Es gibt eine Aktivität, die alles Zeug dazu hat, zur nächsten Trendsportart zu werden. Das Gute ist: Sie findet an der frischen Luft im Freien statt und es braucht dafür keine Sportausrüstung. Alltagskleidung reicht: Ob in Rock oder Hose, Kostüm oder Freizeit-Look, Turnschuh, Stiefel oder Stöckelschuh. Man kann sie überall betreiben, besonders gut derzeit in Hollerich, im Zentrum, in Strassen, an der Côte d’Eich, im Rollinger Grund. Noch ein Vorteil: Die Teilnahme ist kostenlos, damit sozial gerecht, der Sport spricht alle Bevölkerungsschichten an.
Worum es geht: um einen Hindernislauf der besonderen Art, sozusagen die Luxemburger Light-Version von Parkour. Einmal quer durch die von Baustellen übersäte Hauptstadt und zurück, lautet die Herausforderung. Ziel sind keine Medaillen oder Urkunden und auch kein Sieg gegen die Zeit. Was zählt, ist, heile anzukommen. Das ist schon Verdienst genug.
Denn so sicher ist das nicht für die Tausenden, die Parkour seit Monaten in unserer Hauptstadt mit zunehmender Intensität, mitunter Verbissenheit, betreiben. Es gilt, Betonblöcken und Löchern auszuweichen, die Bauarbeiter (Bauarbeiterinnen wurden selbst von Meistern der Disziplin keine gesichtet) vergessen haben abzudecken. Mal rumpelt ein Bagger mit Karacho über den Zebrastreifen auf einen zu, weil der Kollege mit der roten Fahne gepennt hat und der Zugang zur Baustelle für Außenstehende nicht gekennzeichnet ist.
Alle Sinne sind bei diesem Sport gefordert: Gute Sicht, um Hindernisse frühzeitig zu erkennen. Geschicklichkeit und Gleichgewichtssinn, um sich zwischen wackeligen Absperrungen und Warnschildern wendig hindurchzuschlängeln. Wer im Winter für die Skipiste fit sein will – hier gibt’s ideale Trainingsbedingungen. Auch das Gehör ist gefragt, um die Befehle aufgeregter Arbeiter trotz Baulärm zu verstehen, wenn ein beladener Laster im Rückwärtsgang zurücksetzt. Da bleibt oft nur das Piepsen, das die Gefahr ankündigt; als Ausweichmanöver bietet sich ein beherzter Sprung zur Seite an. Parkour-Profis wissen mit gekonnten Vorwärtsrollen allerlei Überraschungen im urbanen Raum zu kontern.
Wem das an Nervenkitzel nicht ausreicht, der/die kann den Parcours mit dem Fahrrad oder Skateboard abfahren. Die Hindernisse bleiben prinzipiell dieselben, nur steigen mit dem Tempo Schwierigkeitsgrad und inviduelles Risiko. Da heißt es, den Kopf tief zwischen die Schultern zu nehmen, wenn mal wieder ein Fahrradweg im Nirgendwo endet und die Hände immer am Bremszug zu behalten, um nicht in ein Schild reinzubrettern, das wie aus dem Nichts die Fahrt versperrt.
Damit der neue Sport spannend bleibt, hat sich die Stadt etwas Besonderes ausgedacht: Die GroßBaustelle mit den tollsten Hindernissen, die der Tram, ist mobil: Das heißt, die Wettbewerbsbedingungen ändern sich täglich. Wo gestern noch eine Riesengrube klaffte, über die Sie mit einem mutigen Satz hinüberhechteten, liegt heute eine Stahlplatte. Dafür reicht die Absperrung ein paar Meter weiter mitten in die Fahrbahn hinein und Autofahrer, die orientierungslos und oft genervt die provisorischen Blechwände umfahren, sind ein zusätzlicher Schwierigkeitsfaktor.
Auch „Bonbons“ zur Unterhaltung sind eingebaut: beispielsweise in Form roter Plastikröhren, die in Schlaufenform aus dem Boden ragen und wie Stolperfallen wirken können, wenn irgendein Hans-guck-in-die-Luft den Ernst der sportlichen Ertüchtigung nicht einsehen will. Der unfreiwillige Entfesselungsakt trägt zur Erheiterung der anderen Teilnehmenden bei.
Sie sind skeptisch? Das sei kein Sport, sondern eine unverschämte Strapaze für jede/n, der/die in Luxemburg-Stadt von A nach B gelangen will. Wir empfehlen: Locker bleiben, ein bisschen Bewegung hat noch niemandem geschadet; in Zeiten, wo Lehrer über faule Schüler klagen, Medizinerinnen vor Fettleibigkeit warnen und der Breitensport an Attraktivität verliert, muss man dem Zwangscharakter geradezu dankbar sein.
Sie finden den Wettbewerb unfair gegenüber Leuten, die in ihrer Mobilität eingeschränkt sind? Stimmt, für Menschen mit körperlichen Einschränkungen dürfte der Hindernislauf noch anstrengender sein. Andererseits hat die Rollstuhlfahrerin den Vorteil, auf den Stahlplatten dank griffiger Reifen schneller voranzukommen. So lassen sich eventuelle Nachteile kompensieren. Menschen mit Sehbeschränkungen müssen die Baulöcher mit ihrem Stock ertasten. Dafür finden sie, als Tast-Profis, die provisorisch befestigten wackeligen Ampel-Schalter schneller, wobei das kein Garant dafür ist, dass das akustische Signal zum Überqueren dann auf Knopfdruck auch funktioniert. Aber hey, für Menschen ohne Einschränkungen gelten ebenfalls erschwerte Bedingungen. Zur Not könnte man über eine Paralympics-Version nachdenken. Schließlich ist die Stadt stolze Trägerin eines Barrierefreiheitspreises der EU.
Sie finden das zynisch, geschmack- und rücksichtslos? Doch wohl kaum rücksichtsloser als die Verantwortlichen der unzähligen Baustellen, die sich keinen Deut darum zu scheren scheinen, was es für jemanden bedeutet, der nicht sehen kann, die alt und gebrechlich ist oder der ein Kind an der Hand führt, plötzlich vom Gehsteig auf eine viel befahrene Straße wechseln zu müssen. Aber wie lautet das Parkour-Motto? There are no limits! Und: Wer nicht wagt, gewinnt nicht.