte Luftverteidigung und Raketenabwehr über verschiedene Distanzen. Um die Verteidigung gegen Drohnen oder Flugzeuge auf kurze Distanzen und um die gegen ballistische Raketen von weiter her.“
Vielleicht kommt es der Ministerin und mit ihr der Regierung kurzfristig weniger auf die Abwehr von Raketen und Drohnen an, als um die von politischem Gegenwind. Und sie reden auch deshalb mehr von Industrie- als von Verteidigungspolitik. Die Aussicht auf Gegenwind von der Opposition besteht, zumindest rhetorischem. „Die LSAP ist fest davon überzeugt, dass es eine breite gesellschaftliche Diskussion über den Defence Planning Process [der Nato] und die künftige Verteidigungspolitik Luxemburgs geben muss“, erklärt der Abgeordnete Georges Engel, Vizepräsident des Kammer-Verteidigungsauschusses, dem Land. Den effort de défense schon dieses Jahr auf zwei Prozent des BNE zu heben, wie Premier Luc Frieden im état de la nation angekündigt hat, „trägt unserer Ansicht nach der geopolitischen Situation Rechnung“. Aus diesem „rationalen Ansatz“ habe die LSAP „de staarke Wonsch, keng onkontrolléiert Surenchère ze maachen“.
So ähnlich sehen das auch die Linken. Es müsse „eine ernsthafte Debatte darüber geben, wo Europa mit der ganzen Aufrüstung hinwill“, meint der Abgeordnete Marc Baum. „Mit 3,5 oder sogar fünf Prozent Militärsausgaben“, findet Baum, der als Beobachter im Verteidigungsausschuss sitzt, „sind wir nicht mehr im Szenario einer wirksamen Abschreckung, sondern weit darüber hinaus“.
Grünen-Sensibilitätspräsidentin Sam Tanson hält es nicht für „sinnvoll“, die Militärausgaben „ins Unendliche zu erhöhen“. Es müsse „viel koordinierter auf EU-Ebene analysiert werden, was wir brauchen, um uns ohne die Amerikaner verteidigen zu können“. Pirat Marc Goergen, Mitglied im Verteidigungsausschuss wie auch Tanson, fragt sich, was die „Strategie hinter den Zielen ist“. Luftabwehr verstehe er, sie sei defensiv. Kampfdrohnen seien es nicht.
Die ADR-Fraktion schließlich, teilt ihr Ausschussmitglied Tom Weidig mit, sei „für eine starke und einsatzbereite Armee, aber gegen eine blinde und übertriebene Aufrüstung, nur um Ziele zu erreichen“. Dual-use sei „ganz wichtig“. Die ADR ist wie schon in der Vergangenheit gegen das gemeinsame Kampfaufklärungs-Bataillon mit Belgien, ein Nato-Ziel von 2021. „Damit würde Luxemburgs Souveränität geschwächt“, behauptet Weidig. Das Bataillon sieht auch Marc Goergen skeptisch, „wenn ich bedenke, wie weit rechts die neue belgische Regierung steht“.
Ob es national über Nato-Ziele viel zu diskutieren geben kann, ist eine interessante Frage. Vermutlich nicht, wenn Bündnistreue gilt und Luxemburgs Ruf auf dem Spiel steht. Dann würde auch der Gegenwind aus der Opposition nicht lange wehen. Um den Ruf ging es Luc Frieden, als er zwei BNE-Prozent für die Verteidigung schon dieses Jahr aufzuwenden ankündigte. Und nachschob, wenn in Den Haag der Nato-Konsens mehr ergebe, trage Luxemburg ihn mit. Beim Pressebriefing vergangenen Freitag nach dem Regierungsrat wiederholte er: Wie auch immer der Konsens aussehen werde, Luxemburg schließe sich ihm an.
Würden das tatsächlich fünf Prozent des BIP, oder vielleicht des BNE? Oder, wie der Nato-Generalsekretär es als eine Option ausgegeben hat, 3,5 Prozent für die Verteidigung und 1,5 Prozent für Infrastrukturen, die für die Verteidigung „relevant“ sind? Und in welchem Zeitraum? Ob es Verhandlungsspielraum beim Gipfel gibt, will die Verteidigungsdirektion dem Land nicht sagen, das sei „Nato-intern“. Die Luxemburger Position sei, „keinen Konsens zu blockieren“. Jedoch müsse „die nötige Flexibilität garantiert bleiben und der Kalender realistisch sein“. Eine Entscheidung sei erst dann getroffen, wenn die 32 Staats- und Regierungschefs einen Konsens gefunden hätten. Die Position Luxemburgs scheint eine des wait and see zu sein.
Aber die Rutte-Option „3,5 plus 1,5 Prozent“ ist zumindest eine Arbeitshypothese für Yuriko Backes, die auch die Infrastrukturministerin ist. Vielleicht auch eine Arbeitsgrundlage: Eine Analyse, wofür ein 1,5-Prozent-Anteil für Infrastrukturen eingesetzt werden könnte, sei „amgaangen“, so die Verteidigungsdirektion. Mehr dazu sage die Ministerin jedoch erst „in den Monaten nach dem Nato-Gipfel“. Dann werde sie den Plan vorstellen, wie die Engagements erfüllt werden sollen.
Vielleicht gibt sie dann auch bekannt, wo das Personal für die Engagements herkommen soll. Das ist der politische Elefant im Raum. Schon für das Bataillon mit Belgien, das 2030 einsatzbereit sein soll, fehlen 300 Leute, erläuterte Generalstabschef Steve Thull am 5. Juni im „Kloertext“ im RTL-Fernsehen. „Irgendwann“, fuhr er fort, stelle sich auch die Frage, wer die Fähigkeiten „bedienen“ soll, die sich für Luxemburg aus dem jüngsten Nato-Planungsprozess ergeben haben. In spätestens zehn Jahren müsse alles stehen. Für die neuen Fähigkeiten würden zusätzliche 350 Leute nötig sein, das mache „summa summarum 650“, die fehlen. Das ist nicht wenig angesichts der 900 Soldat/innen und Berufsmilitärs, die die Armee gegenwärtig hat.
Woher mehr nehmen? Die Ministerin habe den Generalstab den beauftragt, „konkrete Pisten“ auszuarbeiten, erklärt die Verteidigungsdirektion. „Die Analyse läuft noch, sodass wir derzeit keine Details nennen können.“ Etwas Neues ist die Suche nach Pisten nicht. Das Personalproblem der Armee ist notorisch. Müsste die Wehrpflicht-Diskussion wieder aufgemacht werden, die im Januar in der Kammer mit dem Fazit endete, Wehrpflicht wollen wir nicht? Keine der Parteien im Parlament will darüber erneut debattieren (die DP antwortete bis Redaktionsschluss nicht). Für einen Militärdienst, aber einen freiwilligen, ist weiterhin nur die ADR. Der verteidigungspolitische Sprecher der CSV-Fraktion, Alex Donnersbach, kann sich „persönlich, nicht im Namen der Fraktion“ vorstellen, die Frage „Dienst“ im Zusammenhang mit „Resilienz“ erneut aufzuwerfen. Mit Resilienz sei mehr gemeint als Militär. Auf jeden Fall könnte so ein Dienst seiner Meinung nach nur freiwillig sein. In diesem Rahmen zu versuchen, „mehr Leute für die Armee zu interessieren“, könne man aber.
Die LSAP-Fraktion steht zu ihrer Idee vom Januar: einem „Gesellschaftsdéngscht“. Dagegen sei sie „ganz klar gegen eine Wehrpflicht“, so Georges Engel. Für die beiden Piraten sagt Marc Goergen, schon die „mit dem Sozialen vermischte Idee“ der LSAP gehe zu weit. Sam Tanson von den Grünen erklärt, ein Militärdienst „wäre keine Lösung für irgendein Problem“. Die Bezahlung der Soldaten müsse verbessert werden. „Das wären auch Verteidigungsausgaben.“ Die Grünen plädieren für eine Reserve der Armee. Für die Linken ist jede Debatte über mehr Militärpersonal „weder wünschenswert noch nötig“. Ihr Abgeordneter Marc Baum mutmaßt, der Regierung sei klar, dass sich „keine Tausende junger Leute“ für die Armee finden lassen. Sie habe sich wohl deshalb aus der „Wunschliste“ neuer Nato-Fähigkeiten die Luftabwehr ausgewählt: „Damit kann man auf einen Schlag zwei Milliarden Euro Ausgaben generieren, braucht aber nur 80 Mann zur Bedienung.“
Dass die Parteien damit die Stimmung im Land abbilden, deutet das „Politbarometer“ von Ilres für RTL und Wort an: 59 Prozent der Befragten sind gegen die Wiedereinführung der Wehrpflicht. Die Regierung hält offenbar bereits das Thema „Dienst“ für sehr delikat: Hatten General Thull und die Verteidigungsministerin im Herbst den Begriff „Resilienz“ lanciert und CSV-Innenminister Léon Gloden im Dezember beim Bärbelendag des CGDIS einer engen Zusammenarbeit von Militär und Zivilschutz das Wort geredet, sagte Gloden im März bei einer anderen CGDIS-Veranstaltung, so eine Zusammenarbeit nach dem Vorbild skandinavischer Länder sei nicht angestrebt.
Der Premier führte diese Pirouette weiter: Im état de la nation reflektierte Luc Frieden über Resilienz und meinte, „jiddereen“ werde sich „a Rou“ überlegen müssen, welchen Resilienz-Beitrag er zu leisten bereit sei. Beim Pressebriefing vor einer Woche darauf angesprochen, erwiderte er, damit keinen „individuellen“ Beitrag gemeint zu haben, sondern Beiträge aller Akteure in der Gesellschaft. Vielleicht ist der Premier ja zum Schluss gelangt, mit seinen Renten-Ankündigungen schon für genug Aufregung gesorgt zu haben.