Wie Generalstabschef Steve Thull Ende November im RTL-Radio bemerkte, besteht Verteidigungsfähigkeit nicht nur aus Militär. Wichtig ist vielmehr die Gesamt-Resilienz einer Gesellschaft, beziehungsweise eines Staates. Die wiederum bezieht sich nicht nur auf Krieg, sondern auch auf Naturkatastrophen und technische Havarien, welche wiederum Teil eines hybriden Krieges sein können.
General Thull war am 2. Dezember neben der Polizeispitze und viel Politprominenz auch anwesend, als das Führungspersonal des CGDIS bei der traditionellen St. Barbarafeier im hauptstädtischen Cercle den Reden von CGDIS-Generaldirektor Paul Schroeder, Verwaltungsratspräsident Alain Becker und Innenminister Léon Gloden (CSV) zuhörte. „Resilienz“ zog sich wie ein roter Faden durch alle Ansprachen. Generaldirektor Schroeder appellierte daran, die zivile Sicherheit nicht zu vergessen. Der Innenminister bezeichnete das CGDIS als „nationales Schutzschild“, um anschließend auf die Arbeiten am nationalen Warnsystem einzugehen. Er kündigte außerdem an, dass im Laufe dieses Jahres die gesetzliche Grundlage für eine Zivilschutzeinheit Resc-LU (Réserve de capacité spécifique de sécurité civile du Grand Duché de Luxembourg), ähnlich dem deutschen Technischen Hilfswerk (THW), geschaffen werde. Neben dem benötigten Material werde Resc-LU auch mit ausreichend freiwilligem und hauptamtlichem Personal ausgestattet. Die Einheit soll den Vorgaben der EU-Katastrophenschutzorganisation entsprechen und nicht nur national einsetzbar sein.
Diese Ansage ist insofern bemerkenswert, als das CGDIS dazu übergeht, ziviles Personal mit handwerklichem Hintergrund in seine operative Tätigkeit einzubinden. So sollen beispielsweise logistische Aufgaben oder der Einsatz von Notstromaggregaten von Zivilangestellten übernommen werden. Es besteht also ein weiterer Bedarf an Kräften im CGDIS. Neben den Katastrophen durch Technik und Natur sei dies auch im Hinblick auf sanitäre Krisen, Flüchtlingswellen sowie eine sich permanent verändernde Sicherheitslage zu betrachten, so der Innenminister. Im Rahmen der Resc-LU werde eine Datenbasis angelegt mit allem Material und Fahrzeugen bei staatlichen Stellen, wie Ponts et Chaussées, der Armee, aber auch bei Gemeinden, Bauunternehmen, Transportfirmen sowie landwirtschaftlichen Betrieben, um im Bedarfsfall auf sämtliche nationalen Kapazitäten Zugriff zu haben. Wie Paul Schroeder verwies auch der Minister auf die Notwendigkeit einer zivil-militärischen Zusammenarbeit. Zivile Sicherheit müsse Hand in Hand mit militärischer gehen.
Die zuständigen Staatsorgane, das heißt der noch nicht wirklich bestehende Zivilschutz und die personell noch schwachbrüstige Armee, betreiben neben den Vorbereitungen auf technische und Naturkatastrophen auch klar solche auf einen Kriegsfall. Es bedarf keiner prophetischen Begabung, um zu erkennen, dass der in beiden Staatsorganen bestehende Personalmangel sich mit den angekündigten Zusatzaufgaben verstärken wird. Der Innenminister ist qua Amt zuständig für Zivil- und Katastrophenschutz sowie für die Feuerwehr für den alltäglichen Einsatz, womit man das CGDIS im Kern beschrieben hat. Das CGDIS hat teilweise auch Katastrophenschutzkapazitäten, im Bereich des Zivil- und Bevölkerungsschutzes sieht es derzeit noch eher düster aus. Auch die Armee ist in diese Aufgaben per Gesetz eingebunden. Angesichts der militärischen Herausforderungen und weil sie im Kriegs- und Spannungsfall in großen Teilen nicht verfügbar wäre, dürfte sie als entscheidender Faktor ausfallen.
Interessant scheint auch, dass die gegenwärtige Entwicklung für die Feuerwehr (franz. sapeurs-pompiers) ein back to the roots bedeutet. Ihrem Ursprung nach waren Sappeure (sapper – buddeln) Belagerungspioniere. Durch Annäherungsgräben bekämpften sie Festungen; mit unterirdischen Stollen untergruben sie Festungsmauern und brachten sie durch Sprengung zum Einsturz. In der Defensive verstärkten und reparierten sie Befestigungen, löschten durch Beschuss ausgelöste Brände, gruben Gegentunnel und bekämpften im unterirdischen Kampf feindliche Sappeure. Napoleon machte aus den Sappeuren eine eigene Truppengattung (sapeurs-pompiers), um seine Hauptstadt auch in Friedenszeiten vor Bränden zu schützen. Wie beim Zivilschutz war die Aufgabe der sapeurs-pompiers die Minimierung der feindlichen Waffenwirkung. Wobei heute im Zeitalter des hybriden Krieges eine Waffe anders definiert werden muss.
Während die Sache für freiwillige und hauptamtliche Katastrophen- und Zivilschützer zumindest perspektivisch klar ist, scheint dies derzeit für weite Bereiche der Bevölkerung und der staatlichen beziehungsweise kommunalen Stellen noch nicht der Fall zu sein. Luxemburg kennt den Ausnahmezustand (état de crise) gemäß Verfassungsartikel 32(4). Im Falle zwischenstaatlicher Spannungen; bei Bedrohung vitaler Interessen der Bevölkerung oder von Teilen der Bevölkerung oder bei unmittelbarer Gefahr durch schwerwiegende Gefährdung der öffentlichen Sicherheit kann der Ausnahmezustand vom Großherzog (in der Praxis durch die Regierung) ausgerufen werden, wenn dieser feststellt, dass das Parlament nicht schnell und flexibel genug agieren kann.
Das Zentrum für Politische Bildung erwähnt, dass der Verfassungsartikel nicht ausreichend präzise beschreibt, was die Regierung im Ausnahmezustand tun darf. Keinesfalls klar scheint auch, was die Regierung und vor allem ihre Ministerien und Verwaltungen tun sollen. Es gibt zwar den Haut Commissaire à la Protection Nationale (HCPN), der mit dem Ende des Kalten Kriegs eingemottet, nach 9/11 reaktiviert wurde. Diese Dienststelle hat eine ganze Reihe unterschiedlichster Krisenszenarien durchgespielt und durchgeplant. Was offensichtlich fehlt, ist die Durchdringung der mittleren und unteren Verwaltungsebenen mit dem Wissen, was wann zu tun ist. Das HCPN hat keinerlei Weisungsbefugnis. Laut Gesetz soll es lediglich Regierungs- und Verwaltungsstellen koordinieren. Interessant ist auch der Internetauftritt der Behörde, wo die regierungsseitig genehmigten Notfallpläne (Plans d’intervention d’urgence) unter der Rubrik „Interventionsbereiche“ aufgelistet sind. Es fällt auf, dass ein Szenario Krieg, beziehungsweise hybrider Krieg nicht darunter ist. Ebenfalls fällt auf, dass die Webseite zuletzt am 5. September 2019 aktualisiert wurde1. Der Schutz kritischer Infrastruktur wird unter der Rubrik „Aufgabenbereiche“ erwähnt. Die letzte Aktualisierung erfolgte hier immerhin am 20. Februar 20202.
Das HCPN ist außerdem zuständig für den Betrieb der nationalen Krisenzelle, in der je nach Art der Krise Regierungs- und Behördenvertreter zum Krisenmanagement zusammenfinden. Das Hochwasser vom Juli 2021 hat allerdings gezeigt, dass in der Krisenzelle viel gemanagt wurde, während andere Behörden in ihrer Routine verblieben. So musste zum Beispiel in einem überschwemmten Kulturzentrum schnellstens die Isolation und Holzverkleidungen entfernt werden, um Schimmelbildung zu vermeiden. Der Bürgermeister der Gemeinde fand eine Firma, doch sie konnte die dringenden Arbeiten nicht beginnen, weil im Baugewerbe Kollektivurlaub war. Der zuständige Beamte im Arbeitsministerium traute sich offenbar nicht, eine Ausnahmegenehmigung ohne den im Urlaub weilenden Minister zu erteilen. Das kalte Grausen könnte einen angesichts des zivilistisch-bürokratischen Beharrungsvermögens befallen, wenn man die Äußerungen von James Appathurai bedenkt, der bei der Nato für Strategien zur Abwehr hybrider Angriffe zuständig ist. In einem Interview erklärte er: „Es besteht die reale Aussicht, dass einer dieser Angriffe [gemeint ist die hybride Kriegführung Russlands] eine beträchtliche Zahl von Opfern oder erheblichen wirtschaftlichen Schaden verursachen wird“3.
Die schon oft betonte Notwendigkeit verstärkter zivil-militärischer Zusammenarbeit bietet Anlass, auf einen Vorschlag zur Schaffung einer Dual Use-Einheit im Rahmen der Armee einzugehen. Der Vorschlag wurde unter LSAP-Verteidigungsminister Etienne Schneider intern kurz diskutiert, fand jedoch weder beim Generalstab noch bei der Armeegewerkschaft Zustimmung (wobei Letztere inzwischen ihre Meinung geändert hat). Man meinte damals, es gebe dringendere Probleme. Mittlerweile haben sich die Rahmenbedingungen geändert und damit auch die Prioritäten, wie das Drängen auf Verbesserungen bei der zivil-militärischen Zusammenarbeit verrät. Die Idee bietet die Chance von Synergien mit der vom Innenminister angekündigte Resc-LU-Einheit. Léon Gloden hat sich, wie er erklärte, in Deutschland über das THW informiert, das vom Ansatz her eine Pionier- und Sanitätseinheit ohne Waffen ist. In Frankreich, der Schweiz und Österreich gibt es militärische Einheiten, die zum Innenministerium abkommandiert, beziehungsweise in den Zivil- und Katastrophenschutz integriert sind.
Die hier angedachte „compagnie médico-sapeur“ ist eine teilaktive Einheit. Sie besteht aus Zügen (pelotons), welche aktiv sind, und solchen, die eingelagertes Material, Geräte und Fahrzeuge nutzen und durch Reservisten im Bedarfsfall, beziehungsweise bei Reserveübungen aktiviert werden. Aufgabe der compagnie médico-sapeur wäre es, pionier- und sanitätsdienstliche Aufgaben sowohl in einem zivilen wie auch in einem militärischen Kontext zu übernehmen. Eine solche Einheit in Kompaniestärke könnte wie folgt gegliedert sein:
Nach der viermonatigen militärischen Grundausbildung erfolgt die Versetzung in das Peloton 7, um eine Bergungs-, Rettungs-, Brandbekämpfungs- und Sanitätsausbildung zu durchlaufen. Diese kann angelehnt sein an die Ausbildung des CGDIS. Anschließend werden die Kräfte zum CGDIS abkommandiert, um dort Praktika zu absolvieren. Danach verbleiben sie bis zum Ende ihrer vierjährigen Dienstzeit in den aktiven Pelotons der compagnie médico-sapeur, wo weitere Sonderausbildungen durchlaufen werden, aber auch Dienst im Rahmen der Armee (CBRN, Wasseraufbereitung, Sanitätsdienst und so weiter) sowie des Zivil- und Katastrophenschutzes geleistet wird, zum Beispiel in der Resc-LU oder im CGDIS. Nach dem Ende der aktiven vierjährigen Dienstzeit erfolgt die Abkommandierung zu CGDIS oder Resc-LU. Bis zu einem zu bestimmenden Lebensalter verbleiben die Kräfte im Status von Reservisten, beziehungsweise Abkommandierten. Sie werden jährlich zu Reserveübungen einberufen, um die Reserve-Pelotons aufzufüllen und so die compagnie médico-sapeur auf volle Einsatzstärke zu bringen.
Der Vorteil dieser Idee besteht vor allem darin, dass die Tätigkeiten in ziviler wie militärischer Funktion weitgehend deckungsgleich sind. Damit würde dem Wunsch nach mehr zivil-militärischer Kooperation Rechnung getragen und ein sinnvoller Beitrag im militärischen und zivilen Bereich geleistet. Außerdem fügt die Idee sich auf eine besondere Weise in die nunmehr akzeptierte Grundidee der Reserve ein, die eine Anpassungsleistung der Armee erfordert, weil kein aktiver Militär damit noch Erfahrung hat. Im Hinblick auf das zum Projekt „mobiles Feldhospital“ abgespeckte Militärkrankenhaus ergeben sich ebenfalls Perspektiven für die beschriebene Einheit: Ein Feldhospital besteht nicht nur aus Ärzten und Pflegern, sondern aus einer Vielzahl von Kräften, die eine solche Struktur in kürzester Zeit aufbauen, mit Trinkwasser, Strom und Heizwärme versorgen, die Logistik absichern, den Transport von Kranken und Verwundeten sicherstellen, eine Küche betreiben, Abfälle entsorgen, Dekontaminationsschleusen betreiben und nicht zuletzt als Sanitäter bei der Erstversorgung und Bergung eine wichtige Rolle spielen.
Auch wenn die obersten Militärs, beziehungsweise Zivil- und Katastrophenschützer die Idee im Grundsatz gut finden, so fragen sie sich im Grunde ihrer Herzen doch, wer wann die Befehlsgewalt über diese Truppe hätte. DP-Verteidigungsministerin Yuriko Backes hat mittlerweile die Idee einer Armee-Reserve aus Gedienten akzeptiert. Auch die Idee der compagnie médico-sapeur baut auf einem besonderen Reserve- und Dual-Use-Prinzip auf. Die zivil-militärische Zusammenarbeit wird aus gutem Grund gefordert; der Zivil- und Katastrophenschutz soll seinen Namen verdienen und Personal fehlt flächendeckend. Ein Denken out-of-the-box und Führungskraft der zuständigen Politiker sind gefragt, um die Trägheit des Apparats zu überwinden. Die Zeiten werden zunehmend außergewöhnlich und Planungen regelmäßig von der Realität überrollt. Der Grundsatz, dass außergewöhnliche Politik nur in außergewöhnlichen Zeiten zu machen ist, scheint sich zu bestätigen. Es ist nun an den Politikern zu beweisen, dass sie auch außergewöhnliche Politik können.