Die Darstellungen des Zweiten Weltkriegs in der Luxemburger Literatur ähneln sich in mindestens zwei Hinsichten: Sie werden von männlichen Perspektiven dominiert und befassen sich mit der Frage nach den Möglichkeiten von Selbstbehauptung angesichts einer übermächtigen Bedrohung. Die moralischen Fronten stehen in diesen Narrativen im Wesentlichen fest: Gut ist, was Luxemburgisch ist, böse ist, was Deutsch ist.
Margret Steckel (geb. 1934) wuchs im Nordosten von Deutschland auf. In Jette, Jakob und die andern erzählt sie den Einbruch des Krieges in das Leben einer Familie aus dieser Region. Jettes Eltern haben den Krieg nicht gewollt, dennoch kann sich die Familie seinen Folgen nicht entziehen. Innerhalb der deutschen Literatur mag der Blickpunkt nichts Neues sein: In seinem modernen Klassiker Die Ent-
deckung der Currywurst befasst sich beispielsweise Uwe Timm mit dem Schicksal einer Arbeiterin, die es im Hamburg der letzten Kriegsmonate immer wieder schafft, sich moralisch richtig zu verhalten und den Nazis in ihrem direkten Umfeld Widerstand zu leisten. Dass die deutsche Bevölkerung nicht aus einem fanatischen Einheitsbrei bestand, streicht auch Jette, Jakob und die andern hervor. Innerhalb der Luxemburger Literatur bietet das Buch deshalb eine interessante Ergänzung zu den gewohnten Sichtweisen.
Die Erzählung beginnt mit der Beschreibung einer märchenhaften Kindheit in Mecklenburg. Die Spiele der Geschwister Jette und Jakob in dem großen Haus, dem Garten mit den alten Bäumen oder am Fluss wirken wie Episoden aus einem Roman von Astrid Lindgren. Die Kinder gruseln sich bei Geschichten von Elfen und Wasserfrauen, spielen mit Puppen und Autos, freuen sich auf Weihnachten und Ostern, treiben allerlei Unfug, wenn niemand hinsieht. Mit viel Liebe zum Detail schildert Steckel ein gefährdetes Idyll, dessen Brüchigkeit schon im ersten Kapitel symbolisch vorweggenommen wird: Ein hohler Nussbaum bricht krachend auseinander, als die Kinder seinen Schatten eben verlassen haben. So verspricht auch das beschauliche Landleben eine Sicherheit, die es nicht garantieren kann. Während anfangs die Zeit stillzustehenden scheint in der unerschöpflich wirkenden Wiederholung der Kinderspiele, wird die zunächst noch lose zeitliche Abfolge zunehmend durch den Einbruch und den Fortgang des Krieges bestimmt. Als die ersten Panzer am Haus vorbeirollen, ist der kleine Bruder zwar begeistert, aber die Eltern werden zunehmend besorgter.
Dass sie die Ereignisse aus der Sicht eines Mädchens beschreibt, das gerade erst das Grundschulalter erreicht hat, erlaubt Steckel, die Haltung der Eltern zum Nationalsozialismus mit wenigen charakteristischen Strichen zu zeichnen, ohne Hintergründe und Vorgeschichten mit zu reflektieren. Hier mag man die Nazis und ihr Kriegsgeschrei einfach nicht; Hitler wird von der Mutter verächtlich „der Braune mit der Ludentolle“ genannt und die Kinder wissen genau, zu wem sie „Guten Tag“ sagen und zu wem „Heil Hitler“. Spätestens als der Vater eingezogen wird, ist klar, dass der Krieg das bisherige Leben für immer verändern wird. Die Mutter kümmert sich um mittellose Nachbarskinder, füllt das Haus mit vor den englischen Bomben flüchtenden Stadtbewohnern, bietet den Uniformierten die Stirn, die sie wegen „Antikriegsgerede“ belangen wollen. Hier geht es nicht um große Gesten und flammendes Heldentum, sondern um die ganz private Anständigkeit, die sich in ihrer direkten Umgebung Möglichkeiten sucht, Gutes zu tun, auch wenn sie am Ende – als die Alliierten eintreffen – keinen Dank dafür erwarten kann.
Ihre Geschichte erzählt Steckel anekdotenhaft, in kurzen, geschliffenen Kapiteln, die teils auch für sich allein stehen könnten (und hoffentlich ihren Weg in die Luxemburger Klassenzimmer finden werden). Einige kantige Formulierungen bleiben unmittelbar haften, etwa: „Krieg, ein kurzes, hackendes Wort wie die Axt im Holz“ oder „Schutt, Steine, Häusergerippe bis in den spottblauen Himmel hinein“. Das teilweise etwas altmodische Vokabular fügt sich gut ein in den Rahmen, den die Autorin mit ihrer Widmung setzt: Dort legt die Großmutter ihren Enkelinnen die erzählten Geschehnisse zum Nachlesen vor. Selten verlässt Steckel dabei die kindliche Perspektive von Jette, so dass die Handlung nahezu vollständig auf die verheerenden Auswirkungen des Krieges ausgerichtet bleiben kann. Der Vorteil dieser Erzählweise ist, dass das Buch eine gewisse Leichtigkeit nicht einzubüßen braucht, wenn auch manche Fragen offen- und manche Handlungsverläufe in der Schwebe bleiben. Leider verkneift sich Steckel außerdem nicht die gelegentliche moralisierende Spitze, auf die der Leser auch von alleine gekommen wäre. Dennoch wird dieser Leser – wie vermutlich auch die Enkelinnen – am Ende wissen wollen, wie die Geschichte weitergeht.