L’immigration dans le football luxembourgeois – eine Reflektion

Historiografischer Anstoß

d'Lëtzebuerger Land du 19.01.2018

Die Masterarbeit L’immigration dans le football luxembourgeois. Influence du football de rue et du football en club sur l’inclusion des immigrés1 von Jean Ketter wurde mit dem diesjährigen Preis der Fondation Robert Krieps ausgezeichnet. Der sportinteressierte Ketter hat in seiner Arbeit drei Themen untersucht, die für ihn als Historiker in einer multikulturellen Gesellschaft relevante Forschungsgebiete darstellen: Immigration, Integration und Sport. Die wichtige Funktion des Fußballs im Prozess der Integration vor allem junger Männer in Luxemburg steht im Zentrum der Analyse. Sie fokussiert sich auf die Frage, wie „football de rue“ und „football de club“ die Integration und die Identifikation der Einwanderer und ihrer Nachkommen mit der luxemburgischen Gesellschaft beeinflusst hat.

Ketter untersucht drei Phasen der Immigration: In der ersten Phase findet die Einwanderung aus Italien vom Anfang des 20. Jahrhunderts bis in die 1970-er Jahre statt. Die portugiesische Immigra-
tion, die in den 1960-er Jahren beginnt und bis heute anhält, stellt die zweite Phase dar. Schließlich untersucht der Autor die Einwanderung jugoslawischer Gastarbeiter in den 1970-er und 1980-er Jahren sowie die durch die Jugoslawienkriege ausgelösten Fluchtbewegungen in den 1990-er Jahren.

Zu den von ihm angewandten wissenschaftlichen Methoden zählen neben der Analyse von Presseartikeln und Publikationen von Sportvereinen sowie des nationalen Fußballverbands FLF vor allem Interviews mit aktiven und ehemaligen Fußballspielern mit Migrationshintergrund. Der Autor betont die Bedeutung der oral history für seine Forschung, da die historiografische Aufarbeitung im Kontext lückenhafter Dokumentation in den Vereinen schwierig ist.

Konzeptuell bezieht sich Ketter in seiner Analyse auf die Definition des Begriffs Integration des deutschen Soziologen Friedrich Heckmann. Integration findet in dieser Konzeptualisierung ihren Ausdruck in der Abnahme von Differenzen zwischen Einheimischen und Immigranten – sowohl in Bezug auf die Lebensbedingungen als auch hinsichtlich der kulturellen und sozialen Annäherung. Findet diese Abnahme an Differenzen nicht statt, wird von Ausgrenzung, Segregation oder der Bildung von Parallelgesellschaften gesprochen.

Alliance Dudelange und das Quartier Italien

Italienische Einwanderer sind bereits in der Zwischenkriegszeit in den Fußballvereinen präsent, eine determinierende Rolle im luxemburger Fußball spielen sie aber spätestens ab den 1960-er Jahren. Es handelt sich vor allem um Angehörige der zweiten und dritten Generation, die in Luxemburg geboren und aufgewachsen sind.

Jean Ketter analysiert, inwiefern der Fußball zur Integration der italienischen Gastarbeiter und ihrer Nachkommen vom Anfang des 20. Jahrhunderts bis in die 1970-er Jahre beigetragen hat. Er beschäftigt sich insbesondere mit dem Verein Alliance Dudelange, der den Ruf hatte, durch die italienische Immigration geprägt worden zu sein. Im Klub spielen viele Nachkommen von italienischen Migranten, die im Quartier Italien aufgewachsen sind, was zu seiner Identität als „Italienerverein“ beigetragen hat. Diese Identität beruht weniger auf der Gründungsgeschichte des Vereins, als auf dessen soziokultureller Zusammensetzung in seiner sportlich erfolgreichen Phase in den 1960-er und 1970-er Jahren, sowie auf der zu dieser Zeit starken Bindung zwischen dem Verein und dem Quartier Italien.

Ketter nimmt mit der Dekonstruktion von Vereins-
identitäten einen wichtigen Ansatz der internationalen historischen Fußballforschung auf. Die mystifizierte Identität eines Vereins kann tatsächliche historische Prozesse der Ausgrenzung verschleiern. So betont der Autor, dass die Integration der italienischen Immigranten keineswegs derart problemlos vonstattenging, wie dies in Luxemburg heute weitgehend angenommen wird. Die erhöhte Präsenz italienischstämmige Spieler in den luxemburgischen Fußballklubs ist – auch in Düdelingen – erst Jahrzehnte nach der Ankunft der ersten italienischen Gastarbeiter zu beobachten. Zu dieser Zeit nimmt die Immigration aus Italien bereits seit Jahren stetig ab und viele Gastarbeiter kehren in ihr Herkunftsland zurück. Ab den 1960-er Jahren versucht man dem Mangel an Arbeitskräften in der luxemburgischen Wirtschaft durch Einwanderung aus Portugal entgegenzuwirken.

Die portugiesische Liga in Luxemburg

In den späten 1960-er und frühen 1970-er Jahren gründen portugiesische Gastarbeiter in Luxemburg Fußballvereine, deren Mitglieder in erster Linie unter den portugiesischen Einwanderern rekrutiert werden. Jean Ketter untersucht den Einfluss dieser Vereine auf die Integration ihrer Mitglieder in die luxemburgische Gesellschaft.

1968 wird der erste „portugiesische“ Fußballklub in Luxemburg gegründet: Grupo Desportivo dos Lusitanos in Larochette. Dort zählt der Anteil portugiesischer Immigranten, gemessen an der Gesamtbevölkerung, zu den höchsten im Land. Nachdem in den 1970-er Jahren weitere Vereinsgründungen folgen, wird 1978 mit Unterstützung der Association Amitiés Portugal-Luxembourg eine portugiesische Fußballmeisterschaft aufgebaut. Die Struktur der Vereine und der Spielbetrieb der Meisterschaft fördern eine Vergemeinschaftung unter den portugiesischen Einwanderern, die sich in Luxemburg diversen Ausgrenzungsmechanismen ausgesetzt sehen.

Die Vereine und der Verband dienen als Integrationshilfen für die Gastarbeiter, indem sie den Neuankömmlingen ermöglichen, in der fremden Gesellschaft Fuß zu fassen. Allerdings spielt diese Form der Integration auch eine Rolle in der bereits stattfindenden Bildung einer Parallelgesellschaft in Luxemburg. Diese Situation ist nicht zuletzt der restriktiven Ausländerpolitik des FLF geschuldet, dessen Statuten jedem Verein den Einsatz von maximal drei ausländischen Spielern erlauben, „die noch keine drei Jahre gesetzlich im Großherzogtum ansässig sind.“2

1997 beantragen die portugiesischen Klubs ihre Aufnahme in den FLF – nicht zuletzt, um von öffentlichen Geldern zu profitieren, welche die Mitglieder des Verbandes erhalten. Die Mitgliedschaft wird den Vereinen jedoch in mehreren Anläufen vom Verband und seinen Mitgliedern, den etablierten luxemburgischen Fußballvereinen, verwehrt. Die Angst vor der Konkurrenz durch die neuen Vereine, ein Mangel an Ressourcen, vor allem an Fußballplätzen, aber auch fremdenfeindliche Ressentiments können als Gründe für die ablehnende Haltung aufgeführt werden. Zu dieser Zeit verlieren die portugiesischen Vereine zunehmend an Mitgliedern, da die zweite und dritte Generation der Einwanderer stärker in die Gesamtgesellschaft integriert sind, was sich wiederum in den Mitgliederstrukturen der luxemburgischen Vereine widerspiegelt. Während die portugiesische Meisterschaft 2006 aufgrund mangelnder personeller und finanzieller Ressourcen aufgelöst wird, kommt es von 1998 bis 2009 zu fünf Fusionen zwischen portugiesischen und luxemburgischen Vereinen, die jeweils beiden Partnern das Überleben ermöglichen.

Die Mitgliedschaft in einem portugiesischen Verein hat die Integration für die Immigranten in einem ersten Schritt erleichtert, allerdings auch zur Bildung einer Parallelgesellschaft beigetragen. Bedingt wird diese Segregation nicht zuletzt durch einen restriktiven institutionellen Kontext sowie eine soziokulturelle Ausgrenzung im Kontext der Hegemonialgesellschaft.

Während sich die portugiesische Einwanderung von ihren Anfängen in den 1960-er Jahren bis heute fortsetzt, finden parallel weitere Migrationsbewegungen statt – zum Beispiel aus Ex-Jugoslawien.

Bosnische Spielkultur beim
FC Wiltz 71

Am Beispiel des FC Wiltz 71 analysiert Jean Ketter, wie sich die Präsenz von Spielern vom Balkan auf die Außenwahrnehmung des Vereins ausgewirkt hat. Gemäß Ketter3 wird der Verein seit einigen Jahren durch eine aggressive Spielweise charakterisiert. Spieler bosnischer Herkunft führen das im Gespräch mit dem Autor auf eine doppelte Stigmatisierung zurück: Einerseits leidet Wiltz in ihren Augen allgemein unter einem schlechten Ruf. So meint Sevad Mujkic beispielsweise: „Dat ass en Image, deen Wolz einfach huet.“4 Andererseits haben sie auch den Eindruck, dass dieses Bild durch die Präsenz von Spielern aus dem ehemaligen Jugoslawien verstärkt wurde. So spricht Emko Kalabic beispielsweise die unterschiedlichen Spielkulturen in Luxemburg und Ex-Jugoslawien an: „Wann s de lo d’Mentalitéit kucks, si mir [Jugoslawen] vill méi explosiv, an sou hu mer e schlechten Numm.“5 Mehreren Spielern zufolge wurde dieses Bild von Wiltz auch jahrelang durch die Medien konstruiert. Interessanterweise berichten Sevad Mujkics Cousins Asmir und Mehmet auch von Diskriminierungen durch jugoslawische Spieler aus anderen Landesteilen: „Bauere sinn déi [Jugoslawen] bezeechent gin vum Norden.“6

Das Bild des FC Wiltz 71 entspricht also einer doppelten Konstruktion. Wiltz ist laut Statec das „Schlusslicht im sozio-ökonomischen Gefüge“ im Land mit einer heterogenen Bevölkerung7. Der Verein wird in der öffentlichen Wahrnehmung mit den sozialen Problemen der Stadt in Verbindung gesetzt. Die im luxemburgischen Vergleich hohe Präsenz von Spielern bosnischer Herkunft bewirkt wiederum, dass der Charakter des Klubs als von der Norm abweichend konstruiert wird. Diese doppelte Konstruktion dürfte aber auch förderlich für die Identifikation der Spieler aus Ex-Jugoslawien mit dem Verein und der Region sein. Beim FC Wiltz 71 lässt sich beobachten, wie sich einerseits die Präsenz von Immigranten auf das Image des Vereins auswirkt und andererseits die luxemburgische Sozialstruktur auch die Selbstdarstellung der Einwanderer beeinflusst.

Fazit

Jean Ketter kommt zu dem Schluss, dass man am Beispiel der Immigranten in Luxemburg beobachten kann, wie der Sport, insbesondere Fußball aufgrund seiner Beliebtheit auch in den Herkunftsländern der untersuchten Immigrationsbewegungen, eine wichtige Rolle für die Integration der Einwanderer in einer neuen Gesellschaft auf verschiedenen Ebenen spielen kann. Vor allem die soziale und kulturelle Integration könne durch die Partizipation am Bolzplatz- und Vereinsfußball gefördert werden. Allerdings beobachtet Ketter auch Ausgrenzungstendenzen im Fußball – sowohl bei den Einheimischen als auch bei den Immigranten.

Der Historiker Ketter hat mit seiner Analyse der Immigration im luxemburgischen Fußball einen wichtigen Beitrag zur Fußballforschung geleistet. Das Thema wurde im Ausland, beispielsweise in Frankreich, bereits vielfach behandelt und thematisiert, im Großherzogtum hingegen wurde das Forschungsfeld bislang vernachlässigt. Der Autor hat in seiner engagierten Forschung einen großen Umfang an Informationen gesammelt und Dokumente analysiert, um die Funktion des Fußballs bei der Integration von Einwanderern in Luxemburg zu erläutern. In der Sichtung und Auswertung des Materials liegt die große Stärke dieser Arbeit. Der Leser erhält einen verständlich formulierten Einblick sowohl in die luxemburgische Migrations- als auch in die Fußballgeschichte. Dabei gewährt Ketter immer wieder interessante Einblicke in scheinbare Nebenschauplätze, die aber mindestens so spannend sind wie der Leitfaden seiner Untersuchung. So ist die Dekonstruktion von bestehenden Vereinsidentitäten beispielsweise ein hochaktuelles Feld in der internationalen Fußballforschung.

Die Schwächen der Arbeit liegen bei der theoretischen Durchdringung des Forschungsgegenstands. So wäre eine tiefergehende Beschäftigung mit dem Konzept der Integration, das sowohl wissenschaftlich als auch politisch Gegenstand umfassender Debatten ist, wünschenswert. Zudem unterscheidet der Autor zwischen „football de rue“ und „football de club“, geht aber nicht konzeptuell auf diese Unterscheidung ein. Im alltäglichen Sprachgebrauch mag der Unterschied offensichtlich erscheinen, in einer wissenschaftlichen Analyse wäre eine kurze Reflektion der Begriffe als sinngebende Konzepte von Interesse. Weiter werden Geschichten des Scheiterns zu wenig thematisiert. Ketter analysiert zwar die Problematik der Ausgrenzung im Fußball, vor allem am Beispiel des portugiesischen Vereinsfußballs – ein konkretes Fallbeispiel einer gescheiterten Integration wird hingegen nicht untersucht.

Die hier geäußerte Kritik soll aber keineswegs darüber hinwegtäuschen, dass Jean Ketter nicht nur einen wertvollen Beitrag zur luxemburgischen Migrations- und Fußballgeschichte geleistet, sondern darüber hinaus zur internationalen Fußballforschung beigetragen hat. In diesem historischen Überblick wird eine Vielzahl an Themen angeschnitten, die spezifisch untersucht werden sollten. In diesem Sinne sollte man die Arbeit auch als Anstoß für weitere Analysen im Forschungsfeld Fußball und Migration in Luxemburg sehen.

1 Jean Ketter. L’immigration dans le football luxembourgeois. Influence du football de rue et du football en club sur l’inclusion des immigrés. Collection de la Fondation Robert Krieps du meilleur mémoire de Master 2, Éditions d’Letzeburger Land. Luxembourg 2017. Directeur de thèse: Denis Scuto

2 Ketter 2017: S. 79

3 Ketter 2017: S. 155

4 Ketter 2017: S. 155

5 Ketter 2017: S. 156

6 Ketter 2017: S. 139

7 Luxemburger Wort, 02.08.2017

Charles Wey
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