manderscheid. ein stillleben

Ein Ort, ein Paar, ein Fundus

d'Lëtzebuerger Land vom 21.10.2011

Anlässlich der Programmvorstellung am 12. September trugen Annette Schlechter und Serge Tonon eine ausgewählte Szene aus der geplanten Inszenierung von Guy Rewenigs manderscheid. ein stillleben vor. Diese wenigen Minuten ließen in mir die Befürchtung aufkommen, es handle sich um reines Volkstheater mit einem Schuss absurdem Drama. Mein Interesse hielt sich in Grenzen, doch meine Bedenken erwiesen sich als haltlos. Frank Hoffmann und Dramaturg Andreas Wagner haben die Hommage an den 2010 verstorbenen Dichter im TNL inszeniert.

Die Zusammenarbeit mit Roger Manderscheid und die gemeinsame Gründung des Ultimomondo-Verlags werden wohl eine Inspirationsquelle für Guy Rewenigs Text gewesen sein. Rewenig selbst begegnet Manderscheid auf mehreren Ebenen. Zuweilen sehr banal, nicht selten sprachlich, oft motivisch. Er führt uns ein in die Welt des Rentnerpaares Mänder und Diesch, dessen Absicht es ist, das ironisch idealisierte Manderscheid in der Eifel anzusteuern, um ihrem gnadenlosen Alltagstrott und den nervenaufreibenden Kommunikationspausen zu entkommen. Erst nach genauerem Blick in das Programmheft fällt auf, dass nicht nur der Vorname Mander auf „Manderscheid“ hindeutet, sondern ebenfalls der Name Diesch ein Ananym (von hinten nach vorne gelesen) des Morphems „scheid“ ergibt. Sei’s drum, diese bisher gezogenen Parallelen zum Hesperinger Autor sind mehr als dürftig, ja schlichtweg platt.

Auf die bloßen Andeutungen von Vor- und Zunamen beschränkt Rewenig sich jedoch keineswegs. Er lässt das ältere Paar in seinem zerstörerisch langweiligen Alltag aufs Sofa pupsen, ins Leere blicken, sich anschreien und -schweigen, den eigenen Nach-ruf verfassen und in Manderscheids Motivik fliehen. Da darf natürlich der Papagei nicht fehlen! Doch auch auf der sprachexperimentellen Ebene nähert der Autor sich seinem jahrzehntelangen Freund, arbeitet sich durch die von beiden gepflegte Dekons[-]truktion der Alltagssprache an ihn heran und findet in diesem Nichts an Handlung das Skurrile, das Groteske, die Bloßstellung eines desillusionierten Zusammenseins. Die Entlarvung dieser gemeinsam erduldeten Einsamkeit kippt dabei nie ins Fatalistische, nimmt keineswegs etwa Formen eines beckettschen Weltbildes an. Nein, sie wahrt ihren Charme.

Es ist eben diese Skurrilität, die von Serge Tonon und Annette Schlechter mit besonderer Emphase unterstrichen wird. Der Körper-einsatz und die ganz und gar überzogene Mimik bekräftigen die komische Dimension von Hoffmanns Inszenierung. Szene für Szene vorkommende Requisiten vom Ei über die Trillerpfeife bis hin zum Papagei sind jeweils in Einmachgläser gefüllt, wirken wie aufgebahrt, in Betrachtung einer Vergangenheit, die es zu konser-vieren gilt: „wir haben die ganze vergangenheit noch vor uns“.

manderscheid. ein stillleben glänzt weniger mit darstellerischer Finesse. Auch die bisweilen zu überhäuft wirkenden Sprach-experimente sind nicht durchweg kontextgebunden und konzeptualisiert, ja verlieren sich stellenweise im Selbstzweck. Generell aber liefert das TNL mit dieser Hommage an eine luxemburgische Ikone eine unterhaltsame, teilweise nachdenkliche, stets und vor allem mit vollem Einsatz und Herz verwirklichte Produktion, die – in gemütlichem Ambiente vorgetragen – noch lange auf dem Spielplan stehen wird.

manderscheid. ein stillleben. von Guy Rewenig; Regie von Frank Hoffmann; Dramaturgie von Andreas Wagner; Regieassistenz von Pol Urbany; Kostüme von Denise Schumann und Anne Simon; Bild und Ton von Anne Simon; eine Produktion des TNL; weitere Vorstellungen 27.10., 16.11, 26.11., 8.12., 13.12., 26.1., 14.2., 16.2., 8.3., 9.3 jeweils um 20 Uhr; Informationen: www.tnl.lu.
Claude Reiles
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