Weshalb Rainer Klump vergangene Woche als Rektor der Universität Luxemburg seinen Hut nahm, ist noch immer unbekannt. Der Wirtschaftsprofessor selber sagt dazu derzeit nichts. Für Hochschulminister Marc Hansen (DP) und den Aufsichtsrat der Uni war der Rücktritt eine „persönliche Entscheidung“ Klumps, die sie nicht kommentieren. Und so ging auch am Sonntag im RTL-Fernsehen eine ganze Stunde „Kloertext“ zu Ende, ohne dass die Frage beantwortet wurde, die im Titel der Sendung stand: „UNI.lu: Kapitän vu Bord, firwat?“
Spekulieren lässt sich über die Rücktrittsgründe natürlich. Vizerektor Ludwig Neyses, der kommissarisch als Rektor fungiert, räumte gegenüber Radio 100,7 am Tag nach Klumps Rückzug ein, es habe schon „im Vorfeld“ des Streits um das Uni-Budget 2017, der im März nach draußen getragen wurde, eine „Management- und Organisationskrise“ gegeben, „zu der wir auch stehen“. Kann sein, Rainer Klump, dem universitätsintern mangelnde Sachkenntnis und Führungsschwäche vorgeworfen wurde, erkannte sich als Krisenfaktor und zog Konsequenzen.
Denkbar ist aber auch, dass er sich nicht mehr gut als Rektor der Universität sah, wie sie nun gedacht ist. Was weniger mit jenem „Management-Team“ unter Beteiligung von McKinsey und einer Unternehmensberaterin als „Chief Transition Officer“ zu tun haben könnte, das die Uni auf Beschluss ihres Aufsichtrats vorübergehend führt (d’Land, 21.04.2017), sondern mit dem neuen Universitätsgesetz, dessen Entwurf diese Woche publik wurde.
Dabei soll die Uni durch das neue Gesetz autonomer werden. Schon heute ist sie ziemlich autonom, glaubt man dem im April von der European University Association (EUA) veröffentlichten Bericht University Autonomy in Europe. Ihm zufolge ist lediglich die „organisatorische Autonomie“ von Uni.lu mit 34 Prozent „niedrig“. Als „hoch“ eingeschätzt werden dagegen ihre „finanzielle Autonomie“ (91%), die Autonomie in Personalfragen (94%) und die „akademische“ (89%). Viel besser schneiden nur englische Universitäten ab, die es in allen vier Kategorien auf 90 bis 100 Prozent bringen. Grund dafür ist, dass englische Unis fern von staatlichem Einfluss agieren, von „Boards“ geführt werden und sehr viel forschen, was ihnen Geld einbringt. Öffentliche Mittel erhalten sie nur für die Lehre, aber obwohl diese Zuwendungen in den letzten Jahren um fast zwei Drittel gekürzt wurden, führte das laut EUA zu keinem Autonomieverlust: Dann steigen halt die Studiengebühren. Englische Universitäten gelten immerhin als „Elite-Unis“.
Der Begriff „Elite-Uni“ ging auch in der politischen Debatte um das Für und Wider einer Universität Luxemburg nach der Jahrtausendwende eine Zeitlang um. Übrig davon blieb, die 2003 gegründete Uni nach englischem Vorbild von einem Conseil de gouvernance führen zu lassen und ihm einen sehr entscheidungsmächtigen Rektor an die Seite zu stellen. Das macht Uni.lu im kontinentaleuropäischen Vergleich ziemlich einzigartig. Dass sie als öffentliche Universität nach privatem Recht funktioniert, ist noch ein Alleinstellungsmerkmal.
Es würde noch größer, wenn Marc Hansens Gesetzentwurf in Kraft träte, wie er geschrieben ist. Auf einer Pressekonferenz am 4. April, als der Text noch nicht publik war, lobte der Minister sich selbst dafür, dass er die Uni autonomer und demokratischer machen und zum Beispiel endlich eine Studentenvertretung einführen werde. Das ist wohl wahr, doch die Behauptung von „mehr Autonomie“ ist Ansichtssache. Schon CSV-Minister François Biltgen wollte 2011 das Uni-Gesetz ändern und Uni.lu zu mehr Autonomie verhelfen. Biltgen verstand darunter allerdings nicht, den Rektor zu einer Art Generalsekretär des Aufsichtsrats zurückzustufen. Hansen schon: Der Rektor soll nicht mehr vom Großherzog berufen werden, sondern vom Aufsichtsrat. Und während das derzeit geltende Uni-Gesetz das Rektorat als „Exekutivorgan“ der Uni definiert und den Rektor als dessen Chef, enthält Marc Hansens Gesetzentwurf einen neuen Paragrafen, in dem es heißt, „il [le recteur] exécute les décisions du conseil de gouvernance et lui en rend compte“. Dass er damit in Richtung eines Generalsekretärs rückte, würde noch dadurch verstärkt, dass er an Aufsichtsratssitzungen künftig nur als „Beobachter“ teilnehmen soll, während er heute eine beratende Stimme hat.
Beschnitten werden soll die Position des Rektors auch dadurch, dass er nicht mehr automatisch Präsident des Universitätsrats sein soll. Dieses Gremium, das den Rektor vor allem in Fragen von Lehre und Forschung berät, darüberhinaus aber auch Stellungnahmen zu Vierjahresplänen, Budgets oder dem Règlement d’ordre intérieur der Uni abgibt, soll seinen Präsidenten künftig unter seinen Mitgliedern wählen, die wiederum allesamt gewählte Vertreter der Professorenschaft, der Forscher, des administrativ-technischen Personals und der Studenten sein sollen. François Biltgen hatte das 2013 in einer Änderung zu seinem Gesetzentwurf ebenfalls vorgesehen, um den Universitätsrat zu einem „Senat“ aufzuwerten. Rainer Klumps Vorgänger Rolf Tarrach lief dagegen Sturm und meinte, damit würde Uni.lu zu einer „Räte-Uni“, in der „niemand mehr für etwas verantwortlich“ ist. Auch Klump meinte kurz nach seinem Amtsantritt gegenüber dem Land, „zu viele Machtzentren nebeneinander aufzubauen“ sei „nicht sinnvoll“. Käme zu Aufsichtsrat und Rektor noch der Universitätsrat mit einem eigenen Präsidenten, „müssten drei Gremien zu einer Balance finden“ (d‘Land, 20.03.2015).
Heute sieht es eher so aus, als würden es zwei Gremien sein, Aufsichtsrat und Universitätsrat, zwischen denen der Rektor zu vermitteln hätte. Im Universitätsrat könnte es künftig hoch hergehen: Rektor und Vizerektoren hätten dort nur beratende Stimmen, die Dekane der Fakultäten und die Direktoren der interdisziplinären Forschungszentren desgleichen. Ratsmitglieder mit Stimmrecht wären gewählte Professoren, Forscher und Studenten aus Fakultäten und Forschungszentren.
Pikanterweise aber will Marc Hansen die „Dekanate“, die die Fakultäten führen, als „Organe“ der Uni abschaffen. Die Dekane als Leiter der Fakultäten würde es weiterhin geben. Sie würden aber nicht mehr aus den Reihen der Professoren der Fakultäten gewählt, sondern vom Rektor vorgeschlagen und vom Aufsichtrsrat ernannt wie die Direktoren der interdisziplinären Zentren. Wegfallen sollen die Fakultätsräte, die zurzeit noch die Dekane in Fragen von Lehre und Forschung beraten. Das macht die Führung der Fakultäten kollegial und „bottom-up“. Dem neuen Gesetz nach würden eine Top-down-Leitung Einzug halten wie in den interdisziplinären Zentren, die seit ihrer Gründung von Gutachtern, Politikern und Wirtschaftsvertretern wegen ihrer Effizienz gelobt werden. Doch weil die interdiziplinären Zentren den Fakultäten überlagert und gewissermaßen eigenständige Forschungsinsitute sind, die Ressourcen der Fakultäten verbrauchen, dürften sich im Universitätsrat künftig Konflikte zwischen Fakultäten und Zentren zuspitzen. Umso mehr, da das Gesetz der Uni erlauben will, bis zu sechs interdisziplinäre Zentren zu bilden, wo es heute höchstens drei sein können. Dann wären die Zentren in der Mehrheit im Universitätsrat. Überlegungen, welche Zentren man noch gründen könnte, werden an der Uni schon angestellt.
Man könnte sagen, dass Uni.lu durch einen gestärkten Aufsichtsrat und mehr Top-down-Führung effizienter würde und an Autonomie nach außen gewänne. Doch auch weiterhin soll die Uni Vierjahresverträge mit dem Staat eingehen, die mit Zielvorgaben verbunden sind und auf deren Grundlage es jährliche Globalzuwendungen an sie gibt. Über die Einhaltung der Ziele würde der Aufsichtsrat nicht nur stärker wachen. Der Gesetzentwurf enthält auch einen neuen Artikel, laut dem die Freiheit von Lehre und Forschung an der Uni ausdrücklich nur im Rahmen der Zielvorgaben gelten soll.
Welche das sein könnten, lässt sich aus dem fast 40 Seiten lange Motivenbericht zum Gesetzentwurf erahnen. Er legt ausführlich dar, in welchem Kontext Uni.lu agiere. Angeführt werden die Lissabon-Strategie, die 2005 die EU zum wettberbsfähigsten Wirtschaftsraum der Welt machen wollte, und ihre Nachfolgerin Europe 2020. Beklagt wird, wie weit entfernt Luxemburg noch davon sei, dass drei Prozent des BIP in die Forschung fließen, wie Europe 2020 das vorsieht, und dass lediglich die Aufwendungen aus der Staatskasse für die öffentliche Forschung den EU-Vorgaben gerecht würden, die privaten Investitionen in Forschung und Entwicklung dagegen seit den Krisenjahren gesunken seien. Der Motivenbericht beschreibt ein „Wissensdreieck“ aus „Higher Education“, „Research and Technology“ und „Business“, aus dem sich eine „kognitive Gesellschaft“ ergebe, die sich ständig optimiert, sofern die drei Bestandteile im Wissensdreieck einander inspirieren. „Innovation“ und „Unternehmertum“ träten zu den „traditionellen Pfeilern einer Universität“ hinzu, und weil es in Luxemburg darum gehe, den Übergang von der Dienstleistungs- in die „Wissensgesellschaft“ durch Erschließung von „Kompetenznischen“ zu schaffen, sei die Uni gehalten, sich stärker in die „gesellschaftliche Entwicklung“ einzubringen. Bald danach wird die Forderung nach der „employabilité“ der Uni-Abgänger erhoben.
In einer Zeit der aufgeregten Suche nach wirtschaftlichen Diversifizierungsmöglichkeiten und der noch aufgeregteren Fahndung nach Fachkräften für Fintech oder „Industrie 4.0“ verlangt das neue Gesetz von Uni.lu ein sehr pragmatisches Eingehen auf sehr luxemburgische Bedarfe. Da scheint das aktuelle Uni-Gesetz wie aus einer anderen Zeit zu stammen, wenn es in Artikel 3 „Grundprinzipien“ für das Funktionieren der Uni festlegt, die zum Beispiel „description scientifique des phénomènes naturels, sociaux et humains, et recherche des lois qui les régissent“ heißen oder „utilisation de méthodes critiques rigoureuses dans l’exposé des connaissances scientifiques, sociales, politiques, philosophiques ou religieuses“. Der Entwurf der DP/LSAP/Grünen-Regierung will diese Prämissen aus dem Gesetz entfernen.
Das ist nicht gerade nebensächlich, denn die Frage stellt sich, welche Art von Universität Uni.lu in Zukunft sein wird. Pragmatismus wurde von ihr schon früher verlangt. Etwa wenn es darum ging, das Fusionsprodukt aus diversen CSV-nahen Geschichtsinstituten zum Institut für Zeitgeschichte unter ihr Dach zu nehmen. Marc Hansens Gesetzentwurf bereitet die nächste Flurbereinigung vor: Das einst ebenfalls mit CSV-Zutun gegründete Institut universitaire international luxembourgeois (IUIL), das verschiedene Weiterbildungen anbietet, soll aufgelöst werden, nachdem es mit der Uni ein Groupement d’intérêt économique gegründet hat. Dort sollen unter Aufsicht der Uni Weiterbildungen des heutigen IUIL und von Uni.lu gebündelt würden. Hinzu kommen könnten aber auch, schreibt der Gesetzentwurf, „ganz oder teilweise“ Bachelor-Studiengänge der Uni, vor allem auf die Praxis hin orientierte. Das würde die Potenziale der Fakultäten, „frei“ zu sein in Lehre und Forschung, zusätzlich schwächen.
Während die neoliberale Ära in eine regressive Phase übergeht, nimmt die liberale Regierung die Uni unter Standortverantwortung und will sie letzten Endes von einem Ort der Kreativität in einen der Autorität verwandeln. Autonomie wäre nur gegeben, sofern alle Beteiligten die Vorgaben der Regierung verinnerlichen, über die der Aufsichtsrat zu wachen hätte. Ziemlich klar scheint, dass der Rektor für diese Art Universität nur aus den Reihen der Uni.lu-Professoren selber kommen kann. Dass der Aufsichtsrat erklärt hat, schon bis zur Rentrée im Oktober werde ein Nachfolger für Rainer Klump gefunden sein, deutet klar darauf hin, dass man gar nicht wirklich im Ausland Ausschau halten will: Den Nachfolger für Rolf Tarrach zu finden, dauerte ein Jahr.