Papa, tu dors?

Besuche bei Schlafes Bruder

d'Lëtzebuerger Land vom 31.07.2008

70 Quadratmeter Musikraum in Kleinbettingen, Tresen und Zapfanlage im Publikumsbereich, das Ganze im theaterfeindlichen Sommermonat Juli, zwei Dutzend Stühle, davon die Hälfte besetzt, die Feuerwehr machte zehn Prozent der Besucherzahl aus. Einiges, so einiges deutete an diesem Dienstagabend auf die Gefahr schlichten Dorftheaters hin. Drohte eine Fülle an derben Schenkelklopfern? Eine Handlung gegen jeden tieferen Sinn resistent? Dazu störendes Geflüster im Zuschauerraum über die bahnbrechende Erkenntnis, das sei doch die Nachbarin, die die ersten Sätze ihrer Nebenrolle spricht? – Nichts von alledem!Im Rahmen des 17. Steinforter Theaterfestivals fand die dritte Vorstellung des Kammerspiels Papa, tu dors?? von Jay Schiltz unter der Regie von Valérie Bodson statt. Eine junge Dame, umwerfend dargestellt von Cathy Baccega, begleitet ihren sterbenden Vater mit täglichen Krankenhausbesuchen über die Schwelle des Todes. Bei jedem Besuch spitzt sich die Dramatik der Monologe zu, auf die der Vater nicht oder kaum noch reagiert. Wie ein Leitmotiv wiederholt die frustrierte Tochter die Frage „Papa, tu dors??“, um sich zu erkundigen, ob der Sterbende bereits erlöst ist oder nicht. Mit jedem Satz, jeder Frage, jedem Vorwurf erkennt der Zuschauer zugleich, dass es sich keineswegs um eine ideale Vater-Tochter-Beziehung handelte, die diesem letzten Vorhang vorausging. „Wie ein befremdliches Parfum“ wartet der Tod über den Schultern dieses dahinsiechenden Vaters, der für die Außenwelt bereits gestorben ist. In einer verstörenden psychischen Zwischenwelt lässt die junge Dame ihr gemeinsames Leben Revue passieren, wirft ihrem Vater vor, seinen Tod zu inszenieren. Ist sein Sterben der erste und letzte Moment, in dem es zu nie geführten Gesprächen kommen soll? Hat er seine Familie nur benutzt, um sein eigenes Ego zu befriedigen? In Anlehnung an Ernest Hemingways Kurzgeschichte The Old Man and the Sea, in der ein alter Fischer um seine Würde kämpft und mit einem Marlin ringt, fragt sich die Tochter: „Ich bewunderte diesen Mann für seinen Mut und seine Stärke. Du kämpftest in deinem Leben um welchen Fisch? (...) Warst du dir dein eigener Hai?“. Eingebettet in elegische Verse des französischen Symbolisten Paul Verlaine findet die Tochter in ihrer verbalen Kritik am Vater zu sich selbst. Sie erkennt, dass der Sterbende ihr niemals Idylle, gelegentlich aber Momente der Innigkeit bot. Als Schlafes Bruder zuschnappt und die Fahrt über den Hades ansteht, findet sie in einem bedrückend vorgetragenen Monolog, vor schwarzem Vorhang, ihre letzten Worte: Es sind solche der Sehnsucht, des Haltens und Zurückhaltens und doch auch der Bereitschaft zur Lebensfreude. Sie bringt währenddessen eine emo-tionale Versöhnung angesichts des Todes zur Sprache, in der deutlich wird, dass ihr Vater „mehr sein wird als ein Foto, von der Zeit vergilbt“. Sie wird „über ihre gemeinsamen Dummheiten lachen“ können.Durch die gesamte Handlung dieses Stationendramas hinweg steht ihr der Barkeeper zur Seite, subtil gemimt von Emanuel Leforgeur. Kaum sprechend, nur zuhörend, ist er dem Stammgast eine Festung. Wie ein klischeehaftes Filmmotiv schenkt er den Sorgen einsamer Seelen Gehör, gerät in diesem Fall jedoch immer stärker in die Fänge der Sterbebegleitung und versucht, seine Bekannte dort aufzurütteln, wo sie den Bezug zur Realität verliert So wie seine Hauptfigur die Erfahrungen zwischen Leben und Tod ihres Vaters in ihr Laptop hämmert, so brachte Autor Jay Schiltz jene letzten Worte zu Papier, die er dem eigenen, vor zwei Jahren verschiedenen Vater so gerne noch hätte zu Gehör bringen wollen. „Man will es dem Vater doch gerecht machen. Jeder möchte es dem Vater doch gerecht machen“, kommentiert er sein Werk. Der persönliche Bezug zu diesem sprachlich, wie inszenatorisch ergreifenden Drama wird damit offensichtlich. Stolz sei Schiltz auf die Leistung der beiden Darsteller, stolz auch auf die Leistung der Regisseurin. Zu Recht. Der nahezu filmische Schnitt, der mit subtiler Lichttechnik (Denis Jousselin) das nötige Zeitgefühl im Hinblick auf die Tageswechsel aufkommen lässt, der Fensterblick, das gewitzte Einbinden des gesamten Musikraums in die Inszenierung – vieles, vieles trug zu einem gelungenen Theaterabend mit inhaltlich wie formal hohen Ansprüchen bei.

Papa, tu dors? Ein Drama in französischer Sprache von Jay Schiltz, in der Regie von Valérie Bodson, mit Cathy Baccega und Emanuel Leforgeur; Licht: Denis Jousselin wird noch heute abend, 1. August um 20.30 Uhr in Kleinbettingen im Musiksaal gespielt.  Reservierung über Telefon: 621 719 090 (zwischen 14 und 19 Uhr) oder e-Mail: theater@steinfort.lu. Internet: www.steinfort.lu.

 

Claude Reiles
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